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Kochen bei Kuehlschranktemperatur

Im Rahmen eines EU-Projekts, an dem europaweit zwoelf Arbeitsgruppen beteiligt sind, untersucht Horst Ludwig am Institut fuer Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie mit Unterstuetzung durch vier wissenschaftliche Mitarbeiter, wie sich Lebensmittel durch hohen hydrostatischen Druck besser haltbar machen lassen. Die EU foerdert das Gesamtprojekt von 1993 bis 1995 mit 1 767 372 ECU.

Temperatur und Druck sind die beiden Zustandsgroessen, die im wesentlichen die Eigenschaften der Materie in unserer Umwelt bestimmen. Trotzdem benutzt der Mensch seit mehreren tausend Jahren nur thermische Verfahren wie Kochen, Braten, Backen, um Lebensmittel schmackhaft, leichter verdaulich und haltbar zuzubereiten. Auch Arzneimittel werden normalerweise mit Waerme behandelt, wobei schaedliche Keime, Bakterien und Viren absterben. Aehnliche Wirkungen wie mit Waerme lassen sich jedoch auch mit hohem hydrostatischem Druck erzielen. Dazu ist das Mehrtausendfache des normalen Luftdrucks von einem Bar oder einem zehntel Megapascal noetig. Mit einem Druck zwischen 100 und 1000 MPa kann man zum Beispiel bei Kuehlschranktemperatur ,kochen"; die Nahrungsmittelkomponenten werden dabei in eine bekoemmliche Form ueberfuehrt, Enzyme inaktiviert und Mikroorganismen abgetoetet.

Ein hydrostatischer Druck wirkt von allen Seiten gleichmaessig auf einen Probekoerper ein. Daher behaelt dieser seine Form, falls er flexibel genug ist. Ein ganzes Huehnerei kann zum Beispiel einem Druck von 500 MPa - das entspricht einem Gewicht von fuenf Tonnen pro Quadratzentimeter - ohne Beschaedigung standhalten, wenn wie beim Kochen die Luftblase mit einer Nadel angestochen wird. Im Labor laesst sich ein hoher hydrostatischer Druck herstellen, indem eine Fluessigkeit mit grosser Kraft zusammengedrueckt und verdichtet wird. Die zunaechst gerichtete Kraft erzeugt in dem fluessigen Medium einen in alle Richtungen gleich intensiven Druck. Dazu muss erheblich weniger Energie aufgewendet werden als bei thermischen Verfahren. Da ausserdem keine Abfaelle oder Rueckstaende entstehen, ist die Hochdrucktechnologie als sehr umweltfreundlich zu bezeichnen. Der hoechste Umgebungsdruck, bei dem Lebewesen gefunden werden, betraegt 100 MPa in den Tiefseegraeben der Ozeane. Die hier existierenden Bakterien und Tiere sind gut an den hohen Druck angepasst, sie sind barophil. Noch hoehere Drucke scheinen fuer das uns bekannte Leben eine Grenze darzustellen, weil zunaechst Quartaerstrukturen und bei weiterer Druckerhoehung auch Tertiaerstrukturen von Proteinen veraendert werden.

In der Pharmazie kann man den keimtoetenden Effekt des hohen Drucks nutzen, um Arzneimittel zu sterilisieren, die nicht der ueblichen Hitzebehandlung oder Bestrahlung unterworfen werden koennen, zum Beispiel empfindliche Arzneistoffe wie Peptide und kleine Proteine oder temperatur- und strahlungsempfindliche Arzneistofftraeger. Unsere bisherigen Experimente mit Salben, Liposomenzubereitungen und im Koerper abbaubaren Kunststoffimplantaten waren sehr ermutigend. Selbst eine mehrstuendige Druckbehandlung mit 700 MPa liess die physikalische Stabilitaet und die molekulare Struktur der Arzneistofftraeger unveraendert. Einige Systeme, Liposomen und Cremes, wurden sogar unter Druck stabiler. Auch wirksame Impfstoffe liessen sich auf diese Art herstellen, denn elektronenmikroskopische Bilder zeigen, dass mit Druck abgetoetete Mikroorganismen an ihrer Oberflaeche wenig geschaedigt werden.

Bei Nahrungsmitteln dient hoher Druck nicht nur dazu, Keime abzutoeten, sondern man kann auch bekoemmliche und wohlschmeckende Speisen zubereiten, zum Beispiel bei vier Grad Celsius und 600 MPa in einigen Minuten ein Ei "kochen", das besser schmeckt und eine brillantere Faerbung aufweist als das "Hitze-Ei". Unter Druck erfahren die Lebensmittelbestandteile aehnliche strukturelle Veraenderungen wie beim Erhitzen, nur eben sehr viel schonender. Erhitzen bedeutet heftige molekulare Bewegung, wobei chemische Bindungen gebrochen und in unkontrollierbarer Weise neu geknuepft werden. Welche chemischen Verbindungen dabei entstehen und ob sie schaedlich sind, ist weitgehend unbekannt. Die thermischen Verfahren der Nahrungszubereitung haetten bei einer Neuzulassung keine guten Chancen. Schaedliche Eingriffe in die Strukturen der Lebensmittelinhaltsstoffe sind bei einer Druckanwendung nahezu ausgeschlossen. Daher bleiben Naehrwert und wichtige Inhaltsstoffe, wie Vitamine, wesentlich besser erhalten als beim Kochen. Die druckbehandelten Lebensmittel weisen noch die besonderen Qualitaetsmerkmale der frischen Rohmaterialien auf, sie behalten weitgehend ihren natuerlichen Geschmack und ihr Aroma. In diesem Zustand sind sie lange Zeit haltbar, wenn eine Kontamination mit Mikroorganismen verhindert wird. Dies geschieht am besten, indem das Gut in flexible Behaelter verpackt unter Druck gesetzt wird. Gegenueber einer Erwaermung ergibt sich hier der technologisch wichtige Vorteil, dass der angewandte Druck momentan und gleichzeitig jede Stelle des Gutes erreicht.

Die kombinierte Anwendung von Druck und Temperatur eroeffnet ein riesiges Feld fuer neuartige und hochwertige Lebensmittel. Die bisher eindimensionale Kochkunst - nur Temperaturaenderung - erhaelt damit eine zweite zusaetzliche Dimension, die Druckaenderung. Um das gewachsene Potential auszuschoepfen, muesste man die verschiedenen Moeglichkeiten des Hochdruckkochens an unterschiedlichen Nahrungsmitteln ausprobieren, mit der Methode spielen. Dabei sind Misserfolge genausowenig auszuschliessen wie beim herkoemmlichen Kochen, fuer das immerhin mehrere tausend Jahre Erfahrung vorliegen. Japan scheint genau dieser Philosophie zu folgen. Seit drei Jahren werden dort Hochdrucklebensmittel am Markt getestet. Zunaechst waren es Marmeladen, Fruchtsaefte, Fruchtjoghurts und Saucen; jetzt sollen Reiskuchen, roher Schinken und Sake dazukommen.

Fuer die Anwendung in der Pharmazie und der Lebensmitteltechnologie ist der keimtoetende Effekt des Hochdrucks besonders wichtig. In Heidelberg untersuchen wir deshalb vor allem das Verhalten der verschiedenen Mikroorganismen unter Druck. Dabei stossen wir immer wieder auf unerwartete Ergebnisse, so sterben zum Beispiel manche Bakterien unter Druck bei Raumtemperatur besonders langsam ab, bei hoeherer und erstaunlicherweise auch bei tieferer Temperatur sterben sie schneller. Unser Ziel ist es, solche Vorgaenge auf molekularer Basis zu verstehen. Gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe der Bundesforschungsanstalt fuer Ernaehrung in Karlsruhe und mit mehreren Gruppen in Europa moechten wir sichere wissenschaftliche Grundlagen fuer die Anwendung der Hochdruckmethode schaffen.

Autor:
Prof. Dr. Horst Ludwig
Institut fuer Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie, Im Neuenheimer Feld 366, 69120 Heidelberg,
Telefon (06221) 56 52 34

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