Editorial
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
"Reform der Hochschulen" ist das neue Schlagwort der
Wissenschaftspolitik, und dies von Bund und Ländern unisono bis in die
Wortwahl hinein. Die Bundesbildungsministerin fordert eine
"grundlegende Reform zur Modernisierung", und in den Worten des
Wissenschaftsministers unseres Bundeslandes Baden-Württemberg ist eine
"grundlegende Reformbereitschaft vonnöten". Demnach sind die deutschen
Universitäten ein Sanierungsfall. Besonders die Lehre? Diese Frage
stellt sich angesichts der Feststellung des Wissenschaftsministers von
Trotha: "Wir wollen mehr Qualität... vor allem in der akademischen
Lehre...".
Generell, die Untertöne der Politikeräußerungen zu den Hochschulen sind
unüberhörbar. Die Universitäten seien wesentlich (mit-)verantwortlich
für ihre Misere. In demselben Atemzug rühmen die Landespolitiker
allerdings ihre Universitäten dann, wenn diesen nationale und
internationale Forschungserfolge zuerkannt werden. Das gilt allemal für
die neun Universitäten des Landes Baden-Württemberg. Um so
erstaunlicher ist es, daß gerade diese Landesregierung unter dem
Stichwort Reform eine grundsätzliche Änderung ihres
Universitätsgesetzes vornimmt. Reform um der Veränderung willen? Diese
Frage rechtfertigt es, auch in einem Vorwort zu einem Forschungsmagazin
Anmerkungen zu der Universitätspolitik des Landes Baden-Württemberg
vorzubringen, zumal der Wissenschaftsminister gesagt hat, "wir wollen
mehr Qualität... vor allem in der akademischen Lehre...".
Dazu muß die Politik an ihre eigenen Versäumnisse und Fehler erinnert
werden. Auf den generellen Öffnungsbeschluß der Ministerpräsidenten im
Jahr 1977 zum Hochschulzugang hat die Wissenschaftspolitik nicht mit
dem Ausbau eines wirklich differenzierten Hochschulsystems reagiert.
Wenn 35 bis 40 Prozent eines Jahrganges den Zugang zum tertiären
Bildungssektor erlangen, dann muß den weitgestreuten Begabungen und
Neigungen der jungen Menschen ein entsprechendes differenziertes
Bildungsangebot offeriert werden. Die Kapazität der Fachhochschulen
kann nur etwa 25 Prozent der Studienberechtigten aufnehmen. Von den
Universitäten wird damit implizit erwartet, daß sie der großen Mehrheit
der Studienberechtigten eine forschungsnahe wissenschaftliche
Ausbildung bieten.
Das können die Universitäten nicht leisten. Gerade diese Problematik
haben die Universitäten erkannt, und dies vor mehr als 15 Jahren.
Anfang der 80er Jahre hat der Wissenschaftsrat konsekutive Studiengänge
vorgeschlagen. Die Politik hat damals dieses Konzept abgelehnt mit dem
Argument, dieser Studienaufbau diene der Elitenbildung, da nicht alle
Studierenden bis zum Ende der Folge der Ausbildungsabschlüsse gelangen
können. Und nunmehr bieten eben diese Politiker den Universitäten als
Fortschritt die Einführung der konsekutiven Abschlüsse angelsächsischer
Art Bachelor und Master an. Die Professoren beweisen Reformfreudigkeit
und haben ein langes Gedächtnis, offenbar nicht die Politiker.
Ihr
Jürgen Siebke,
Rektor der Universität Heidelberg