Siegel der Universität Heidelberg
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Kleine Ursache – tragische Wirkung

"Lorenzos Öl" heißt ein Film, der die wahre Geschichte eines Kindes mit einer geheimnisvollen Krankheit nacherzählt. Seine Leiden beginnen mit leichten Gleichgewichtsstörungen und enden mit schweren Hirnschäden. Der medizinische Name von Lorenzos Krankheit lautet "Adrenoleukodystrophie", ein seltenes Erbleiden, von dem die Forscher heute wissen, daß es auf der Fehlfunktion winzig kleiner Körperchen, der Peroxisomen, im Innern der Zelle beruht. Dariush Fahimi und Eveline Baumgart vom Institut für Anatomie und Zellbiologie erklären, was Peroxisomen sind, welche Bedeutung sie für Gesundheit und Krankheit des Menschen haben und welche Methoden die Wissenschaftler heute einsetzen, um Peroxisomenkrankheiten besser zu verstehen und neue Behandlungskonzepte zu entwickeln.

"Microbodies", winzige Körperchen, nannten sie ihre Entdecker Mitte der fünfziger Jahre. Mit Hilfe des Elektronenmikroskops waren die Wissenschaftler den unauffälligen Erscheinungen im Innern der Zelle auf die Spur gekommen. Einige Jahrzehnte lang führten die kleinen Organe der Zelle, man nennt sie Zellorganellen, ein "Schneewittchen-Dasein" – bis man ihre lebenswichtige Bedeutung erkannte. Heute werden die winzigen Körperchen "Peroxisomen" genannt. Diesen Namen haben die Zellorganellen von dem belgischen Biochemiker Christian de Duve erhalten: Er wies nach, daß die Peroxisomen bestimmte Enzyme, sogenannte Oxidasen, enthalten, die Wasserstoffperoxid produzieren. Außerdem beinhalten sie das Enzym Katalase, das die Peroxide abbaut. Im Jahr 1974 erhielt de Duve den Nobelpreis für die Entdeckung der Peroxisomen und die erstmalige Beschreibung weiterer winziger Zellpartikel, der Lysosomen. In den sechziger Jahren entwickelte Dariush Fahimi, einer der Autoren dieses Beitrags, an der Harvard Medical School in Boston eine Methode, um die Katalase mittels Licht- und Elektronenmikroskopie in Peroxisomen nachzuweisen. Die systematische Anwendung dieser Methode zeigte, daß die Peroxisomen unerläßliche Bestandteile jeder Zelle sind.

Mittlerweile ist bekannt, daß Peroxisomen eine funktionell und morphologisch heterogene Gruppe verwandter Zellorganellen sind, die in allen kernhaltigen Zellen (Eukaryonten) vorkommen und neben den genannten Enzymen des Wasserstoffperoxidstoffwechsels weitere Enzyme für den Abbau verschiedener Fette (Lipide) besitzen. Zusätzlich sind die Peroxisomen an der Biosynthese komplexer Fette (sogenannter Plasmalogene), des Cholesterins und der Gallensäuren beteiligt. Lichtmikroskopisch findet man die Peroxisomen besonders zahlreich in Leber und Niere; doch auch in anderen Organen kommen sie unterschiedlich häufig vor. Betrachtet man die Peroxisomen mit dem Elektronenmikroskop, wird sichtbar, daß eine feingranulierte innere Matrix von einer einfachen Hülle, einer Membran, umschlossen ist. Die Matrix kann bei unterschiedlichen Spezies verschiedene kristalline Einschlüsse enthalten. Manche Zellen beherbergen sehr lange, schlauchförmige Peroxisomen, die eine Länge von mehreren Mikron erreichen. In den meisten Zellen sind die Peroxisomen jedoch kugelförmig mit einem Durchmesser von rund 0,2 bis 0,5 Mikron.

Auffällig ist, daß sich die Leberperoxisomen einiger Wirbeltiere, vor allem der Nager, durch die Behandlung mit Xenobiotika (Fremdstoffe) stark vermehren lassen. Solche Fremdstoffe werden als "Peroxisomenproliferatoren" bezeichnet. Zu ihnen zählen Weichmacher aus der Plastik-industrie (Phthalate), Schmieröle und andere Erdölprodukte ebenso wie verschiedene lipidsenkende Pharmaka (Fibrate), Aspirin und körpereigene entzündungsfördernde Botenstoffe wie Prostaglandine und Leukotriene. Diese Beobachtungen legen nahe, daß Peroxisomen eine wichtige Funktion bei dem Abbau bestimmter Umweltgifte haben. In der Tat zeigen unsere Untersuchungen, daß sich Peroxisomen in der Verdauungsdrüse von Meeresmuscheln deutlich vermehren, wenn sie Umweltgiften ausgesetzt werden. Zur Zeit prüfen wir in einer Studie gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität Bilbao, Spanien, welche Bedeutung die Peroxisomenproliferation als Bioindikator für die Meeresverschmutzung haben könnte.

In der Medizin wurden die Peroxisomen im Jahr 1973 interessant. Damals wurde festgestellt, daß Patienten mit einer schweren genetischen Erkrankung, die mit Mißbildungen des Nervensystems, der Leber und Niere (Cerebro-Hepato-Renales Syndrom, CHRS) einhergeht, keine Peroxisomen in ihren Zellen haben. Obwohl das peroxisomentypische Enzym Katalase biochemisch in der Leber dieser Patienten nachweisbar war, konnten zytochemisch keine Peroxisomen nachgewiesen werden. Wegen dieser Diskrepanz wurden die ersten Fallberichte skeptisch behandelt. Mitte der achtziger Jahre konnten neue biochemische Verfahren die Rolle der Peroxisomen bei der Entstehung dieser Krankheit bestätigten. Die Entdeckung weiterer Erkrankungen führte zum Terminus "peroxisomale Erkrankungen". Heute werden fünfzehn sehr unterschiedliche Krankheiten unter diesem Oberbegriff zusammengefaßt.

Peroxisom im Innern der Zelle

Die Abwesenheit der Peroxisomen bei Patienten mit solchen Erkrankungen erweckte das Interesse der Zellbiologen. Sie wollten erforschen, woher die Peroxisomen eigentlich kommen und wie sie entstehen. Gleich zu Beginn der zellbiologischen Untersuchungen wurde festgestellt, daß – obwohl die peroxisomalen Krankheiten und vor allem das CHR-Syndrom für Menschen tödlich sind – die einzelnen Zellen dieser Patienten, etwa Bindegewebszellen, trotz defekter peroxisomaler Funktionen in Zellkultur weiterleben können. Dies machte es möglich, Zellkulturmodelle einzusetzen, um die Biogenese der Peroxisomen zu untersuchen und aufzuklären, wie die peroxisomalen Krankheiten entstehen. Als sehr erfolgreiche Zellsysteme erwiesen sich Zellkulturen von Hefezellen, zum Beispiel die Bierhefe Saccharomyces cerevisiae. Interessanterweise sind die Ergebnisse der Forschung mit Hefezellen bezüglich der Biogenese der Peroxisomen weitgehend auf den Menschen übertragbar: Die entsprechenden Gene blieben während der Evolution der Organismen weitgehend erhalten.

Woher stammen die Peroxisomen?

In den siebziger Jahren glaubten die Wissenschaftler, die Peroxisomen entstünden, indem sich kleine Bläschen vom Endoplasmatischen Retikulum (ER), einem weitverzweigten, röhrenförmigen Transportsystem innerhalb der Zelle, abknospen. Es zeigte sich jedoch, daß peroxisomale Proteine an freien Ribosomen (den "Werkbänken" der Proteinsynthese in der Zelle) synthetisiert werden. Unsere elektronenmikroskopischen Untersuchungen bewiesen, daß die Membranstrukturen, die man früher für Verbindungen zum Endoplasmatischen Retikulum hielt, peroxisomale Proteine enthalten und Teile eines neuen Peroxisoms sind. In manchen schnellwachsenden Zellen können Peroxisomen sehr lange tubuläre Formen annehmen, die miteinander verbunden sind, wofür man die Bezeichnung "peroxisomales Retikulum" vorgeschlagen hat. Heute steht fest, daß alle peroxisomalen Matrixproteine an freien, nicht an das Endoplasmatische Retikulum gebundenen Ribosomen entstehen und erst später in die Peroxisomen hineintransportiert werden. Für den Import in die Matrix der Peroxisomen erhalten diese Proteine eine Signalsequenz, die wie eine Postleitzahl funktioniert: Durch Bindung an spezifische Rezeptoren ("Ankerplätze") im Zytoplasma und in der Peroxisomenmembran bewirken sie die Einschleusung dieser Proteine in die Matrix der Peroxisomen.

Es gibt zwei solcher peroxisomalen "targeting"- Signale (PTS): ein sehr einfaches (PTS 1), das nur aus den drei Aminosäuren Serin, Lysin und Leucin (abgekürzt als SKL) besteht, und ein zweites komplexeres PTS 2. Im Gegensatz zu Proteinen der Mitochondrien (den "Kraftwerken" der Zelle), die auf ähnliche Weise importiert werden, können die Peroxisomen sogar gefaltete und oligomerisierte Proteine importieren. Selbst Goldpartikel von neun Nanometer Durchmesser, die mit SKL-haltigen Peptiden beschichtet sind, werden noch eingeschleust. Der genaue Mechanismus für den Import solch großer Partikel durch die Peroxisomenmembran ist ungeklärt. Es wird aber angenommen, daß die Peroxisomen die Proteine durch Einstülpung ihrer Membran (Endozytose) oder mit Hilfe regulierbarer Poren in ihrer Membran aufnehmen.

Bislang sind etwa 20 verschiedene Proteine identifiziert worden, die an der Biogenese der Peroxisomen beteiligt sind und als "Peroxine" (Pex1p bis Pex20p) bezeichnet werden. Die entsprechenden Gene werden "PEX-Gene" genannt. Das Protein Pex5p ist beispielsweise für den Import der SKL-haltigen Matrixproteine zuständig (PTS1-Rezeptor), während das Protein Pex7p der entsprechende Rezeptor für die PTS2-haltigen Proteine ist. Bei Veränderungen, Mutationen, der Gene für diese Rezeptor-Moleküle können die Matrixproteine nicht in die Peroxisomen importiert werden; sie werden trotz ihrer normalen Struktur im Zytoplasma abgebaut. In der davon betroffenen Zelle kommt es zum Zusammenbruch aller peroxisomaler Funktionen. In der Tat ist beim CHR-Syndrom, der schwersten peroxisomalen Erkrankung des Menschen, das Pex-Gen mutiert; es können aber auch andere Pex5-Gene defekt sein.

Peroxisomen im Zellinneren

Woher die Membran der Peroxisomen stammt, ist noch unbekannt. Während die Membranlipide wahrscheinlich am Endoplasmatischen Retikulum hergestellt werden, ist der exakte Mechanismus des Einbaus der Membranproteine noch unklar. Neuerdings wurden Peroxine identifiziert, die anscheinend in kleineren Vesikeln (Bläschen) lokalisiert sind, die dem Endoplasmatischen Retikulum entstammen könnten. Deshalb wird in letzter Zeit wieder intensiv diskutiert, ob das Endoplasmatische Retikulum vielleicht doch für die Entstehung der Peroxisomenmembran notwendig ist.

Biogenese der Peroxisomen

Die aktuelle Vorstellung von der Biogenese der Peroxisomen sieht folgendermaßen aus: Die Rolle des Endoplasmatischen Retikulums ist noch nicht eindeutig geklärt; das Konzept der Neubildung der Peroxisomen aus bereits vorhandenen Partikeln jedoch allgemein akzeptiert. Die peroxisomalen Proteine werden im Zytoplasma an freien Ribosomen synthetisiert und mit entsprechenden Zielsignalen ("Postleitzahlen") versehen, um ins Peroxisom zu gelangen. Während die Peroxisomen in den meisten ausgereiften Zellen unter normalen Bedingungen eine Kugelform besitzen und sich durch Teilung vermehren (konstitutiver Weg), können sie nach starker Anregung (beispielsweise durch Wachstumsfaktoren oder Xenobiotika) lange tubuläre Formen annehmen, die sich dann wieder in kleine Kugeln zerteilen (induzierter Weg). Der Ausfall bestimmter Peroxine führt zu Störungen der Neubildung und des Imports von Matrixproteinen. Auch die Teilungsfähigkeit und die Vermehrung (Proliferation) sind beeinträchtigt.

Wenn die Peroxisomen fehlen

Die Krankheiten, die heute auf Funktionsstörungen der Peroxisomen zurückgeführt werden, unterteilt man in zwei Gruppen:
• peroxisomale Biogenesestörungen, in denen mehrere Funktionen der Peroxisomen gestört sind und
• peroxisomale Einzelenzymdefekte, in denen nur ein einziges peroxisomales Protein verändert zu sein scheint.
Während bei der ersten Kategorie morphologisch erkennbare Peroxisomen fehlen, sind sie bei der zweiten Gruppe mikroskopisch nachweisbar.

Ein Beispiel für eine Erkrankung, bei der eine wichtige Funktion der Peroxisomen gestört ist, stellt die Adreno-leukodystrophie dar. Diese vererbte Krankheit (das veränderte Gen liegt auf dem X-Chromosom) ist die häufigste und am besten charakterisierte Peroxisomenerkrankung mit einem Vorkommen von 1:20 000 bis 1:100 000 Geburten. Sie ist gekennzeichnet durch schwere Schäden der "Schutzhüllen" (Myelinscheiden) der Nerven. Die Schäden treten vor allem in der weißen Hirnsubstanz auf, deshalb der Name Leukodystrophie. Außerdem ist bei den Patienten die Funktion der Nebennierenrinde (Adreno-...) stark beeinträchtigt. Die ersten Krankheitsfälle mit X-gebundener Adrenoleukodystrophie (X-ALD) wurden bereits 1923 als "Bronzekrankheit und sklerosierende Enzephalomyelitis" beschrieben. Die Beziehung zum gestörten Fettstoffwechsel wurde jedoch erst fünfzig Jahre später deutlich, als sich in der Nebennierenrinde von Patienten kristalline Einschlüsse fanden, die aufgrund der Ablagerung großer Mengen langkettiger Fettsäuren entstanden waren. Da ähnliche Einschlüsse auch bei einer anderen Form der peroxisomalen Krankheiten vorkommen, hat man einen Defekt der Peroxisomen bei der ALD zwar vermutet, zunächst aber ausgeschlossen, weil diese Patienten morphologisch identifzierbare Peroxisomen in der Leber besaßen. Erst als Mitte der achtziger Jahre die ausschließliche Oxidation der langkettigen Fettsäuren in Peroxisomen nachgewiesen wurde, kam man darauf, daß es sich bei der X-ALD um einen Einzelenzymdefekt der Peroxisomen handeln könnte.

Das Gen für X-ALD wurde 1993 auf Chromosom Xq28 identifiziert. Das Genprodukt (ALD-Protein=ALDP) ist ein Transporter-Protein in der Peroxisomenmembran. Es transportiert die langkettigen Fettsäuren in die Matrix, damit sie dort abgebaut werden können. Durch Mutationen des ALDP kommt es zu unterschiedlichen Manifestationsformen der Krankheit. Deren erste Symptome können im Säuglings-, im Jugend- oder erst im Erwachsenenalter auftreten. Im allgemeinen scheint die Verlaufsform der Erkrankung um so schwerer, je früher sich erste Symptome der ALD zeigen. Bei extremen Verlaufsformen kann das Leiden bereits im Kindesalter zum Tod führen. Bei diesem Krankheitsbild lagern sich die langkettigen Fettsäuren, die in Peroxisomen nicht abgebaut werden können, an die Myelinscheiden der Nerven und rufen dort Entzündungen hervor. Die weiße Hirnsubstanz wird dadurch zerstört, wodurch die unterschiedlichen Symptome der Erkrankung hervorgerufen werden.

Der Film "Lorenzos Öl", der auf einem wahren Fall beruht, zeigt die Entwicklung der neurologischen Symptome wie Gleichgewichtsstörungen, Taubheit und Krämpfe bei einem sehr intelligenten Schulkind namens Lorenzo. Im Film versuchen Lorenzos Eltern durch Selbststudium und engagierte Eigeninitiative die Ursache der Erkrankung und mögliche Behandlungsmethoden in Erfahrung zu bringen. Obwohl es den Eltern gelingt, den Blutspiegel der "toxischen" Lipide mit einer Spezialdiät aus ungesättigten Fettsäuren (Glyceroltrioleat und Glyceroltrierucat = Lorenzos Öl) zu normalisieren, bleiben die schweren Hirnschäden, die in der akuten Phase der Erkrankung entstanden waren, unverändert erhalten. Als einzige zuverlässige Therapieform für die schweren Verlaufsformen der X-ALD scheint zukünftig nur die Gentherapie – also die Reparatur oder der Austausch des defekten Gens – in Frage zu kommen. Einer französischen Arbeitsgruppe gelang es in Laborversuchen, den abnormalen Fettsäureabbau in Bindegewebszellen von Patienten mit X-ALD durch die Übertragung eines gesunden Gens über mehrere Monate zu korrigieren. Ob dies auch bei Patienten gelingt, bleibt abzuwarten.

In den letzten zwei Jahren ist es weltweit drei Gruppen (eine Gruppe arbeitet im Zentrum für Molekulare Biologie in Heidelberg, ZMBH) gelungen, das X-ALD-Gen auszuschalten und so ein "Knockout"-Mausmodell für die X-ALD zu entwickeln. Die Tiere lagern zwar die abnormalen Fettsäuren in verschiedenen Organen – etwa Gehirn und Nebennieren – ab, sie entwickeln aber keine Entzündungsreaktionen im Nervensystem. Dementsprechend zeigen sie – im Unterschied zu X-ALD-Patienten – auch keine neurologischen Ausfälle.

Peroxisomen

Das zweite Beispiel einer Peroxisomenkrankheit ist das Cerebro-Hepato-Renale Syndrom (CHRS). Nach seinem Erstbeschreiber Hans Zellweger (einem Amerikaner Schweizer Abstammung) wird es auch als Zellweger-Syndrom bezeichnet. Bei dieser seltenen Erkrankung ist die Biogenese der Peroxisomen gestört. Weil alle peroxisomalen Stoffwechselwege komplett ausfallen, sterben die betroffenen Kinder meist noch während des ersten Lebensjahres. Die Säuglinge haben häufig einen typischen Turmschädel mit weit offenen Knochenlücken (Fontanellen) und weisen eine generell herabgesetzte Muskelspannung (generalisierte Hypotonie) auf. Das CHRS ist ein Multiorgan-Krankheitskomplex, der durch Entwicklungsstörungen im Gehirn, die mit Krampfanfällen, Blindheit und Taubheit und schwerer generalisierter Hypotonie einhergehen, sowie chronische Gelbsucht mit Leberfibrose/-zirrhose und Nierenzysten gekennzeichnet ist. Außerdem können Entwicklungsstörungen des Skeletts, der Genitalien und ein Versagen der Nebennierenrindenfunktionen auftreten. Es ist bis heute unklar, welche dieser Symptome primär durch mangelhafte Peroxisomenfunktionen und welche durch dadurch entstehende giftige Stoffwechselprodukte hervorgerufen werden. Diese tödliche Erkrankung zeigt jedenfalls, von welch lebenswichtiger Bedeutung die Peroxisomen für den Menschen sind.

Leider sind die Therapiemöglichkeiten für Patienten mit Zellweger Syndrom nur sehr beschränkt, da bereits zum Zeitpunkt der Geburt ausgeprägte Entwicklungsstörungen und Mißbildungen vorhanden sind. In Zukunft könnte jedoch möglicherweise eine Gentherapie in Erwägung gezogen werden, da den peroxisomalen Biogeneseerkrankungen einzelne defekte Gene zugrundeliegen, deren Ausfall durch die Übertragung gesunder Gene korrigiert werden könnte.

Im letzten Jahrzehnt wurden die technischen Voraussetzungen für die Züchtung von "Knock out"-Mäusen als Tiermodelle für menschliche Krankheiten, die durch Defekte von einzelnen Genen hervorgerufen werden, entwickelt beziehungsweise wesentlich verbessert. Da die Aufklärung der peroxisomalen Biogenese und der beteiligten Gene erst in den letzten Jahren vorangeschritten ist, wurden bislang kaum derartige Mausmodelle für peroxisomale Erkrankungen etabliert. Das im folgenden beschriebene "Knock out"-Mausmodell für das Zellweger Syndrom ist das erste Tiermodell für eine peroxisomale Biogenesestörung.

Für die Züchtung dieser "Zellweger-Maus" haben wir das Gen für den wichtigsten Importrezeptor der peroxisomalen Matrixproteine (PTS1-Rezeptor = Pex5p) ausgeschaltet. Dieses Gen ist auch bei einer Untergruppe der Zellweger-Patienten als defekt bekannt. Die Charakterisierung von 196 Mäusefeten bestätigte eine eindeutige autosomal-rezessive Vererbung des PEX5-Defektes. Bei den Tieren, denen beide Gene fehlen ( reinerbig=homozygot negative Tiere, PEX5-/-), waren in der Leber weder Boten-Ribonukleinsäure ( mRNA) noch das Protein für Pex5p nachweisbar. Dies belegt den erfolgreichen "Knock out" des PEX5-Gens. Alle neugeborenen Zellweger-Mäuse konnten aufgrund ihrer bereits in der mütterlichen Gebärmutter zu beobachtenden Wachstumsstörungen von den mischerbigen (heterozygot: Sie haben ein gesundes und ein krankes Gen, wobei das gesunde Gen das kranke ausgleicht) "gesunden" Tieren unterschieden werden. Außerdem weisen die Zellweger-Mäuse, denen beide Gene fehlen, eine allgemeine Muskelschwäche und eine fehlende Muskelspannung (Hypotonie) auf, die mit den Symptomen der Patienten mit Zellweger Syndrom vergleichbar sind. Ein deutliches Zeichen der geschwächten Muskulatur ist die Unfähigkeit zu saugen, was innerhalb von 72 Stunden nach der Geburt zum Tode dieser Mäuse führt.

Obwohl die Ergebnisse von "Knock out"-Mäusen nicht generell mit dem entsprechenden menschlichen Krankheitsbild vergleichbar sind, stimmen die klinischen Symptome der PEX5-/- Mäuse mit den Symptomen von Patienten mit Zellweger-Syndrom beinahe vollständig über-ein, ebenso die biochemisch-serologischen Parameter und die krankhaften Veränderungen. Die Mäuse sind deshalb ein ideales Tiermodell, um die Entstehung peroxisomaler Biogeneseerkrankungen besser zu verstehen und neue Therapiekonzepte zu entwickeln.

Autoren:
Prof. Dr. H. Dariush Fahimi und Priv.-Doz. Dr. Eveline Baumgart
Institut für Anatomie und Zellbiologie, Im Neuenheimer Feld 307, 69120 Heidelberg,
Abteilung Medizinische Zellbiologie,
Telefon (0 62 21) 54 86 56

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