Ein Forschungsschlumpf im bürgerlichen Trauerspiel

Studium ohne Forschung und Forschung ohne Studium?

Eines Tages – ich wollte spontan ein Seminar besuchen, das für mich eigentlich gar nicht vorgesehen war – irrte ich durch die betriebsamen Flure der schönen Neuen Universität (brave new university) und versuchte, meinen Seminarraum zu finden. Wenig hoffnungsvoll fragte ich ein paar Studenten, die sich aus Nervosität naturgemäß in einer Ecke zusammengeschart hatten, ob sie mir helfen könnten. Sie konnten nicht. Aber in dem Raum da vorne, wie man mir bedeutungsschwer deutete, da säßen jedenfalls nur die Forschungsschlümpfe: Dieses Seminar könnte ich also nicht meinen. Etwas irritiert ging ich meiner Wege, halb Schlumpf, halb Student.

Wenige Tage danach saß ich in meinem Cambridger College, das mich während meines schlumpfigen Forschungsaufenthalts beherbergte, beim gemeinsamen Abendessen, und da mir diese Begegnung noch immer im Kopf herumgeisterte, erzählte ich von dieser merkwürdigen Begebenheit. Mit dem ernüchternden Ergebnis, dass ich den Witz anschließend umständlich erklären musste, da meinen Zuhörern die Unterscheidung von »normalen Studenten« und »Forschungsschlümpfen« noch weniger einleuchten wollte, als ich sie damals selbst begriffen hatte. Von da an jedenfalls war ich allgemein bekannt als der »german Forschungsschlumpf«.

Studenten vs. Forscher?

Warum aber zeichnet man eine so scharfe und abschätzige Differenz von Studenten und Forschenden überhaupt ein? Wofür ist eine solche Bezeichnung symptomatisch? Ist ein forschender Student irgendwie eine lächerliche Vorstellung? Sollte es nicht so sein, dass der Studierende immer auch forscht und der Forschende zugleich studiert?

Immerhin hängt »forschen« etymologisch mit »fragen«, »prüfen« und »suchen« zusammen; »studieren« aber heißt, so paraphrasiert das Paulsche Wörterbuch das lateinische »studere«, »sich aufmerksam, ernst und fleißig einem (wissenschaftlichen) Gegenstand widmen«. Der lebenslang lebendige Geist, so sollte man zumindest meinen, kennt keine Grenzen zwischen Studenten, die während ihres Studiums immer auch forschen und Forschern, deren Forschung immer auch ein fortgeführtes Studieren ist. Die Realität aber, die schlumpfige, sieht anders aus.

Es fängt an mit einem Studium ohne Forschung, das nahtlos an die Schule anknüpft, wo es so etwas Merkwürdiges wie Forschung ja leider auch nicht gibt. Forschen bedeutet, sich selbst auf den Weg zu machen, neugierig zu sein und selbstbestimmt zu arbeiten. Es ist geprägt von Eigenständigkeit und Kreativität, es generiert neues Wissen. Ein verschultes Studium aber sieht so aus: Auswendiglernen, Repetieren, Wissenskapital anhäufen, copy and paste, Gruppenreferate, PowerPointpräsentationen, Klausuren vor und nach dem Kurs, Anmeldungsmodalitäten, Anwesenheitspflicht, Notenstress, Abgabetermine. Dazu kommen Hausarbeiten, deren Themen vorgegeben sind, Dozenten, die abweichende Themen, die irgendwie vom common sense abweichen, nicht annehmen, und Prüfungsthemen von der Stange – da kann man nichts falsch machen, aber auch nichts richtig. Wer »bürgerliches Trauerspiel« als Prüfungsthema wählt, weil es da nicht viel gibt und dazu genug vorformuliert ist, der führt ein eben solches Trauerspiel auf. Studieren heißt also: nicht forschen.

Es geht weiter mit einer Forschung ohne Studium. Ob die Dissertation angenommen und gefördert wird, ob man an einem Forschungsprojekt teilnehmen oder gar eines initiieren kann, ist fraglich. Denn erforscht wird, was man schon weiß, man entdeckt, was man vorher in Phrasen selbst verborgen hat. Eigeninitative ist unerwünscht, dafür aber gerne die Beteiligung an großen Clustern wie »Das Universum und der Mensch in Hinsicht auf das Leben«. Die Teilnahme am Kollektiv, Prolongation der Schule, ist nahezu obligatorisch: Graduiertenschule, Kollegs, interdisziplinär und international. Übrigens lernt man in der Graduiertenschule, was das Wichtigste ist, nämlich wie man Drittmittel einwirbt und networking betreibt – die ausgeklüngelten Drittmittel machen schließlich mittlerweile die Hälfte des Geldes der Universität überhaupt aus. Und nicht zuletzt ist die in einem solchen Kompetenzzentrum geschulte Kompetenz, kompetent zentrale Drittmittel einzuwerben, ein hartes Kriterium bei der kompetenten Vergabe von Professuren (bei Fragen hierzu kann man sich auch an den Career Service wenden, übrigens in Public Private Partnership mit MLP).

Statt Offenheit und Vielfalt der Forschung zu fördern, individuelle engagierte Projekte, mündet die Forschungsförderung unspezifisch im breiten Flussbett des mainstream. Die Drittmittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft wirken so als ökonomische Zwangskeule, während doch nur eine stabile und ausreichende Grundförderung die Freiheit des Forschens tatsächlich gewährleisten würde. Stattdessen heißt es, die Maxime des double-bind, sei spontan, sei frei, sei innovativ: mach, was wir vorschreiben, tue es genau so, bestätige das Alte.

Man ist nur damit beschäftigt, Anträge zu schreiben, um genug Zeit und Mittel zu haben, den nächsten Antrag zu verfassen, und so geht es ad infinitum immer weiter. Das Ergebnis und das Interesse müssen mit der Erwartung und den Interessen der Förderungsvereinbarung übereinstimmen, nicht mit dem des Forschers. Abweichendes jenseits alles ökonomischen und prestigegetränkten Kalküls hat wenig Chance. Was sich Forschungsförderung nennt, ist in Wirklichkeit Forschungslenkung und Forschungsverhinderung, ohne dass irgendwer über die Motive öffentlich Rechenschaft ablegen müsste. Systematisch wird die Verantwortung für diesen Missstand verschleiert (siehe S. 3-5). Forschen heißt also: nicht studieren.

Universität ohne Studenten und Forscher

Studium und Forschung, so lässt es sich auf den Punkt bringen, durchziehen inzwischen die gleichen absurden Strukturen, die verhindern, dass ordentlich studiert und richtig geforscht werden kann. Ein Forscher aber, der nicht mehr studiert, der schon alles weiß, was man wissen muss, und sich um nichts mehr bemüht, ist kein Forscher, und ein Student, der nicht forscht, weil er gar nichts Neues wissen will, weil er nur wissen muss, was geprüft wird, wird nie ein richtiger Forscher werden. Eine Universität ohne Studenten und ohne Forscher? Wo sich keiner mehr bemüht, zu lernen und zu wissen? Kollektiver Opportunismus statt individuellem Eros des Forschers?

Statt Mündigkeit zu fördern, wird jedenfalls der Gestus der Unterwerfung eingeübt, statt Kritikfähigkeit ist Assimilation gefordert. Die Exzellenzinitiative z.B. verordnet Forschung (»Top-down«): Sie initiiert, diktiert, was zu tun ist, anstatt dass individuelle Forscher selbst die Möglichkeit haben, die Initiative zu ergreifen (»Bottom-up«). Nicht etwa stellt man dem Forscher einen individuellen Freiraum zur Verfügung, man zwingt ihm unsinnige Rahmenbedingungen auf.

Der lebendiger Geist aber ist ein kritischer Geist. Denn sich zu bilden, hat durchaus ethische Implikationen. Nicht-Wissen-Wollen dagegen, Wissen zu verhindern, ist Barbarei. Sich selbst zu bilden, zu studieren, braucht freie Entfaltung, genauso wie Forschung sie nötig hat. Das bedeutet, Bedingungen zu schaffen, die von Offenheit geprägt sind, die auch Interessen zulassen, die riskant sind, die alte Routinen durchbrechen. Eine freiheitliche Demokratie, die sogenannte Bildungsrepublik Deutschland muss diese ihre eigensten Interessen vertreten, anstatt nivellierende Forschungsförderung illegitim und intransparent zu delegieren.

Noch aber wird Abweichung auf allen Ebenen sanktioniert. Man lernt, sich wie von selbst, wie von einer unsichtbaren Hand geführt, in eben jenen Bahnen zu bewegen, die einem strukturell scheinbar vorbestimmt sind. Die Erde steht im Mittelpunkt des Universums, der lebendige Geist tönt Sphärenmusik, Forschungsschlümpfe erforschen den Nabel der Welt, ihren eigenen, und die Studenten bemühen sich, nicht einzuschlafen bei der nächsten PowerPointpräsentation über ihre nächste Prüfung. Irgendwo blitzt etwas auf und vergeht in das dunkle Einerlei des Hochschulalltags. Und irgendwann wird aus dem Schnarchstudenten dann tatsächlich: ein Forschungsschlumpf.

Gregor Babelotzky

 

erschienen in un!mut no. 213: Wer wie wissen schafft – und abschafft vom 11. Juli 2011

Letzte Änderung: 05.11.2011
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