Planwissenschaft: Konsequenzen für die Uni
55% der Personalstellen an der Universität Heidelberg sind von Drittmitteln abhängig. Der größte Teil der Mittel kommt von der DFG (auch als Financier der Exzellenz). Diese Drittmittel fließen hauptsächlich in die Forschung und die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Das Gewicht der Drittmittel in diesen Bereichen stellt eine Abhängigkeit dar und ist strukturbildend.
Das Land als Träger der Universität zieht sich finanziell zurück, die Universität muss ihre Bemühungen um Finanzen aus dritter Hand intensivieren. Sie ist Bittstellerin, was sie niemals zugeben würde; stattdessen zeigt sie nur ihre nehmende Hand und versteckt die Gehorsam gebende fingerkreuzend hinterm Rücken. Sie postuliert die Wissenschaftsfreiheit als Maß aller ökonomischer und struktureller Hochschulpolitik, hat aber das Programm ihrer mächtigsten Geldgeber zum Leitfaden hochschulinterner Reformen gemacht. Das führt entweder zu einem schmerzhaften argumentativen Dilemma: Das I-A des Geldesels muss in eigensinniges Geschnatter übersetzt werden, obwohl man nur einen Papagei zur Hilfskraft hat. Oder es führt zu einem Zynismus, demzufolge jede noch so krasse Widersprüchlichkeit als benutzbares Sprüchlein gebraucht wird, wie das Amen in der Kirche vor des Pastors Sprung ins Nonnengemach.
Struktur-Propaganda
So folgt die vom Senat der Universität veröffentlichte Empfehlung zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses (http://www.uni-heidelberg. de/einrichtungen/organe/senat/nachwuchs.html) wiederum den Empfehlungen des Wissenschaftsrates und der Hochschulrektorenkonferenz: zur »flächendeckenden« (Planquadrat Wissenschaft) Einführung strukturierter Promotionsprogramme: »Die Universität Heidelberg ist auf diesem Weg bereits ein gutes Stück vorangekommen…« Demgegenüber wird das alte Lied von der Individualität des Wissenschaftlers aus dem letzten Loch gepfiffen: »Es bereitet Sorge, dass die Promotionsförderung immer stärker ausschließlich auf strukturierte Promotionsprogramme ausgerichtet wird. Die Universität Heidelberg setzt sich mit Nachdruck für eine Beibehaltung auch der Einzelförderung ein. Dennoch müssen in allen Fakultäten die Bemühungen verstärkt werden, strukturierte Promotionsprogramme anzubieten.« Das »Dennoch müssen…« wird in der Senatsempfehlung nicht anders erläutert als durch die Empfehlung zu dem, was sein soll.
Wer promovieren möchte, kann dies nach wie vor unabhängig von den Strukturprogrammen der Kollegs und dergleichen machen. Das Beratungs- und Verführungsangebot der Uni konzentriert sich jedoch auf diese (vor allem in der Graduiertenakademie). Neben der Struktur, die die Promotion verschult und damit unerfahrenen Wunschgraduierten Geborgenheit bietet, sind es Erfolgsquoten, die den neuen Weg empfehlen. Doktoranden in strukturierten Promotionsprogrammen kommen häufiger und schneller zum Absch(l)uss. Das bietet nicht nur eine hochschulpolitisch beruhigende Statistik, es kommt auch dem Wunsch vieler Studenten, schnell mit Titelei ins Berufsleben zu marschieren, entgegen. Keiner hat jedoch bisher gefragt, ob die Arbeiten der Turbopromoventen auch qualitativ den alten Stil des langwierigen und risikoreichen Forschens übertrumpfen. Es ist zu bezweifeln, dass die Geldgeber für Promotionsprogramme eine Durchfallquote und Promotionsdauer wünschen, wie sie der Individualpromotion unterstellt werden. Nein, die Investition soll sich ja lohnen, eine Erfolgsstatistik den Ruhm selbstloser Wissenschaftsförderung sichern.
Strukturiertes Promovieren bietet den Doktortitelaspiranten eine weitere Bequemlichkeit, die deren Erfahrung aus dem Studium entspricht, Hausarbeitsthemen vorgegeben zu bekommen: Sie haben Rahmenthemen. Bei der Recherche dazu muss ich unaufmerksam gewesen sein, denn mir blieb völlig unersichtlich, ob die Idee sei, dass Doktoranden nur Themen initiieren dürfen, die durch die Strukturprogramme vorgegeben werden, oder ob die Meinung herrscht, diese Programme deckten sämtliche relevanten Themen gegenwärtiger Forschung ab. Wenn beides nicht der Fall ist, bleibt nur drittens: dass die Themen der Programme Worthülsen sind, in die jedes beliebige Thema eingepflockt werden kann.
Die Themenformulierung ist politisch ambitioniert, schöpft aus aktuellen Diskursen. Das ist hübsch anzusehen angesichts des Anspruchs der Forschung, aktuelle Diskurse zu analysieren. Als Worthülsenfrucht sind die Programme aber vor der Gefahr gefeit, ein vorgegebenes Ergebnis lediglich zu bestätigen, weil ihr inneres Vakuum durchaus auch tatsächlicher Forschung Raum lässt. Doch wozu dann die Hülse, wenn man auch von vornherein das Ziel offen lassen kann?
Konsequenzen für die Hochschullehre
Das mag alles so klingen, als ginge es die StudentInnen ohne Ambition auf die Promotion nichts an. Da sind jedoch zwei Aspekte, die auch im Studium ihren Niederschlag haben: ein ökonomischer und ein anthropologischer. Als die Studiengebühren eingeführt wurden, konnten die Universitäten ihre Investitionen in die Lehre reduzieren. Dies geschah gleichzeitig mit der Steigerung der Drittmitteleinwerbung für die Forschung. Insgesamt wurde das Land als Träger der Unis also finanziell entlastet. Mit der Abschaffung der Studiengebühren werden wieder neue Lasten aufgeladen. Der Ausgleich des Finanzausfalls durch Wegfall der Gebühren ist Programm der neuen, grün-roten Regierung. Guter Wille schafft jedoch keinen vollen Geldbeutel. Der Ruf nach einer stärkeren Investition des Bundes in die Hochschullehre wird lauter werden. Ein Exzellenz-Programm der Lehre hat schon stattgefunden, und wenn man sich die hier präsentierten Projekte anschaut, ergreift einen das nackte Entsetzen. An der Universität Freiburg wurde der sogenannte IndiTrack (für Individual Track) prämiert, der es den StudentInnen ermöglichen soll, ein nach individuellen Bedürfnissen gestaltetes zusätzliches Studienjahr zu absolvieren. Was einmal selbstverständlich war, wird durch solchen Klamauk zur pädagogischen Innovation erklärt. Statt ihre Zeit in Lehre zu investieren, wird von Dozenten erwartet, gesunden Menschenverstand in trendiges Pädagogen-Denglisch zu übersetzen und die Förderungsbürokratie am Laufen
zu halten.
Die erste Rund dieser Exzellenz hat ebenso wenig genügt, finanzielle Engpässe zu beheben – was auch nicht der offizielle Zweck, jedoch der eigentliche Nutzen ist – wie es bei der Exzellenz der Forschung der Fall war. Neue Exzellenzen müssen folgen, alles muss exzellent werden, damit der Bund endlich wieder die Unis finanzieren darf und die Länder sich aufs Straßenbauen konzentrieren können.
Hundertschaften von Uniangestellten werden Projekte aus ihren Fingern saugen, um einen Brocken der Prämie zu erhaschen. Womit wir zum anthropologischen Aspekt des Themas kämen. Professoren sind als Angestellte der Uni verpflichtet, Drittmittel einzuwerben – ein arbeitsrechtlicher Skandal. Und es wäre naiv zu glauben, den größten Teil der Arbeitszeit mit der Produktion von Worthülsen zu verbringen, würde nicht den Charakter prägen. Ihr werdet gebrochene oder zynische Dozenten haben. Die Leistung des Akademikers wird hin zum Antragschreiben und Projekte-Erfinden verlagert. Auf diese Praxis müssen sich alle einlassen, die eine Stelle an der Uni anstreben, auch studentische Hilfskräfte. Jeder, der nach einer Exzellenz der Lehre ruft, befördert diesen Trend.
Um an Renommee und ein paar Kröten zu kommen, konzipiert ein Innovations-FRONTIER (uni-heidelberg.de/excellence/concept/frontier_de.html) etwa ein Computerprogramm, das Hausarbeiten automatisch bewertet. Dafür lässt die DFG sicherlich was springen. Frontier, ein Exzellenz-Fond der ersten Stunde, »unterstützt risikoreiche, aber auch überaus erfolgversprechende Forschung« – durch solche programmatischen Widersprüche werden wir zu Vierfüßlern degradiert.
Die Frage, ob Einzel- oder »Cluster«-Forschung in der Wissenschaft vorzuziehen sei, ist von grundsätzlicher Bedeutung für die Struktur der Universität. Der akademische Nachwuchs ist selbstverständlich zur individuellen Qualifikation verpflichtet. Die strukturierte Promotion ändert daran nichts, soll lediglich Infrastrukturen verbessern. Die Rechenschaft für wissenschaftliche Qualität geht immer vom Subjekt aus. Anders die ökonomische Legitimierung, wie sie von der DFG propagandiert wird. Maßstab für die Förderungswürdigkeit sind unter einem Projekttitel versammelte Gruppen, etwa ganze Fakultäten oder kleinere, am besten interdisziplinäre Zusammenschlüsse. Die Praxis solcher Konglomeratsforschung kommt aus den Naturwissenschaften, wo die Anschaffung teurer Geräte die gemeinsame Nutzung von vielen Forschern ökonomisch notwendig macht. In den Geisteswissenschaften ist diese Bedingung nicht gegeben.
Die Voraussetzung für die Cluster-Förderung ist allein ein Interesse des Geldgebers, nämlich die Kalkulierbarkeit der Investition. Forschung ist immer mit dem Risiko des Scheiterns verbunden – sonst wäre es Verwaltung. Mit der Cluster-Förderung wird versucht, die Möglichkeit des Scheiterns auszuschließen, indem der Erfolg des Projekts durch die Projektbildung eintritt. »Exzellent« ist eine Uni dadurch, dass sie für ihre Projektvorschläge prämiert wird, nicht durch die Ergebnisse der Projekte.
Leonard Keidel
erschienen in un!mut no. 213: Wer wie wissen schafft – und abschafft vom 11. Juli 2011