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Dr. Andreas Franzke
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Ein „lebendes Urmeter“ aus Peru

Der Botanische Garten Heidelberg

Kurzbeschreibung:

Kakteen

Alle Fotos: Botanischer Garten

Kakteen

In seinen Schwerpunktsammlungen konzentriert sich der Botanische Garten auf tropische Orchideen, Ananasgewächse (Bromelien) sowie Trockenpflanzen, vor allem aus Madagaskar. Auf 4.000 Quadratmetern Gewächshäuser, von denen etwa die Hälfte öffentlich zugänglich sind, und auf rund 3 Hektar Freiland sind darüber hinaus zahlreiche weitere Pflanzenarten von Kakao bis Kohl und von Fleischfresser bis Farn zu finden. Bäume aus aller Welt sind im sogenannten Arboretum auf kleinem Raum versammelt. Verschiedene geobotanische Anlagen verdeutlichen bestimmte Landschaftsformen mit der jeweiligen Flora, darunter etwa eine Binnendüne, Heideland oder eine alpine Umgebung. Nicht zuletzt ist auch ein Systemgarten Teil der Anlage. Er bildet die Ordnung des Pflanzenreichs im Kleinen ab: Je näher beieinander die Arten gepflanzt sind, desto enger ist ihre Verwandtschaft.

Ein wesentliches Merkmal des Gartens – das unterscheidet ihn auch von einem Park – ist die Inventarisierung aller Pflanzen So lassen sich aus einer Datenbank für jedes Individuum Angaben zu Sammler, Fundort und Fundzeit abrufen, denn für die wissenschaftliche Arbeit zählt die Provenienz, nicht unbedingt die Schauwürdigkeit der Pflanzen. Daher sind im Botanischen Garten auch fast nur Wild- und keine Zuchtformen zu sehen. Die große Bedeutung der Dokumentation verdeutlicht auch das Herbarium HEID, eine Art Bibliothek getrockneter und gepresster oder durch Einlegen in Alkohol konservierter Pflanzen und Pflanzenteile. Sie ergänzt die Lebendsammlungen des Gartens. Nicht zuletzt bildet eine Vielzahl von Saatgutproben aus der Familie der Kohlgewächse einen „schlafenden Genpool“ im Bestand des Gartens.

Umfang der Sammlung:

Die Lebendsammlung umfasst etwa 6.000 Arten. Die Datenbank des Botanischen Gartens verzeichnet rund 15.000 Aufsammlungen, also in einem einzelnen Datensatz belegte Pflanzen, mit etwa 70.000 Individuen, einige davon sind bisher noch unbestimmt. Im Herbarium finden sich 350.000 Belege, darunter 8.000 Alkoholpräparate. Dazu kommen Tausende von Saatgutproben.

Existiert seit:

Bereits 1593 wurde in der Nähe des Heidelberger Schlosses ein Medizinalgarten geschaffen, über die Jahrhunderte wechselte der Garten mehrfach seinen Standort. Seit 1915 ist der Botanische Garten im Neuenheimer Feld angesiedelt. Die ältesten Belege im Herbarium stammen vom Anfang des 19. Jahrhunderts.

Nutzung in Forschung und Lehre:

Kakteen
Systemgarten

Im Botanischen Garten werden Pflanzen für zahlreiche Qualifikations- und Forschungsarbeiten kultiviert. Neben lebenden Objekten stellt der Garten auch Pflanzenteile als Probenmaterial zur Verfügung, etwa für die Erforschung von Verwandtschaftsbeziehungen mithilfe von Erbgutanalysen. Die Dokumentation der Pflanzenherkunft erlaubt es auch, die Raum-Zeit-Bewegungen einzelner Arten nachzuvollziehen und so etwa zu zeigen, ob sie vor- oder nacheiszeitlich an den jeweiligen Ort gekommen sind oder wie sie sich verbreitet haben.

In den Sammlungen des Botanischen Gartens finden jährlich Lehrveranstaltungen für mehrere Hundert Studierende aus der Biologie, Medizin und Pharmazie statt. Unter anderem werden hier botanische Grundlagen vermittelt, etwa zur Ordnung des Pflanzenreichs, wie sie der Systemgarten deutlich macht. Für Laborpraktika wird regelmäßig Pflanzenmaterial zur Verfügung gestellt.

Nutzung für die breite Öffentlichkeit:

Das Gartengelände steht Besuchern ganzjährig offen, die Schauhäuser sind täglich außer samstags geöffnet. Mehrere Zehntausend Menschen nutzen jedes Jahr die Möglichkeit zu einem Besuch. Darüber hinaus bietet die „Grüne Schule“ ein breites Angebot von Führungen und Workshops bis hin zu Kindergeburtstagen. Die rund 350 Veranstaltungen im Jahr ziehen etwa 4.700 Teilnehmer aller Altersstufen an.

Das sagt der Wissenschaftliche Leiter des Botanischen Gartens, Dr. Andreas Franzke:

„Wir sind kein Park. Unsere Aufgaben sind Forschung, Lehre und öffentliche Bildungsarbeit. Botanische Gärten sind die weltweit größten Sammlungen von Biodiversität außerhalb der Natur. Unser Garten will ein Bewusstsein für diese Vielfalt schaffen und die Wahrnehmung für die zahllosen Facetten der Pflanzenwelt schaffen – auch jenseits einer wissenschaftlichen Herangehensweise. Projekte für die Zukunft gibt es viele: Zum Beispiel wollen wir das Tropenhaus weiter geographisch ordnen. Darüber hinaus planen wir, im Sukkulentenhaus einen Madagaskarschwerpunkt aufzubauen , um unserer bemerkenswerten Sammlung von Madagaskarpflanzen mehr Geltung zu verschaffen. Leider gibt es im Garten einen langjährigen Sanierungsstau. Unter anderem wären an vielen Gewächshäusern Außenbeschattungen als Hitzeschutz wünschenswert und auch eine Sanierung der Wege wäre geboten.“

Das besondere Objekt:

Ceratostema rauhii
Detailansicht des Heide­ge­wächses Ceratostema rauhii
(zum Vergrößern klicken)

Ceratostema rauhii ist ein Heidegewächs, das im „Farnhaus“ des Gartens zu finden ist. Gleich mehrere Exemplare mit lang herabhängenden Stängeln, schuppenartig angeordneten Blättern und glockenförmigen fünfblättrigen Blüten in dunklem Rosa sind dort zu sehen. Ihr Name weist auf eine besondere Verbindung dieser Pflanze zum Botanischen Garten hin: Dessen Kernbestand geht größtenteils auf die rege Sammeltätigkeit von Werner Rauh zurück, der von 1960 bis 1982 Direktor des Gartens war. Insgesamt 114 Monate seiner Amtszeit verbrachte er auf Forschungsreisen, vielfach in Südamerika und Madagaskar, und brachte von dort zahlreiche Pflanzen nach Heidelberg. Eine davon ist das Heidegewächs mit den rosa Blüten, das Rauh in 2.200 Metern Höhe in Peru entdeckt hat – und selbst nicht bestimmen konnte. 1992 beschrieb der US-amerikanische Botaniker James L. Luteyn anhand dieses Pflanzenmaterials eine neue Art, die er zu Ehren des Heidelberger Biologen Rauh benannte. Das sogennante Typusexemplar dieser Art, das die physische Grundlage der Artbeschreibung darstellt, ist als gepresste Pflanze im Heidelberger Herbarium hinterlegt.  Seinerzeit wurde allerdings  nur ein Teil der Pflanze gepresst und der andere Teil bis heute weiterkultiviert. Damit ist die Ceratostema rauhii im Botanischen Garten, nach Worten des wissenschaftlichen Leiters „ein lebendes Urmeter“. Zu erkennen sind derartige Referenzobjekte, von denen es noch einige mehr im Garten gibt, an der Kennzeichnung mit einem roten Schild. Wann genau Werner Rauh die Ceratostema rauhii entdeckt hat, ist allerdings bisher noch unklar. Ein laufendes Forschungsprojekt, das das wissenschaftliche Erbe Rauhs auswertet, soll auch diese Unbekannte noch auflösen.

Tina Schäfer

Dieser Artikel ist in einer gekürzten Fassung im UNISPIEGEL 2/2014 erschienen.
E-Mail: Seitenbearbeiter
Letzte Änderung: 12.12.2014
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