„Die sozialwissenschaftlichen Kompetenzen stärken“
Im Gespräch mit dem neuen HCA-Direktor Welf Werner
Foto: Oliver Fink
Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Welf Werner leitet seit Februar 2018 das Heidelberg Center for American Studies (HCA). Im Gespräch gibt er Auskunft über die Ziele seiner Arbeit an dem im Jahr 2003 gegründeten und interdisziplinär ausgerichteten Institut sowie die aktuelle politische Situation in den USA.
Herr Werner, vor etwa einem halben Jahr haben Sie Ihr Amt als neuer Direktor des Heidelberg Center for American Studies angetreten. Wie sind die ersten Monate in Heidelberg verlaufen?
Werner: Als Norddeutscher ist Süddeutschland etwas ganz Neues für mich. Heidelberg ist eine sehr lebenswerte Stadt mit tollen Menschen. Wenn ich morgens durch die Gassen der Altstadt zum HCA gehe, frage ich mich manchmal immer noch: Ist das jetzt Kulisse oder Wirklichkeit? Im Heidelberg Center for American Studies bin ich sehr freundlich aufgenommen worden. Dort herrscht ein professioneller und zur Sache gehender Stil unter den Kolleginnen und Kollegen. Das gefällt mir.
Das interdisziplinär ausgerichtete HCA ist aus den Geschichtswissenschaften erwachsen. Was bedeutet es, wenn jetzt ein Wirtschaftswissenschaftler das Institut leitet? Ist damit eine inhaltliche Neu-Akzentuierung verbunden?
Werner: Ja und nein. Nicht nur das HCA, die Amerikanistik in Deutschland ist generell vor allem geistesgeschichtlich geprägt und hat dort ihre Wurzeln. Es gibt lediglich einen wirtschaftswissenschaftlich ausgerichteten Lehrstuhl in diesem Bereich, am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Uversität Berlin, an dem ich auch promoviert wurde. Daher gehört es auf jeden Fall zu meinen Hauptzielen, die wirtschaftswissenschaftlichen, genauer die sozialwissenschaftlichen Kompetenzen am HCA zu stärken und auszubauen. Die USA werden in hohem Maße über ihren wirtschaftlichen Aufstieg, ihre Wirtschaftskraft und über ihr liberales System wahrgenommen. Auch die Wahl von Donald Trump ist, denke ich, gerade auch unter wirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten erklärbar. Ungeachtet dessen werden wir aber natürlich unsere bisherigen breit gefächerten Kompetenzen am Heidelberg Center for American Studies nicht vernachlässigen.
Was sind Ihre Forschungsschwerpunkte?
Werner: Von Hause aus bin ich Volkswirt. Dieses Fach ist im 20. Jahrhundert einen eigenen Weg gegangen. Es hat sich entfernt von der Philosophie, von der Geschichtswissenschaft und den anderen Sozialwissenschaften hin zu mathematischer Modellbildung und quantitativen Methoden. Mein Lebenslauf zeigt einen Gegenentwurf. An Wirtschaft war ich immer deswegen interessiert, weil ich ein politisch denkender Mensch bin. Während meines Studiums in Berlin habe ich mich auch intensiv mit Wirtschaftsgeschichte beschäftigt. Zu meinen aktuellen Forschungsschwerpunkten zählen die Weltwirtschaft, in diesem Kontext insbesondere die US-Handelspolitik, Finanzmarktglobalisierung und der monetäre Regimewechsel, aber auch ganzheitliche Beurteilungen der US-Binnenwirtschaft, der US-Außenwirtschaft sowie verschiedene Aspekte der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte. Weitere Themen, die mich interessieren, sind die Auswirkungen der Globalisierung und die Frage, ob sich die USA, relativ gesehen, in einer Phase des politischen und wirtschaftlichen Niedergangs befinden.
Bereits 2001 haben Sie in einem Aufsatz die These aufgestellt, dass in den USA alle Voraussetzungen für einen „Globalization Backlash“ bestehen, für einen wirtschaftlichen Nationalismus. Drei Jahre später haben Sie ein Buch mit dem Kulturwissenschaftler Winfried Fluck zu der Frage „Wieviel Ungleichheit verträgt die Demokratie? Armut und Reichtum in den USA“ herausgegeben. Beide Themen sind derzeit sehr aktuell.
Werner: Seit den 1970er Jahren haben wir eine zunehmende Ungleichheit bei den Einkommen. Und es gibt eine ganze Generation von Amerikanerinnen und Amerikanern, insbesondere unter den Geringqualifizierten, die anders als in den vergangenen 250 Jahren in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht kaum mehr partizipiert haben. Globalisierung ist hier der eine Faktor, der eine Rolle spielt, und technologischer Fortschritt der andere. Dass hier nicht gegengesteuert wurde, etwa in den Bereichen Bildung und Gesundheit, ist Teil eines eklatanten Politikversagens, wie man es sich bei einer so reichen und hoch entwickelten Nation gar nicht vorstellen kann. Verständlich wird das erst durch eine weit fortgeschrittene Polarisierung im politischen System und in der Gesellschaft.
Hat Donald Trump bei seiner Wahl zum amerikanischen Präsidenten von diesem Politikversagen profitiert?
Werner: Auf jeden Fall. Nur dass er nicht die Antworten des frühen 21. Jahrhunderts gibt, sondern die falschen Antworten der Zwischenkriegsjahre des 20. Jahrhunderts. Es werden Schuldige gesucht, seien es die Weltwirtschaft, die Chinesen oder die Mexikaner. Mitunter geraten auch die Europäer in die Schusslinie. Trump wirft alles über Bord, was die Nachkriegsordnung ausmacht und was uns Wohlstand, Freiheit und Demokratie gebracht hat. Internationale Beziehungen sind für ihn ein Nullsummenspiel, bei dem der eine gewinnt und der andere verliert. Multilaterale Vereinbarungen, die nach zwei Weltkriegen Verlässlichkeit und Vertrauen in die internationalen Beziehungen gebracht haben, stehen hinten an. Bildungs- und Gesundheitspolitik spielen für den 45. Präsidenten der USA keine Rolle, im Gegenteil: die Errungenschaften der Obama Care hat Trump zur Zielscheibe erklärt. Die große Steuerreform von 2017 begünstigt einmal mehr die Vermögenden.
Sehen Sie Trump als kurzfristiges Phänomen? Gibt es eine Gegenbewegung, die ihm gefährlich werden kann?
Werner: Trump ist immer wieder unterschätzt worden und wird noch immer unterschätzt, vor allem auch in akademischen Kreisen und in den Medien, in denen seine Chancen auf das Präsidentenamt 2016 vollkommen falsch bewertet wurden. Das hängt vor allem mit seiner hoch problematischen Persönlichkeit zusammen, die auch in seinen Twitter-Tweets zum Vorschein kommt. Berücksichtigt werden muss allerdings, dass Trump für seine Klientel bislang enorm viel durchgesetzt hat, so zum Beispiel die größte Steuerreform seit den 1980er Jahren, eine Trendwende in der Handelspolitik, ein Umlenken bei der Regulierung insbesondere im Umweltbereich oder auch eine Wiederbelebung der alten Industrien. Das mag vielen von uns als vollkommen falsch erscheinen, aber bei seinen Anhängern kommt das an. Das heißt nicht, dass Trump das Problem der Partizipation gelöst hätte, ganz im Gegenteil. Aber im Moment boomt die amerikanische Wirtschaft wie lange nicht, zumindest was offizielle Schlüsselindikatoren wie Wachstum und Arbeitslosigkeit angeht. Wichtig ist daher der Blick auf die strukturellen Ursachen von Trumps Erfolg und nicht nur auf die Person Trump. Damit müssen wir uns als überzeugte Demokraten auseinandersetzen, zumal es Populismus nicht nur in den USA gibt. Ich würde keine Prognose wagen, ob wir Trump so bald wieder loswerden.
Welche Herausforderungen sehen Sie für das HCA in den kommenden Jahren?
Werner: Nach einem halben Jahr möchte ich vorsichtig sagen, dass wir optimistisch in die Zukunft blicken, auch was die verschiedenen Finanzierungsquellen angeht. Wir haben, was den Dialog mit der Öffentlichkeit betrifft, mehr Nachfrage aber auch sehr viel mehr Verantwortung, vor allem beim Thema transatlantische Beziehungen. Auch die mit den USA stark vernetzte regionale Wirtschaft, mit der wir über Institutionen wie die IHK Rhein-Neckar und die American Chamber of Commerce in Kontakt stehen, zeigt an den aktuellen Entwicklungen in den USA und den transatlantischen Beziehungen großes Interesse. Neben der Stärkung der Sozialwissenschaften am HCA ist es mir inhaltlich ein Anliegen, eine noch stärker den europäischen und globalen Horizont einbeziehende Perspektive auf die USA zu entwickeln, etwa im Sinne von Global American Studies. Entsprechende Impulse hierzu könnten aus den Geschichtswissenschaften und dem dort wachsenden Feld der Globalgeschichte kommen.
(Die Fragen stellte Oliver Fink)
Welf Werner studierte Volkswirtschaftslehre, Finanzwirtschaft, Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte an der Freien Universität Berlin und der Indiana University in Bloomington, Indiana (USA). Promotion und Habilitation folgten am John F. Kennedy Institut für Nordamerikastudien in Berlin. Im Jahr 1994 forschte er als John F. Kennedy Memorial Fellow an der Harvard University und kehrte 1997 als Research Fellow der Johns Hopkins School of Advanced International Studies (SAIS) und der George Washington University in die USA zurück. 2004 wurde Welf Werner an die International University Bremen auf eine Professur für Weltwirtschaft berufen. Im Februar 2018 nahm Prof. Werner seine Tätigkeit an der Universität Heidelberg als Professor für American Studies an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaft und Direktor des HCA auf. In Lehre und Forschung beschäftigt er sich vor allem mit der Binnen- und Außenwirtschaftspolitik der USA und ihren vielfältigen Bezügen zu den Geschichts- und Politikwissenschaften.
Das Heidelberg Center for American Studies ist eine zentrale akademische Einrichtung der Universität Heidelberg und finanziell zugleich eine Public Private Partnership. Zu den Förderern gehören unter anderem die Ehrensenatoren Curt und Heidemarie Engelhorn, Manfred Lautenschläger und Hans-Peter Wild. An dem im Jahr 2003 gegründeten multidisziplinären Institut, an dem zehn Fächer aus sechs verschiedenen Fakultäten beteiligt sind, werden historische, kulturelle, wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Entwicklungen in den USA erforscht und analysiert. Die Bachelor- und Masterstudiengängen verfolgen das Ziel, interdisziplinär geschulte und interkulturell qualifizierte Amerikaexperten auszubilden. Ein durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördertes Graduiertenkolleg beschäftigt sich mit Fragen von Autorität und Vertrauen in den USA. Das HCA fördert zudem den Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit und trägt zur Schaffung und Stärkung transatlantischer Netzwerke bei.