Agrarwirtschaft bis Zugverkehr
Kartensammlung des Geographischen Instituts
Kurzbeschreibung:
Von der Antarktis bis Zypern, von Agrarwirtschaft bis Zugverkehr – die Kartensammlung des Geographischen Instituts umfasst ein breites Spektrum an Kartenblättern, Falt- und Wandkarten sowie 3-D-Karten, die die meisten Länder der Erde sowie eine Vielzahl von Themen abbilden. Neben topographischen und geologischen Karten sowie Straßen- und Wanderkarten geben vor allem die thematischen Karten Einblicke in die verschiedensten Aspekte von Mensch und Umwelt: Alter und Bevölkerungswachstum, Seuchenverbreitung, Wetterkarten der Deutschen Kriegsmarine und taktische Operationskarten des amerikanischen Militärs oder preußische Gemarkungskarten sind nur einige Beispiele aus dem umfangreichen Bestand. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf historischem Kartenmaterial. Darunter finden sich Karten zur „Verteilung wehrfähiger Männer über 1,70m und unter 1,70m“ ebenso wie eine der ersten computergenerierten Karten mit dem Titel „Beziehung Getreideertrag (dt/ha, x 1980–1982) zur durchschnittlichen Ackerzahl der sozialistischen Landwirtschaftsbetriebe der Pflanzenproduktion in der DDR“. Zu den ältesten Werken gehören einige zu Atlanten gebundene Blattsammlungen aus dem ausgehenden 18. und dem beginnenden 19. Jahrhundert. Neben der Entwicklung der Kartographie lassen sich an den Karten unterschiedliche historische Prozesse, etwa die Erschließung einzelner Weltregionen oder Abläufe in der Stadt- und Regionalentwicklung nachzeichnen.
Umfang der Sammlung:
Etwa 75.000 Karten lagern in den über 100 Kartenschränken im Untergeschoss des Geographischen Instituts. Dieser Bestand umfasst rund 55.000 Einzeltitel sowie Mehrfachexemplare häufig genutzter Karten. Rund 90 Prozent der Karten sind mittlerweile erschlossen und im Katalog der Universitätsbibliothek erfasst. Der Bestand wächst weiterhin, etwa wenn eine Aktualisierung der topographischen Standardkarten erscheint oder Kartenmaterial für Exkursionen angeschafft wird.
Existiert seit:
Wahrscheinlich hat es schon zu Zeiten der Institutsgründung im Jahr 1895 eine Kartensammlung gegeben. Das erste Zugangsbuch, das dokumentiert, wann welche Karten neu in die Sammlung aufgenommen wurden, stammt jedoch aus dem Jahr 1928.
Nutzung in Forschung und Lehre:
Das Kartenmaterial wird in der Lehre regelmäßig eingesetzt, etwa in Kursen zu den Grundlagen der Kartographie und zur Karteninterpretation. Insbesondere seit dem Einstellen der Karten in den Katalog der Universitätsbibliothek (UB) verzeichnet die Sammlung verstärkt Forschungsanfragen, auch von außerhalb der Universität. Diese Forschungsvorhaben gehen dabei über rein geographische Fragen hinaus und sind oftmals historisch ausgerichtet. Die Sammlung verzeichnet rund 500 Ausleihen pro Jahr, darüber hinaus lassen sich die Karten auch scannen oder fotografieren, so dass sich auch extern damit arbeiten lässt.
Nutzung als Museum:
Die Kartensammlung ist kein Museum. Zu den Öffnungszeiten – zweimal wöchentlich für je anderthalb Stunden – ist sie allerdings für alle Interessierten zugänglich.
Das sagt die Sammlungsbeauftragte, Katrin Siebler:
„Das große Plus der Sammlung ist die Vielzahl von historischen Karten, die rund die Hälfte des Bestands ausmachen. Neben Heidelberg gibt es in Baden-Württemberg nur noch an drei weiteren Standorten vergleichbare Kartensammlungen. Unsere Bestände sind offen für alle, die damit arbeiten wollen, nicht nur universitätsintern. Damit haben wir keine tote Sammlung, sondern eine sehr lebendige. Da sich über einige Jahre allerdings niemand um die Sammlung gekümmert hat, sind in den 1990-er Jahren leider auch einige wertvolle Objekte abhanden gekommen, vor allem historische Globen, von denen heute nur noch zwei in der Institutsbibliothek stehen. Auch derzeit gibt es leider keine ausreichenden personellen Ressourcen für die Sammlung, sondern die Betreuung muss neben der regulären Arbeit der Bibliothekare durch studentische Hilfskräfte organisiert werden. Nach einer vollständigen Erfassung der Karten im UB-Katalog wäre in Zukunft auch eine systematische Digitalisierung erstrebenswert.“
Das besondere Objekt:
Eine Karte muss nicht immer aus Papier bestehen. Die Stabkarte, ein Orientierungsinstrument von den mikronesischen Marshall-Inseln, ist aus Pflanzenteilen gefertigt: Die Rippen von Kokosblättern sind mit einer Art Bast zu einer gitterartigen Struktur zusammengebunden. Die angehängten kleinen Kauri-Muscheln markieren die Lage einzelner Atolle und kennzeichnen das Konstrukt als Übersichtskarte.
Die Stabkarte wurde vermutlich Anfang des 20. Jahrhunderts hergestellt und kam als Teil einer ethnologischen Lehrsammlung nach Heidelberg, die das Geographische Institut aus dem Nachlass des Südsee-Forschers Bernhard Hagen (1853-1919) erhalten hatte. An drei Stellen sind auf den Rippen nachträglich von einem Heidelberger Wissenschaftler mit Tinte die Namen von Inseln vermerkt worden.
Die Stabkarte verdeutlicht die Meeresströme zwischen den Inseln und dokumentiert Zonen mit gefährlichem Seegang. Sie diente den seefahrenden Bewohnern der Marshall-Inseln aber nicht etwa zur Navigation während einer Bootsfahrt, sondern als Lehrmaterial für nachwachsende Generationen. Die Karte macht deutlich, wie Menschen auch ohne Kenntnisse der im Westen üblichen Messgeräte und Dokumentationsverfahren in der Lage sind, ihre Umgebung topographisch zu erfassen und Informationen über lebenswichtige Gegebenheiten der Umwelt für ihre Nachkommen festzuhalten.
Tina Schäfer