Recht auf Nahrung und Ernährungspolitik
Die Juristin Dr. Ana Maria Bonet, die in Deutschland an der Universität Bremen promoviert wurde, arbeitet als Wissenschaftlerin am argentinischen Consejo Nacional de Investigaciones Científicas y Técnicas (CONICET / Nationaler Rat für wissenschaftliche und technische Forschung) und leitet eine Forschungsgruppe an der Universidad Católica de Santa Fe, die einen sozio-ökologischen Ansatz und Blick auf die Rechtswissenschaft verfolgt. Von Januar bis März 2022 forschte sie in Heidelberg als Gastwissenschaftlerin am Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht der Universität Heidelberg sowie am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Nach Heidelberg hat Ana Bonet nicht nur die internationale Reputation des Instituts gerufen – sie reizten auch die umfangreiche Bibliothek und das wissenschaftliche Netzwerk von Forscherinnen und Forschern am Institut mit seiner speziellen Arbeitslinie zum „ius comune“. Aber auch schöne Erinnerungen an einen ersten Besuch in Heidelberg vor einigen Jahren bestimmten die Wahl für die Stadt am Neckar. Während ihres Aufenthalts hat Heidelberg Ana Bonet erneut in den Bann gezogen und sie plant, noch häufiger zurückzukehren. Heidelberg mag sie besonders, weil es „den Charme des Universitätslebens mit der Dynamik einer fortschrittlichen Akademie und einer phänomenalen Landschaft verbindet“, so Ana Maria Bonet.
„Argentinien zeichnet sich durch seine imposanten Pampas und seine Rolle als Weltgetreideproduzent aus. Sein Ruhm als globaler Lebensmittelexporteur spiegelt sich jedoch nicht in der Ernährungssituation seiner lokalen Bevölkerung wider. Die Internationalisierung des Lebensmittelmarketings hat zu einer Zunahme des Exports lokaler Produkte sowie des lokalen Verbrauchs von verarbeiteten und ultra-verarbeiteten Lebensmitteln geführt. Zu den Folgen, die diese Anpassung an das industrialisierte Ernährungsmodell für die lokale Bevölkerung mit sich bringt, kommen die Folgen der systematischen Ausweitung der Ernährungshilfe hinzu.
Besonders die am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen leiden unter einer doppelten Bedrohung des Menschenrechts auf angemessene Nahrung: Sowohl die Ausweitung industrialisierter Lebensmittel als auch die auf unverderblichen Lebensmitteln basierenden Sozialhilfemechanismen erschweren zunehmend den Zugang zu nahrhaften, frischen, saisonalen und regionalen Lebensmitteln.
Dies spiegelt sich in der Zunahme einer dreifachen Belastung der Mangelernährung wider: Immer mehr Fälle von Übergewicht gehen mit Ernährungsmängeln und ernährungsbedingten Krankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck einher. Gerade in den am stärksten gefährdeten Sektoren haben Ernährungsprobleme immer weniger mit Kalorienmangel zu tun, sondern mit Mangel an Nährstoffen und einer kultur- und umweltgerechten Ernährung. Die Prognosen dieser Situation sind keineswegs ermutigend, weder für die Umkehrung der Situation der sozialen Ausgrenzung der Betroffenen noch für die lokale Wirtschaft und das öffentliche Gesundheitswesen.
Mit einer technisch-rechtlichen Herangehensweise an dieses Problem aus der Perspektive des Menschenrechts auf Nahrung beschäftigt sich eine Untersuchung am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Unter der Hypothese, dass der Prozess der Lebensmittelkommodifizierung zu dieser Situation des mangelnden Zugangs zu gesunden, nahrhaften, lokalen und frischen Lebensmitteln beigetragen hat, arbeitet Dr. Ana María Bonet an dem Postulat von essentiellen Lebensmitteln und Ressourcen für Lebensmittel als Gemeinschaftsgütern, als grundlegenden Gütern.
Bei der Entwicklung dieser Projekte wurde der enge Zusammenhang zwischen der effektiven Verwirklichung des Menschenrechts auf Nahrung und der Entwicklung von legalen Strategien zur Gewährleistung des Zugangs zu Nahrung hervorgehoben, zu denen die Erfahrungen der Gemeinschaften sowohl mit der Produktion (Gemüsegärten) als auch mit der Kommerzialisierung (lokale Märkte) oder dem Konsum (Picknickplätze, Gemeinschaftskantinen) von Nahrungsmitteln gehören. In diesem Sinne ist das vorliegende Projekt sowohl normativ als auch kasuistisch eine Fortsetzung der laufenden Arbeit der lokalen Erhebung von Erfahrungen im Zusammenhang agrarökologischer Produktion.
Diese Erhebungen werden demnächst auf ihre Übereinstimmung mit dem Ansatz des Menschenrechts auf Nahrung und der Ernährungssouveränität hin analysiert. Die Analyse dieser mit dem Menschenrecht auf Nahrung verbundenen Kasuistik hat neben der Bestätigung der Hypothese über die Wirkung der den Normen zugrunde liegenden Paradigmen als Funktion der Garantie von Grundrechten eine neue Hypothese konsolidiert, nämlich die über das Potenzial von Regelungen zur Wiedergewinnung der Gemeingüter, wie „Biocommons“, Gemeinschaftseigentum, öffentliche Räume für Vermarktung und Konsum, als Funktion der Verwirklichung ökologischer – sozialer und umweltbezogener – Rechte, wie z.B. auf Nahrung, insofern sie auf einer Dynamik des Zugangs beruhen.“