RAN Newsletter 02/2024 Schutz vor traumatischen Erinnerungen
Ein bislang unbekannter molekularer Mechanismus könnte das Gehirn vor traumatischen Erinnerungen schützen und dazu beitragen, Angststörungen auf biologischer Ebene zu verhindern: In Untersuchungen am Mausmodell hat ein Forschungsteam unter Leitung der Neurowissenschaftlerin Dr. Ana M. M. Oliveira Hinweise darauf gefunden, dass die Verankerung starker Angsterinnerungen im Langzeitgedächtnis an die Aktivität eines bestimmten Proteins geknüpft ist, das eine entscheidende Rolle bei der Modulierung synaptischer Verbindungen zwischen Nervenzellen spielt.
Erinnerungen an angstbehaftete Erlebnisse ermöglichen es, angemessen auf neue Situationen zu reagieren. Aufgrund von traumatischen Erfahrungen können jedoch sehr starke Angsterinnerungen entstehen, die starke Angstgefühle auch in Situationen auslösen, die nicht mit dem ursprünglichen Erlebnis in Zusammenhang stehen, wie Dr. Oliveira erläutert. Die Neurowissenschaftlerin forscht am Interdisziplinären Zentrum für Neurowissenschaften der Universität Heidelberg und in der Abteilung Molekulare und Zelluläre Kognitionsforschung des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit zu molekularen und zellulären Aspekten der Gedächtnisbildung. Welche biologischen Vorgänge die Bildung von starken Angsterinnerungen begünstigen oder verhindern, hat sie mit Kolleginnen und Kollegen in internationaler Zusammenarbeit untersucht.
In den Untersuchungen am Mausmodell kamen sowohl pharmakologische als auch genetische Ansätze zum Tragen. Dabei fanden die Forscherinnen und Forscher heraus, dass sich die Aktivität eines Proteins mit der Bezeichnung Npas4 entscheidend auf die Erinnerung der Tiere an schlechte Erfahrungen auswirkte. Npas4 reguliert die Transkription von Genen, die die Kontakte und Kommunikation zwischen Nervenzellen steuern. Als Reaktion auf einen starken negativen Reiz beobachteten die Wissenschaftler zwei Phasen, in denen die Npas4-Werte im Gehirn besonders hoch waren. Die zweite Phase erwies sich als entscheidend. „Sie scheint die Stärke der mit schlechten Erfahrungen verknüpften Erinnerungen zu modulieren“, sagt Ana Oliveira. Verhinderten die Forscherinnen und Forscher die zweiphasige Aktivität von Npas4, waren die Angsterinnerungen so stark, dass die Mäuse auch in anderen Situationen Angstreaktionen zeigten. Wurde nach einer traumatischen Erfahrung künstlich ein zweites Npas4-Intervall induziert, waren die Angstreaktionen weniger ausgeprägt.
Im Zusammenhang mit den zwei Npas4-Phasen konnten die Wissenschaftler zudem die erhöhte Aktivität eines Botenstoffs nachweisen, der die neuronale Aktivität dämpft. Sie vermuten, dass das Protein Npas4 Einfluss auf die Stärke von Angsterinnerungen im Langzeitgedächtnis nimmt, indem es die Aktivität dieses Neurotransmitters reguliert. „Unsere Forschungsergebnisse deuten auf einen bislang unbekannten Schutzmechanismus im Gehirn hin, der die Erinnerung an traumatische Erlebnisse und damit auch die Resilienz gegenüber solchen Erfahrungen auf biologischer Ebene steuert“, so Dr. Oliveira. Er könnte einen molekularen Anknüpfungspunkt für die Entwicklung neuartiger Behandlungsansätze bieten.
Neben den Wissenschaftlern des IZN waren Forscherinnen und Forscher aus Heidelberg und Frankfurt sowie den Niederlanden, Portugal und Russland an der Studie beteiligt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Chica und Heinz Schaller-Stiftung haben die Forschungsarbeiten gefördert. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Molecular Psychiatry“ veröffentlicht.
Originalpublikation
D. V. C. Brito, J. Kupke, R. Sokolov, S. Cambridge, M. Both, C. P. Bengtson, A. Rozov, A. M. M. Oliveira: Biphasic Npas4 expression promotes inhibitory plasticity and suppression of fear memory consolidation in mice. Molecular Psychiatry (13 February 2024)