HAInews 2023/02 HAIlight im Mai: Objektgeschichte(n) aus der Heidelberger Krankenpflege
Chloroformtropfflaschen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, ein Frauenurinal aus den 1920er-Jahren, ein Inkubator für Frühchen von 1959 – Gegenstände wie diese gehören zur 2018 begonnenen und mittlerweile rund 1.000 Objekte umfassenden Sammlung zur Geschichte der Medizin, Krankenpflege und anderer Gesundheitsberufe am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität Heidelberg.
2022 wurden die Bestände des Instituts durch die Sammlung der Kinderkrankenpflegeschule erweitert – ausgewählte Stücke daraus präsentierte Institutsdirektorin Prof. Dr. Karen Nolte am 9. Mai 2023 beim „HAIlight im Mai“ unter dem Titel „Objektgeschichte(n)“.
An der Veranstaltung im Institut für Geschichte und Ethik der Medizin nahmen nicht nur 16 Alumnae und Alumni vor Ort teil, darunter auch Amanda Daquila, die Leiterin der New Yorker Außenstelle der Universität, sondern per Zoom waren auch sieben weitere Teilnehmer:innen aus der Region sowie aus Tübingen, Dresden, Kiel und sogar Island zugeschaltet. Die Idee für dieses HAIlight hatte das langjährige engagierte HAI-Mitglied Prof. Dr. Christine Auer: Die Moderatorin der Gruppe Pflegewissenschaften im HAI-Netzwerk ist Professorin für Medizinpädagogik und hat in Heidelberg Pflege studiert. Die Pflege stand auch im Mittelpunkt von Karen Noltes Präsentation, die sich auf sogenannte Grenzobjekte konzentrierte, die die Grenzen einer Profession überschreiten und sowohl von Ärzt:innen als auch von Pflegenden verwendet werden. Auch die Sammlungsbestände des Instituts entwickeln sich hin zu einem Schwerpunkt auf die nichtärztlichen Gesundheitsberufe, wie Karen Nolte erläuterte: „Das passt gut zu unserem Institut und ist auch eine Art Alleinstellungsmerkmal.“
Ergonomisch geformte Wärm- und Kühlflaschen, Narkoseinstrumente, Spritzen und „Stumme Schwestern“ genannte Zureichtische für medizinische Instrumente bei Operationen stellte die Institutsdirektorin in ihrem Vortrag entweder als Bildpräsentation oder auch als konkrete Objekte vor. Sie erläuterte beispielsweise die Geschichte der Narkose, die ursprünglich und teilweise sogar bis in die 1980er-Jahre von Pflegenden verabreicht und überwacht wurde, bevor dies Fachärzt:innen für Anästhesie übernahmen. Oder die Hintergründe der Milchküchen, die in der Entstehungszeit der Kinderkliniken eine wichtige Rolle spielten und mit deren Hilfe die Säuglingssterblichkeit gesenkt werden sollte: Denn viele Arbeiterinnen konnten wegen ihrer Arbeitszeiten ihre Babys nicht stillen und stellten deshalb selbst Babynahrung her, was häufig zum Tod der Säuglinge führte. Als Lösung für diese Mütter richtete die Heidelberger Luisenheilanstalt, aus der die spätere Universitätskinderklinik hervorging, wie andere Kinderkliniken auch Milchküchen ein, in denen sich Mütter tägliche Milchportionen für ihre Babys abholen konnten. Karen Nolte präsentierte zudem ein speziell geformtes Milchfläschchen, mit dem in der Klinik Babys in ihren Bettchen selbstständig trinken konnten – was verdeutlichte, dass schon damals zu wenig Pflegepersonal zu viele Kinder gleichzeitig versorgen musste.
Objektgeschichte sei nicht einfach nur eine Ergänzung der Pflegegeschichte, sondern ermögliche auch eine ganz neue Perspektive darauf, nämlich auf Pflegepraktiken, erklärte Karen Nolte. Denn Objekte veranschaulichten die Alltagsroutine in der Pflege und zeigten, wie bestimmte Pflegepraktiken funktionierten, die in den Quellen nicht unbedingt überliefert seien: „Denn dort wird eher das Besondere überliefert, aber nicht unbedingt das Selbstverständliche.“