Forschung Adlerhai flog vor 93 Millionen Jahren durch den Ozean

19. März 2021

Wissenschaftler haben Fossil eines bisher unbekannten Planktonfressers in Mexiko entdeckt

Neue Einblicke in die Evolutionsgeschichte der Haie bietet das Fossil eines bislang unbekannten Urzeitfischs. Entdeckt wurde es in einem Steinbruch in Mexiko von einem europäisch-mexikanischen Paläontologen-Team, zu dem Prof. Dr. Wolfgang Stinnesbeck von der Universität Heidelberg gehört. Bei dem Fund handelt es sich um eine Haifisch-Art aus der Kreidezeit. Der planktonfressende „Adlerhai“ mit der Bezeichnung Aquilolamna milarcae besaß riesige, flügelartige Brustflossen, mit denen er – ähnlich wie heutige Mantarochen – vor 93 Millionen Jahren durch die kreidezeitlichen Meere „geflogen“ ist.

Rekonstruktion des „Adlerhais“.

Zu Lebzeiten hatte das Tier bei einer Körperlänge von lediglich 1,7 Metern eine Brustflossenspannweite von 1,9 Metern. Aufgrund dieses außergewöhnlichen Körperbaus verfügte der neu entdeckte Urzeitfisch, wie die Forscher betonen, über eine variable Schwimmtechnik: So konnte er nicht nur mit seinen Brustflossen wie ein Mantarochen fliegen, sondern darüber hinaus – wie andere Haie auch – mit Schlägen seiner gegabelten Schwanzflosse schwimmen. Das breite, vermutlich mit winzigen Zähnen bestückte Maul saß am Ende des stumpfen Kopfes. „Sehr wahrscheinlich war das Tier ähnlich wie heutige Walhaie oder Mantarochen ein Planktonfresser“, vermutet Prof. Stinnesbeck vom Institut für Geowissenschaften der Universität Heidelberg.

Der Urzeitfisch ermöglicht neue Einblicke in die Evolutionsgeschichte der Haie. Im Hinblick auf den bei diesen Fischen bislang unbekannten Körperbau sprechen die Wissenschaftler von einem „unerwarteten evolutionären Experiment“. Flügelartige Brustflossen in Kombination mit Nahrung filtrierender Lebensweise waren bislang nur von Mantarochen und deren Verwandtschaft bekannt, die allerdings erst 30 Millionen Jahre später in der Erdgeschichte auftauchten. Die aktuellen Untersuchungen zeigen, dass der „Unterwasserflug“ mit den Brustflossen bei planktonfressenden Haien und Rochen im Laufe der Evolution offenbar zweimal entstanden ist – zwar auf unterschiedliche Art und Weise, aber mit dem gleichen Ergebnis: Die Fische fliegen durch die Ozeane, um Plankton aus dem Wasser aufzuseihen.

Das Fossil des „Adlerhais“ wurde in einem Plattenkalkbruch nahe der nordost-mexikanischen Kleinstadt Vallecillo gefunden. Er enthält zahlreiche Fossilien, die eine einzigartige Momentaufnahme von der Lebenswelt des offenen Ozeans vor 93 Millionen Jahren liefern, darunter Meeresschildkröten, Haie und Meeressaurier. Gefunden wurden auch Ammoniten, die zur Klasse der Kopffüßer gehören und bei der Altersbestimmung des neu entdeckten fossilen Hais eine wichtige Rolle gespielt haben. Wissenschaftler der Universität Heidelberg untersuchen seit vielen Jahren die Fossillagerstätte Vallecillo und haben bereits eine Vielzahl von ausgezeichnet erhaltenen Fischen und Meeresreptilien zu Tage gefördert.

An der Studie beteiligt waren neben Prof. Stinnesbeck und seinem Team auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Rennes (Frankreich) und Bonn, des Jura-Museums Eichstätt der Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns, des Naturkundemuseums Karlsruhe sowie des Museo del Desierto in Mexiko. Gefördert wurde das Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die Veröffentlichung der Ergebnisse erfolgte in der Fachzeitschrift „Science“.

Der fossile Hai Aquilolamna milarcae

Originalpublikation

R. Vullo, E. Frey, C. Ifrim, A. González González, E.S. Stinnesbeck, W. Stinnesbeck (2021): Manta-like planktivorous sharks in Late Cretaceous oceans. Science