Forschung Kopffüßer: Älter als gedacht?
Pressemitteilung Nr. 24/2021
23. März 2021
Fossilienfund aus Kanada könnte die evolutionäre Geschichte von wirbellosen Tieren umschreiben
Die möglicherweise ältesten Kopffüßer (Cephalopoden) der Erdgeschichte stammen von der Avalon-Halbinsel in Neufundland (Kanada). Entdeckt wurden sie von Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftlern der Universität Heidelberg. Bei den 522 Millionen Jahre alten Fossilien könnte es sich um die erste bekannte Frühform dieser evolutionär höchst entwickelten wirbellosen Tiere handeln, zu deren heute noch lebenden Nachfahren Kalmare, Oktopoden und Nautiliden gehören. In diesem Fall würde der Fund darauf hindeuten, dass sich die Cephalopoden etwa 30 Millionen Jahre früher entwickelt haben, als bisher angenommen.
„Sollte es sich tatsächlich um Kopffüßer handeln, müssten wir die Entwicklung der Cephalopoden ins sogenannte frühe Kambrium zurückdatieren“, sagt Dr. Anne Hildenbrand vom Institut für Geowissenschaften. Gemeinsam mit Dr. Gregor Austermann leitete sie die Forschungsarbeiten, die in Zusammenarbeit mit den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns durchgeführt wurden. „Das würde bedeuten, dass Kopffüßer bereits zu Beginn der Evolution der vielzelligen Tierstämme während der sogenannten Kambrischen Explosion vorkamen.“
Die kalkigen Schalen der Fossilien, die auf der östlichen Avalon-Halbinsel gefunden wurden, haben die Form eines langgestreckten Kegels und sind in einzelne Kammern unterteilt. Diese sind durch eine Röhre, den sogenannten Sipho, verbunden. Damit konnten sich die Cephalopoden als erste Tiere überhaupt im Wasser aktiv auf und ab bewegen und so den offenen Ozean als Lebensraum besiedeln. Die Fossilien sind entfernt mit dem spiralförmigen Nautilus verwandt, unterscheiden sich in ihrer Form jedoch deutlich von früheren Funden sowie von den heute noch existierenden Vertretern dieser Ordnung.
„Dieser Fund ist außergewöhnlich“, sagt Dr. Austermann. „In der Wissenschaft wurde schon länger vermutet, dass die Evolution dieser hochentwickelten Tiere wesentlich früher begonnen hat, als bislang angenommen. Es fehlten jedoch die fossilen Belege, um diese These untermauern zu können.“ Den Heidelberger Wissenschaftlern zufolge könnten die Fossilien von der Avalon-Halbinsel diesen Beweis liefern, da sie anderen bekannten frühen Cephalopoden einerseits ähneln, sich andererseits jedoch so von ihnen unterscheiden, dass sie als Bindeglied ins frühe Kambrium in Frage kommen.
Der ehemalige und wenig erforschte Mikrokontinent Avalonia, der neben der Ostküste Neufundlands auch Teile Europas umfasst, eignet sich besonders gut für paläontologische Forschungen, da in seinen Gesteinen viele verschiedene Lebewesen aus dem Kambrium erhalten geblieben sind. Die Forscher hoffen, dass weitere, besser erhaltene Funde die Zuordnung der von ihnen entdeckten Exemplare zu den frühen Cephalopoden bestätigen werden.
Die Forschungsergebnisse zu den 522 Millionen Jahre alten Fossilien wurden im Nature-Journal „Communications Biology“ veröffentlicht. Logistische Unterstützung leisteten die Provinz Neufundland und die dortige Manuels River Natural Heritage Society. Die Veröffentlichung im Open-Access-Format wurde im Rahmen des Projekts DEAL ermöglicht.
Originalpublikation
A. Hildenbrand, G. Austermann, D. Fuchs, P. Bengtson, W. Stinnesbeck: A potential cephalopod from the early Cambrian of eastern Newfoundland, Canada. Communications Biology (23 March 2021)