Forschung Kosmische Wellenbewegungen

6. Juli 2020

Miteinander verbundene Gasströme zeigen, wie sich sternbildendes Gas in Galaxien ansammelt

Das molekulare Gas in Galaxien ist in einer Hierarchie von Strukturen organisiert. Es bewegt sich entlang filamentartiger Bahnen zu Gas- und Staubzentren, wo es zu Sternen und Planeten verdichtet wird. Um diese Vorgänge besser zu verstehen, hat ein internationales Team von Astronomen unter der Leitung von Dr. Jonathan Henshaw vom Max-Planck-Institut für Astronomie und Dr. Diederik Kruijssen vom Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg die Gasbewegungen auf verschiedenen Größenskalen untersucht. Danach strömt das Gas durch verschiedene Skalen, die dynamisch miteinander verbunden sind. Während die Stern- und Planetenbildung auf den kleinsten Skalen in dichten Gaskernen stattfindet, wird dieser Prozess durch eine Kaskade von Materieströmen gesteuert, die bereits auf galaktischen Skalen beginnt.

Geschwindigkeitsströmungen in der Galaxie NGC 4321

Durch physikalische Prozesse wie die galaktische Rotation und Supernova-Explosionen wird das molekulare Gas in Galaxien in Bewegung gesetzt und strukturiert. „Um herauszufinden, wie sich die Gasbewegungen direkt auf die Stern- und Planetenentstehung auswirken, mussten wir sie über einen beispiellos großen Bereich im räumlichen Maßstab messen und diese Bewegungen dann mit den beobachteten physikalischen Strukturen in Verbindung zu bringen“, erläutert Dr. Henshaw. Dazu wurden die Gasbewegungen in einer Vielzahl unterschiedlicher Umgebungen gemessen – und zwar auf der Basis von Beobachtungen des Gases in der Milchstraße und in einer weiteren, nahen Galaxie. Mithilfe einer neu entwickelten Software konnte das Forscher-Team Millionen solcher Messungen analysieren und damit das interstellare Gas auf eine neue Art und Weise visualisieren.

Die Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass die Bewegungen des molekularen Gases in der Geschwindigkeit zu schwanken scheinen. Diese Fluktuationen erinnern an das Aussehen von Wellen auf der Oberfläche eines Ozeans. Überrascht waren die Wissenschaftler von der Erkenntnis, dass sich die Geschwindigkeitsstruktur in verschiedenen Regionen ähnelt. Es spielte dabei keine Rolle, ob sie eine ganze Galaxie oder eine einzelne Wolke innerhalb der Milchstraße betrachteten – die Struktur erwies sich als mehr oder weniger gleich.
 

Verteilung des molekularen Gases (Kohlenmonoxid) im südlichen Spiralarm der Galaxie NGC 4321

Gleichzeitig fand das Forscherteam heraus, dass die Geschwindigkeitsfluktuationen, die in riesigen Molekülwolken gemessen wurden, keine charakteristische Wellenlänge aufweisen. „Die Dichte- und Geschwindigkeitsstrukturen, die wir in diesen Wolken sehen, sind sozusagen maßstabsfrei. Die turbulenten Gasbewegungen, die diese Strukturen erzeugen, bilden eine chaotische Kaskade von Materieströmen. Beim Heranzoomen offenbart eine solche Kaskade immer kleinere Fluktuationen – änlich wie bei einer Schneeflocke”, erklärt Dr. Kruijssen. Dieses maßstabsfreie Verhalten findet zwischen zwei Extremen statt – dem großen Maßstab der gesamten Wolke, in der die Materieströme beginnen, und dem kleinen Maßstab der Gaskerne, die letztendlich einzelne Sterne bilden. „Wir haben festgestellt, dass diese Extreme wohldefinierte charakteristische Größen aufweisen. Dazwischen aber herrscht Chaos“, so der Heidelberger Astronom.

An den Forschungsarbeiten waren Partner aus 21 Forschungsinstituten in acht Ländern beteiligt. Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift „Nature Astronomy“ veröffentlicht.

Originalpublikation

J. D. Henshaw, J. M. D. Kruijssen, S. N. Longmore, M. Riener et al.: Ubiquitous velocity fluctuations throughout the molecular interstellar medium. Nature Astronomy.