Forschung Neue Erkenntnisse zur Entstehung des antarktischen Eisschilds

5. August 2024

Geologische Untersuchungen eines Bohrkerns in Verbindung mit Modellierungen zeigen, dass sich große Eisfelder zunächst ausschließlich in der Ostantarktis bildeten

Die Vergletscherung der Antarktis begann vor etwa 34 Millionen Jahren, umfasste jedoch in der Anfangsphase nicht wie bisher angenommen den gesamten Kontinent. Stattdessen beschränkte sich die Bildung der Eisschilde auf die östliche Region, während der westliche Teil bewachsen und weitgehend eisfrei blieb. Das zeigen aktuelle Untersuchungen eines Sedimentbohrkerns vom antarktischen Rand in Verbindung mit computergestützten Modellierungen. Die Ergebnisse liefern auch eine mögliche Antwort darauf, warum der antarktische Eisschild heute unter dem Einfluss der globalen Erwärmung im Westen schneller zu verschwinden scheint als im Osten. An den Untersuchungen eines internationalen Forschungsteams beteiligt war auch Prof. Dr. Steve M. Bohaty vom Institut für Geowissenschaften der Universität Heidelberg.

Mit dem Übergang von einem „Treibhaus“ mit nur wenigen Eisflächen zu einem „Eishaus“ mit dauerhaft vergletscherten Gebieten erlebte die Erde vor etwa 34 Millionen Jahren eine grundlegende klimatische Veränderung, die das globale Klima bis heute beeinflusst. Aus dieser Zeit stammt auch der antarktische Eisschild. Wie, wann und vor allem von wo aus er sich bildete, war bisher unter anderem aufgrund fehlender Proben aus der Westantarktis nicht genau bekannt. Diese Lücke konnte das internationale Forschungsteam unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) nun anhand eines Bohrkerns aus dem Amundsenmeer entlang der Westantarktis schließen. Er wurde 2017 bei einer Expedition mit dem Forschungsschiff Polarstern aus dem Meeresboden vor den Pine-Island- und Thwaites-Gletschern gezogen. Dabei wurden die ersten Sedimentproben vom westantarktischen Rand genommen, die diesen entscheidenden Klimawechsel vor 34 Millionen Jahren dokumentieren. 

Die Proben sollten erstmals einen Blick in die Geburtsstunde des Eisschildes in der Westantarktis ermöglichen. Dabei stellten die Wissenschaftler fest, dass sich dort für die Zeit der antarktischen Erstvereisung überraschenderweise keine Anzeichen für eine Präsenz von Eis finden ließen. Um genauer zu verstehen, wo sich das erste dauerhafte Eis der Antarktis bildete, wurden daher die geologischen Informationen aus dem Bohrkern in Computersimulationen mit neuen und bereits vorhandenen Daten zu Luft- und Wassertemperaturen sowie dem Vorkommen von Eis verknüpft. An der Datierung des Bohrkerns maßgeblich mitgewirkt hat der Mikropaläontologe und Paläoklimatologe Steve Bohaty, der am Institut für Geowissenschaften der Universität Heidelberg die Forschungsgruppe „Paläontologie und Paläoklima“ leitet. „Den Kern anhand von Mikrofossilien zu datieren, erwies sich als schwierig. Erfolgreich war schließlich eine Kombination aus verschiedenen stratigrafischen Verfahren, mit denen wir das Alter des Kerns auf ein sehr kurzes Zeitintervall eingrenzen konnten“, so der Wissenschaftler.

Die Daten aus dem Bohrkern in Verbindung mit den Computersimulationen weisen nach Angaben der Forscher darauf hin, dass eine großräumige, dauerhafte Erstvergletscherung in der ostantarktischen Region begonnen haben muss. In der Küstenregion des Nördlichen Viktorialandes trafen feuchte Luftmassen auf ein sich intensiv hebendes Transantarktisches Gebirge und schufen ideale Bedingungen für dauerhaften Schnee sowie in der Folge für die Bildung von Eiskappen. Von dort breitete sich der Eisschild zügig ins ostantarktische Hinterland aus. Die Westantarktis blieb währenddessen eisfrei; zu dieser Zeit war sie weiterhin zu großen Teilen von dichten Laubwäldern bedeckt, wie in den Sedimentproben erhaltene Pollen belegen. Eis konnte sich dort erst frühestens sieben Millionen Jahre später bilden.

Die Untersuchungen zeigen dabei auch, dass die beiden Teile des antarktischen Eisschildes sehr unterschiedlich auf äußere Einflüsse und grundlegende klimatische Veränderungen reagieren. Dies könnte seinen Ursprung in der unterschiedlichen Entstehung haben und eine Erklärung dafür sein, warum das Eis in der Westantarktis schneller verschwindet als in der Ostantarktis. „Eine leichte Erwärmung reicht schon aus, um das Eis der Westantarktis wieder zum Schmelzen zu bringen – und genau da befinden wir uns gerade“, betont Dr. Johann Klages, Geologe am AWI, der das Forschungsteam leitete. 

Die Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht. An den Arbeiten waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Australien, Deutschland, Großbritannien, der Schweiz, Spanien und den USA beteiligt. Finanziert wurde das Forschungsprojekt, insbesondere aber die Expedition PS104 mit dem Forschungsschiff Polarstern unter der Leitung von Prof. Dr. Karsten Gohl (AWI), aus Mitteln des Alfred-Wegener-Instituts, des MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen, des British Antarctic Survey und des britischen International Ocean Discovery Program (UK-IODP).

Originalpublikation

J. P. Klages, C.-D. Hillenbrand, S. M. Bohaty, U. Salzmann, T. Bickert, G. Lohmann, H. S. Knahl, P. Gierz, L. Niu, J. Titschack, G. Kuhn, T. Frederichs, J. Müller, T. Bauersachs, R. D. Larter, K. Hochmuth, W. Ehrmann, G. Nehrke, F. J. Rodríguez-Tovar, G. Schmiedl, S. Spezzaferri, A. Läufer, F. Lisker, T. van de Flierdt, A. Eisenhauer, G. Uenzelmann-Neben, O. Esper, J. A. Smith, H. Pälike, C. Spiegel, R. Dziadek, T. A. Ronge, T. Freudenthal, and K. Gohl: Ice sheet-free West Antarctica during peak early Oligocene glaciation, Science (4 July 2024).

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M. Zundel, C. Spiegel, C. Mark, I. Millar, D. Chew, J. Klages, K. Gohl, C.-D. Hillenbrand, Y. Najman, U. Salzmann, W. Ehrmann, J. Titschack, T. Bauersachs, G. Uenzelmann-Neben, T. Bickert, J. Müller, R. Larter, F. Lisker, S. Bohaty, G. Kuhn, and the Science Team of Expedition PS104: A large-scale transcontinental river system crossed West Antarctica during the Eocene, Science Advances (5 June 2024).

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