Im Gespräch Universität Heidelberg – Vielfalt in Gemeinschaft

14. Oktober 2024

Im Gespräch: Rektorin Frauke Melchior und die Studierendenvertreter Carolin Roder und Fritz Beck über Räume für Diskurs und Dialog

Mehr als 40.000 Menschen aus über 120 Staaten mit ihren jeweiligen, ganz unterschiedlichen kulturellen Hintergründen bilden den Kosmos Universität Heidelberg. Eine große Vielfalt, die bereichert und dazu beiträgt, persönliche und wissenschaftliche Horizonte zu erweitern, die aber auch Anlass für Auseinandersetzungen, Spannungen und Missverständnisse sein kann. Darüber sprechen im Interview Carolin Roder und Fritz Beck, die beiden Vorsitzenden der Verfassten Studierendenschaft (VS), mit Prof. Dr. Frauke Melchior, Rektorin der Universität Heidelberg.

Im Gespräch: Rektorin Frauke Melchior und die Studierendenvertreter Carolin Roder und Fritz Beck

Wie erleben Sie Vielfalt an der Universität Heidelberg und welche Herausforderungen ergeben sich daraus für das Zusammenleben im Universitätsalltag?

Beck: Vielfalt ist extrem wichtig für uns als Universität und als Studierendenschaft. Eine der Herausforderungen ist dabei, einen Raum für Dialog zu schaffen, ohne dass sich Einzelne oder Gruppen dabei benachteiligt fühlen oder benachteiligt werden. Wir verstehen dabei Raum nicht nur im übertragenen, sondern auch im physischen Sinn: Raum, den wir geben für persönlichen Austausch, für studentische Veranstaltungen oder Treffen.

Roder: »Für uns ist eine gute Universität ein Ort der Vielfalt«, steht in einem der ersten Beschlüsse unserer Verfassten Studierendenschaft, die vor zehn Jahren gegründet wurde. Das ist immer noch aktuell. Wir stehen für Chancengleichheit, für die Integration ausländischer Studierender und bei alledem für weltanschauliche Neutralität. Wir müssen und wir wollen uns mit verschiedenen Perspektiven auseinandersetzen. Zugleich haben wir einen Unvereinbarkeitsbeschluss bezüglich verfassungswidriger Gruppen, den wir auch schon angewendet haben.

Melchior: Dem kann ich mich nur anschließen. Vielfalt in der Universität sehe ich als eine wesentliche Grundlage für unsere Erfolge. Sie ist als wichtige Ressource für unsere Forschung und für das Lernen gleichermaßen unersetzlich und wir müssen sie schützen. Menschen fühlen sich aber nur wohl und sind zu Höchstleistungen fähig, wenn sie auch ein Umfeld haben, in dem sie sich sicher und wertgeschätzt fühlen. Das ist etwas, was wir als Universitätsleitung noch stärker befördern wollen. Wir möchten unseren Mitgliedern überall und an jedem Ort – egal ob in den Hörsälen, den Arbeitsgruppen oder in der Verwaltung – das Gefühl geben, willkommen und wertvoll zu sein.

Vielfalt ist extrem wichtig für uns als Universität und als Studierendenschaft.

Fritz Beck

Aktuell entfacht der Nahost-Konflikt polarisierende und emotionale Debatten, die das Zusammenleben auf dem Campus beeinflussen. Ist das eine Gefahr oder vielleicht auch eine Chance für die Universität?

Beck: Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Einzelne Vorkommnisse können oder müssen wir als Gefahren werten, andere aber natürlich auch als Chancen begreifen. Wir müssen nur sehen, dass wir bei allem Diskurs auch einen Dialog finden, denn beide sind wichtig.

Roder: Auch hier gibt es einen älteren Beschluss der Studierendenschaft der hilfreich ist. Er bezieht sich ursprünglich auf die Förderung geisteswissenschaftlicher Fächer, spricht sich aber ganz allgemein dafür aus, dass man immer wieder die eigene Weltanschauung hinterfragen muss. Für uns ist das eine der Grundlagen von Universitätskultur, die alle Wissenschaftsbereiche betrifft. 

Melchior: Ja, das ist das Wesen von Wissenschaft; so wie ich als Zellbiologin jede Hypothese, die meine Kollegen publizieren, immer wieder kritisch begutachte und dabei meine Hypothesen auch selbst kritisch hinterfrage. Die Universität ist ein Raum, in dem man alles diskutieren können muss, alles von allen Seiten beleuchten darf. Diese Freiheit müssen wir notfalls verteidigen, nach innen, aber auch vor Einflüssen von außen.

Fritz Beck

Es gibt rote Linien. In dem Moment, in dem Menschen in ihrer Würde und ihrer Sicherheit angegriffen werden, müssen wir das unterbinden.

Frauke Melchior

Wie gelingt der Spagat, einerseits Gespräche und Kontroversen zu ermöglichen, andererseits Hochschulangehörige vor Diskriminierung zu schützen?

Melchior: Es gibt rote Linien. In dem Moment, in dem Menschen in ihrer Würde und ihrer Sicherheit angegriffen werden, müssen wir das unterbinden. Ich denke schon, dass man gewisse Dinge aushalten muss und kann. Meinungsäußerungen wie Plakataktionen und Demonstrationen gehören zu den Grundrechten in unserer Demokratie. Was man aber nicht akzeptieren darf, sind Formen von körperlicher Gewalt oder aggressive verbale Attacken. 

Roder: Gegen Gewalt jedweder Art positionieren wir uns auch ganz klar. Wir haben uns als Studierendenrat auch schon in der Vergangenheit eindeutig von »Antisemitismus, Antiislamismus, Antiziganismus, Rassismus sowie jedweder Form von Diskriminierung« distanziert, die in Kombination mit politischen Konflikten auftreten. Gleichzeitig positionieren wir uns aber nicht politisch in solchen Konflikten. Als Studierendenvertretung dürfen wir uns nur hochschulpolitisch und nicht allgemeinpolitisch äußern.

Carolin Roder

Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um ein respektvolles Miteinander zu ermöglichen?

Roder: Wir sind immer auf der Suche nach strukturellen Lösungsansätzen, eröffnen Gesprächsangebote und beschäftigen uns mit konkreten Ereignissen. So kam es in der Vergangenheit einmal gehäuft zu queerfeindlichen Schmierereien. Da haben wir gemeinsam überlegt, wie wir so etwas unterbinden können. Wir schlagen Veränderungen in Gesetzen vor, erarbeiten Leitfäden oder fördern entsprechende Initiativen. Allgemein ist sicher Präventionsarbeit von allen Seiten nötig.

Beck: Natürlich ist es immer schwierig, Räume zu ermöglichen, ohne Räume zu nehmen, um diese Metapher noch einmal aufzugreifen. Prompt entsteht neues Konfliktpotenzial. Aber wir sehen auch ermutigende Zeichen. Vor zweieinhalb Jahren beispielsweise kam es zu Forderungen von Studierenden aus Russland und der Ukraine, die den jeweils anderen Räume der VS streitig machen wollten. Wir haben weiterhin beiden unsere Räume zur Verfügung gestellt. Erfreulicherweise reden nun einige Leute aus diesen Gruppen wieder miteinander.

Melchior: Gesprächsbereitschaft steht auch bei mir an erster Stelle. Ich bin überzeugt davon, dass Menschen gehört werden müssen. In dem Moment, in dem man sich ernst genommen fühlt, minimiert sich die Gefahr einer Radikalisierung. Auch wenn Meinungen manchmal schwer zu ertragen sind, muss man ihnen dennoch Aufmerksamkeit geben – aber immer in einem respektvollen Rahmen.

Wir sind immer auf der Suche nach strukturellen Lösungsansätzen, eröffnen Gesprächsangebote und beschäftigen uns mit konkreten Ereignissen.

Carolin Roder

Liegt ein Problem darin, dass oft viel Emotionalität und viel persönliche Betroffenheit im Spiel ist?

Melchior: Was mir großen Kummer bereitet, ist zu hören, dass manche Studierende Angst haben, an unsere Universität zu kommen: Wenn sich beispielsweise jüdische, muslimische oder auch queere Studierende auf dem Campus nicht mehr sicher fühlen, dann müssen wir darüber nachdenken, wie wir dem noch besser begegnen können. Wir haben bereits vielerlei Maßnahmen ergriffen, etwa durch den Begleitservice auf dem Campus Im Neuenheimer Feld oder jetzt durch die Vertrauenslotsinnen und -lotsen im GUIDE-Programm. Meiner Ansicht nach wird aber gegenwärtig – nicht zuletzt in den Medien – Angst auch gezielt geschürt und instrumentalisiert. Einzelne Vorkommnisse werden dabei größer gemacht, als sie sind. Gegen die Angst müssen wir angehen, auch durch mehr Achtsamkeit füreinander.

Roder: Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, Betroffene in unsere Strukturen einzubinden, etwa mit unserem Antirassismusreferat als Anlaufstelle. Zum Thema Israel/Palästina hatten wir eine Gesprächsrunde, zu der Betroffene beider Seiten zusammenkamen und sich austauschen konnten. Da hatten sich zwar nicht unbedingt alle lieb, aber der Dialog hat dennoch funktioniert.

Beck: Diese Einbindung eben in die studentische Kultur oder auch in das soziale Gefüge der Studierendenschaft ist ganz zentral. Da spielen auch die Fachschaften eine bedeutende Rolle. Sie tragen ganz erheblich zur Integration bei, und das ist auch sehr wichtig für das Sicherheitsgefühl.

Welche Botschaft richten Sie an die neuen Studierenden, die jetzt ihr Studium an der Universität Heidelberg aufgenommen haben?

Melchior: Alle, die zu uns kommen, sind in erster Linie Mitglieder unserer Universität. Egal, welche Hintergründe sie mitbringen, sie sind hier, um zu lernen, um Wissen anzusammeln, Wissen weiterzuentwickeln, zu forschen, um damit dann wieder in die Welt hinauszugehen. Die Universität sollte dabei ein geschützter und zugleich offener Raum sein, in dem man sich mit Respekt und Achtung begegnet. Und ganz konkret: Nutzen Sie die unterschiedlichen Einführungsveranstaltungen wie die »Ersti-Wochen« zu Semesterbeginn. Das ist ein tolles, wichtiges und wertvolles Instrument, um neue Studierende zu empfangen. Auch ich erinnere mich persönlich noch sehr gerne an meine Ersti-Woche.

Roder: Das ist tatsächlich eine gute Gelegenheit und besondere Sache, dass man an allen möglichen Stellen so bewusst an die Hand genommen wird und in die Universität und in die Fachkultur eingeführt wird. 

Beck: Wir als Studierendenvertretung laden die Studierenden dazu ein, auf uns zuzukommen und mitzuwirken. Wir sind offen für Gespräche, für Ideen, für Förderungen. Und wir hoffen, dass wir einen Perspektivwechsel anbieten können. Damit wären wir wieder bei der ersten Frage dieses Gesprächs, wofür Vielfalt eigentlich gut ist – vor allem dafür.