Der Blick über den eigenen Tellerrand lohnt sich
Facetten des Transfers
In der Reihe „hei_INNOVATION meets“ traf sich Dr. Aline Weis von der hei_INNOVATION mit Prof. Dr. Stephan Urban, um mit ihm über seine bemerkenswerte Fortschritte auf dem Gebiet der translationalen Medizin zu sprechen. Prof. Urbans Pionierarbeit auf dem Gebiet der Hepatitis D-Forschung hat zur Entwicklung eines Medikaments für diese bislang unheilbare Krankheit geführt.
Der Erfolg des Teams rund um Prof. Urban ist auf einen kooperativen Forschungsansatz zurückzuführen, bei dem durch eine enge Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern, Klinikern und Industriepartnern, die Lücke zwischen der Entdeckung im Labor und der klinischen Anwendung überbrückt werden konnte. Seine Arbeit hat zu bahnbrechenden Ergebnissen geführt und die Medizin verändert. In diesem Interview erfahren wir mehr über Prof. Urbans Weg bis hin zur Zulassung von Hepcludex im Jahr 2020 und über die Hindernisse, denen er dabei begegnete. Zudem geht es um die Bedeutung von Zusammenarbeit für die translationale Medizin und die Tatsache, dass man von akademischer Grundlagenwissenschaft – auch außerhalb der pharmazeutischen Industrie – zu einem hochwirksamen Arzneimittel kommen kann.
Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für dieses Gespräch nehmen! Bitte stellen Sie sich einleitend kurz vor.
Mein Name ist Stephan Urban und seit 2014 habe ich eine der ersten Professuren für „Translationale Virologie“ am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) inne. Zudem bin ich Leiter der Hepatitis B-Forschungsgruppe am Zentrum für Infektiologie, Molekulare Virologie der Universität Heidelberg. Mein wissenschaftlicher Werdegang begann mit einem Studium der Chemie und Biochemie in Tübingen und einer anschließenden Promotion am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München. Zur Habilitation wechselte ich dann an das Zentrum für Molekulare Biologie in Heidelberg (ZMBH) und 2001 in die Heidelberger Universitätsklinik. Mein Forschungsschwerpunkt liegt schon seit meiner Promotion auf dem Themengebiet der Hepatitis-Viren – angefangen von molekularen Mechanismen der Hepatitis-B- und Hepatitis-D-Virus-Wirt-Interaktionen über Rezeptor- und Strukturanalysen bis hin zur klinischen Entwicklung von Eintrittsinhibitoren für HBV- und HDV-Viren.
Könnten Sie mir Ihr Transfer-, beziehungsweise Translationsprojekt kurz umreißen?
Im Rahmen unseres Translationsprojekts ging es um die Entwicklung von Bulevirtide, einem neuartigen Eintrittsinhibitor zur Behandlung der Hepatitis-B- (HBV) und Hepatitis-D-Virus- (HDV) Infektion. Während es bereits Behandlungsmöglichkeiten für Hepatitis B gibt, stehen für die mit HDV Ko-infizierten HBV-Patienten bislang keine beziehungsweise nur sehr begrenzte Behandlungsmöglichkeiten bereit. Viele dieser Patienten versterben vorzeitig auf Grund der Erkrankung oder können nur durch eine Transplantation gerettet werden. Dies änderte sich mit unserer Forschung und Entwicklung und der Zulassung von Bulevirtide (Handelsname: Hepcludex, vormals Myrcludex B). Die DZIF-Professur bildete die Grundlage, als Forscher die Entwicklung von Bulevirtide bis zur Marktreife am Universitätsklinikum Heidelberg zu begleiten. Im Rahmen unserer über zwanzigjährigen Forschungsarbeit konnten wir eine Möglichkeit finden, den Eintritt des Virus in die Leberzellen zu blockieren, und dies therapeutisch auszunutzen. Dabei schlagen wir den Angreifer mit seinen eigenen Waffen: Wir haben ein Teilstück der Virushülle, mit dessen Hilfe sich das Virus natürlicherweise an Leberzellen bindet, im Labor nachgebaut und diesen Nachbau dafür genutzt, die Aufnahme des Virus zu verhindern.
Welche Transferaspekte werden hier abgedeckt?
Wie erwähnt erstreckte sich die Entwicklung von Bulevirtide über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren – von der Grundlagenforschung bis hin zu der Entwicklung des Wirkstoffs und dessen Einsatz in der klinischen Praxis. Dabei haben wir die ganze Bandbreite des Technologietransfers durchlaufen. Neben der interdisziplinären Zusammenarbeit hier an der Universität und dem Universitätsklinikum in Heidelberg umfasste dies auch die Kooperation mit verschiedenen Partnern aus Wissenschaft und Industrie im In- und Ausland.
So entstand das ursprüngliche Konzept in Zusammenarbeit mit Kollegen in Frankreich. Entscheidend war dann die Möglichkeit an öffentliche Fördermittel zu kommen, die auch die sehr teure, frühe klinische Entwicklung ermöglichte und die Kooperation mit einem Start-Up Unternehmen, welches die nachfolgende Phase-II-Studie organisierte und finanzierte. Wichtig war es auch eine Brücke zwischen Grundlagenforschung und klinischer Anwendung zu bauen, also einen guten Kontakt mit verschiedenen klinischen Zentren der Gastroenterologie im In- und Ausland aufzubauen.
Was bedeutet Transfer für Sie persönlich?
Unsere Forschung ist beispielhaft dafür, dass man auch außerhalb der pharmazeutischen Industrie von reiner akademischer Grundlagenwissenschaft zu einem hochwirksamen Arzneimittel kommen kann. Zu Beginn meiner wissenschaftlichen Arbeit habe ich allerdings nicht damit gerechnet, dass diese letztlich in der Entwicklung eines konkreten Wirkstoffs enden würde. Dies hat sich aber geändert als klar wurde, wie wirksam die Substanz in vivo, also in lebenden Organismen, ist. Selten hat man als Wissenschaftler die Chance, ein solches Projekt über alle Hürden hinweg zu begleiten. Als ich von der Häufigkeit von Hepatitis D erfuhr – bei der nach wie vor nicht klar ist, ob 12 oder 50 Millionen Menschen weltweit betroffen sind – war ich erschrocken und sah, welche Bedeutung die Entwicklung eines solchen Wirkstoffs für Betroffene haben würde. Umso schöner ist es nun zu sehen, dass alles darauf hindeutet, dass unser Wirkstoff sehr wirksam und zugleich sehr gut verträglich für die Patientinnen und Patienten ist.
Haben Sie noch einen Tipp für andere Mitglieder der Universität, die sich für die Themen Transfer, Translation und Innovation interessieren?
Ganz spontan kommt mir hierzu der Begriff „Beharrlichkeit“ in den Sinn – denn diese Eigenschaft hat mir in den vergangenen Jahren oft dabei geholfen, einen kleinen Schritt nach dem anderen zu gehen und damit Stück für Stück auf das Ziel zuzusteuern – und es letztlich auch zu erreichen. Außerdem lohnt sich aus meiner Sicht oft der Blick über den eigenen Tellerrand. Beispielsweise hat es mich sehr positiv überrascht, als mir klar wurde, wie gut ausgebaut die Infrastruktur hier vor Ort bereits ist. Dies hatte zum Beispiel zur Folge, dass die erste Gabe von Bulevirtide im Rahmen der allerersten Verabreichung am Menschen (Phase-I-Studie) direkt hier um die Ecke in der klinischen Pharmakologie durch das Team rund um Herrn Prof. Haefeli erfolgen konnte und ich sehr eng involviert war. Dieser „Auftakt“ der Phase-I-Studie war wirklich ein besonderer Moment, der mir immer in Erinnerung bleiben wird. Fast genau neun Jahre später, am 04. August 2020, kam dann die Zulassung in der EU und mittlerweile werden hunderte von Patienten erfolgreich mit Hepcludex behandelt.