Nachhaltigkeit Forschungsprojekte
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit nachhaltigkeitsbezogenen Fragen erfordert das Zusammenspiel unterschiedlicher disziplinärer Perspektiven. Als Forschungsuniversität mit breitem Fächerspektrum schöpft die Universität Heidelberg ihr besonderes Potenzial aus, durch die Stärkung von interdisziplinärer Zusammenarbeit komplexe Problemstellungen zu bearbeiten. Damit bietet sie hervorragende Bedingungen für die Umsetzung von Forschungsvorhaben in den Umweltwissenschaften und den angrenzenden Disziplinen. Über traditionelle Fächergrenzen hinweg befassen sich Heidelberger Wissenschaftler unter anderem mit Themen wie Klimaprozesse und Klimawandel, Biodiversität und Pflanzen sowie Regulierung in den Bereichen Umwelt, Energie und Nachhaltigkeit.
Thematic Research Network „Umwelten – Umbrüche – Umdenken“
Die globale Umweltkrise als Auslöser signifikanter gesellschaftlicher sowie ökologischer Veränderungsprozesse steht im Mittelpunkt des Thematic Research Networks (TRN) „Umwelten – Umbrüche – Umdenken“, das Forscherinnen und Forscher aus den Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften an der Universität Heidelberg zusammenführt. Ziel des Netzwerkes ist es, die Umweltkrise sowie ihre Wirkung auf Individuen und Gesellschaften im Zusammenspiel unterschiedlicher disziplinärer Perspektiven zu analysieren und Handlungsräume für den Umgang mit katastrophischen Situationen zu identifizieren. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befassen sich insbesondere mit Narrativen kritischer Übergänge – einerseits vor dem Hintergrund von geistes- und kulturwissenschaftlichen Begriffen wie „Krise“, „Katastrophe“ und „Apokalypse“, andererseits mit naturwissenschaftlichen Methoden und Analysen.
In Zusammenwirkung mit dem METROPOLINK Festival setzte das Forschungsnetzwerk im Sommer 2022 das Projekt „Perceiving Extinction“ an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft um. Mit der künstlerischen Gestaltung eines überlebensgroßen Wandgemäldes, auf dem der vom Aussterben bedrohte Skabiosen-Scheckenfalter zu sehen ist, will das Netzwerk auf den Verlust der Artenvielfalt aufmerksam machen. Der französische Streetart-Künstler Mantra hat das Gemälde des Schmetterlings auf einer Hauswand an der Uferstraße im Heidelberger Stadtteil Neuenheim gestaltet. Das Forschungsnetzwerk begleitete den Prozess und gab dabei Einblicke in seine Arbeit. Darüber hinaus fand neben einer „Fall School“ für Doktorandinnen und Doktoranden, die sich dem Thema „Urban Ecologies“ widmete, im Oktober 2022 eine internationale Konferenz mit dem Titel „Creating the ‚Good Life‘ in the City: Urban Spaces in Times of Change, Challenge and Crisis“ im Rahmen des Forschungsnetzwerkes statt.
Beteiligt an dem im Rahmen von Field of Focus 3 „Kulturelle Dynamiken in globalisierten Welten“ geförderten Netzwerk sind Prof. Dr. Ulrike Gerhard (Stadtgeographie), Prof. Dr. Barbara Mittler (Sinologie), Prof. Dr. Friederike Reents (Germanistik; seit Dezember 2021 an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt), Prof. Dr. Robert Folger (Romanistik), Prof. Dr. Olaf Bubenzer (Physische Geographie), Prof. Dr. Frank Keppler (Geowissenschaft) und Prof. Dr. André Butz (Umweltphysik) sowie die Postdoktorandinnen Dr. Jacqueline Lorenzen (Rechtswissenschaft) und Dr. Tanja Granzow (Ethnologie). Enge Kooperationen bestehen unter anderem mit dem Käte Hamburger Kolleg für Apokalyptische und Postapokalyptische Studien (CAPAS) an der Ruperto Carola sowie mit dem universitätsübergreifenden Verbundprojekt „Worldmaking“.
AgroBioDiv: Ökosorten für Biodiversität und Klimaschutz
Der Einfluss von ökologischem Landbau auf die Biodiversität in der Agrarlandschaft steht im Mittelpunkt des Forschungsprojekts „AgroBioDiv“, in dem Forscherinnen und Forscher der Universität Heidelberg biologische und politikwissenschaftliche Expertise zusammenführen. Neben Aspekten der Biodiversitätsforschung wollen die Heidelberger Wissenschaftler zugleich untersuchen, wie der Erhalt biologischer Vielfalt im Agrarraum von Politik und öffentlicher Verwaltung unterstützt werden kann. Die vierjährigen Forschungsarbeiten unter der Leitung von Prof. Dr. Marcus Koch und Prof. Dr. Jale Tosun werden vom Land Baden-Württemberg mit rund 400.000 Euro gefördert.
Die Heidelberger Forscher untersuchen das Zusammenspiel von kultiviertem Saatgut und Pflanzenmaterial, Kulturarten- und Sortenvielfalt sowie Vielfalt der Wildkrautflora. Sie wollen aus diesen Erkenntnissen ableiten, wie eine Landwirtschaft in der Transformation von konventionellem zu ökologischem Landbau ausgerichtet sein könnte. Die Forschungsarbeiten werden in ausgewählten Gebieten – der Stadt Heidelberg, der Bio-Region am Bodensee und weiteren Standorten in Baden-Württemberg – durchgeführt. Sie sind partizipativ angelegt und beziehen Interessengruppen aus Landwirtschaft, Naturschutz und Wirtschaft ein, darunter Züchter und Landwirte, Vermarkter und Verbraucher sowie sogenannte Bürgerwissenschaftler. Mit Blick auf den politisch-administrativen Prozess möchten die Wissenschaftler darüber hinaus der Frage nachgehen, mit welchen Instrumenten eine nachhaltige Umwandlung der konventionellen Landwirtschaft in ökologischen Landbau erreicht werden kann. Mit ihrem interdisziplinären Ansatz werden die Wissenschaftler dabei auch untersuchen, wie ein größeres Bewusstsein für die Förderung der Agro-Biodiversität geschaffen werden kann.
meinGrün: Informationen und Navigation zu urbanen Grünflächen in Städten
Im Rahmen des Projekts „meinGrün“ – an dem Geographen der Universität Heidelberg unter der Leitung von Prof. Dr. Alexander Zipf beteiligt sind – entwickeln Partner aus Wissenschaft, kommunaler Praxis und Wirtschaft die Grundlagen für interaktive Informationsangebote zu Grünflächen in Städten. Dazu nutzen die Wissenschaftler offene Geodaten der Stadtverwaltung, Fernerkundungsdaten aus dem Raumfahrtprogramm Copernicus sowie nutzergenerierte Daten, wie sie beispielsweise die Software OpenStreetMap liefert. Diese neue Datenfülle soll als Grundlage für verschiedene nutzerfreundliche Anwendungen dienen.
Mithilfe der WebApp können Nutzer Grünflächen in Städten finden und ihren Ausflug in die Natur planen. Filterfunktionen ermöglichen es, nach Freizeitmöglichkeiten vor Ort zu suchen – etwa Sportangebote, Spiel- und Grillplätze oder Liegewiesen. Routing-Optionen für Fahrradfahrer und Fußgänger geben nicht nur den schnellsten Weg zum Ziel vor, sondern auch den leisesten oder am meisten begrünten. Die kostenlose Anwendung ist aktuell für die Städte Heidelberg und Dresden verfügbar. Projektträger sind das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung, das Deutsche Fernerkundungsdatenzentrum des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, das Institut für Kartographie der Technischen Universität Dresden, das Heidelberg Institute for Geoinformation Technology an der Universität Heidelberg, die Abteilung für Geoinformatik der Universität Heidelberg sowie weitere Partner aus der Informationstechnik, Stadtverwaltung und -entwicklung.
MultiTip: Ein ganzheitlicher, multimethodischer Ansatz für die Nilbarschfischerei im Victoriasee
In einem komplexen sozioökologischen System wie der Nilbarschfischerei im ostafrikanischen Victoriasee kann es zu abrupten und schwer umkehrbaren Zustandswechseln – sogenannten Kipppunkten – kommen, die mit exponentiellen Verlusten von Biodiversität sowie gesellschaftlichem Wohlergehen verbunden sind. Seit mehreren Jahren gehen Wissenschaftler davon aus, dass der Nilbarschfischerei im Victoriasee die Überschreitung eines Kipppunktes bevorsteht, die erhebliche sozioökonomische Konsequenzen auf lokaler und regionaler Ebene nach sich ziehen wird.
Im Rahmen des Projekts „MultiTip“ erforschen Wissenschaftler der Universität Heidelberg und der Universität Kassel über einen Zeitraum von drei Jahren die Ursachen eines möglichen irreversiblen Kollapses der Nilbarschfischerei sowie die Voraussetzungen für eine bessere Akzeptanz und Implementierung von rechtlichen Regulierungen. Darüber hinaus untersuchen die Forscher, wie externe Interventionen dazu beitragen können, einen potenziellen Kipppunkt zu vermeiden. Das Projekt umfasst einen multimethodischen Ansatz, der die Verwendung von Sekundärdaten, qualitativen und quantitativen Methoden mit kontrollierten Experimenten kombiniert. Ziel ist es, analytische Instrumente bereitzustellen, die langfristig auch auf andere Ressourcensysteme angewendet werden können.