Nachhaltigkeit Lehren Lernen Nachhaltigkeit hautnah

Workshop für Studierende: Erlebnisorientiertes Lernen im Heidelberger Stadtwald

Gut 3.200 Kilogramm Kohlen­dioxid sind in einer achtzigjährigen Erle gespeichert. Im Schnitt entnimmt sie der Luft somit jährlich 40 Kilogramm des Treibhausgases. Können Sie sich diese Zahlen merken? Vermutlich haben Sie es wenig später schon wieder vergessen. Wie es anders gehen kann, erlebten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des von der Heidelberg School of Education (HSE) im Sommer organisierten Waldworkshops zum Thema Nachhaltigkeit. Sie erfuhren einen Vormittag lang, was es heißt, wenn Wissen über die Natur in der Natur vermittelt wird. Und das nicht durch trockenen Frontalunterricht, sondern indem sie Maß nahmen, schauten, spürten, Zusammenhänge herstellten und selbst ins Handeln kamen.

Unispiegel digital: Klassenzimmer Wald

Das trockene Laub raschelt, dünne Ästchen knacken unter den 14 Paar Schuhen. Durch das dichte grüne Blattwerk fällt kaum ein Sonnenstrahl auf den Waldboden. Unten in der Stadt sind es schon um 10 Uhr morgens knappe 25 Grad, hier oben im Heidelberger Stadtwald auf Höhe des Königstuhls sind die Temperaturen dagegen angenehm, ja fast schon kühl. In Dreier- oder Vierergruppen machen sich die Teilnehmenden des Waldworkshops – überwiegend angehende Lehrerinnen und Lehrer – auf den Weg zu einem ihnen zugewiesenen Baum. Ausgestattet sind sie jeweils mit einem 50 Meter langen Maßband, einem Baumbestimmungsbuch, Handy-Taschenrechner und verschiedenen Infoblättern. Ihre Aufgabe: Sie sollen sich mit »ihrem« Baum vertraut machen, ihn beschreiben, ihn vermessen und seine Bedeutung für den Klimaschutz kennenlernen. 

»Schuppige Borke, Baumkrone kaum zu sehen, trägt Nadeln« notieren Jana-Katrin, Ellen und Miriam. Im Bestimmungsbuch finden sie heraus, dass es sich um eine Europäische Lärche handeln muss. Jetzt geht es ans Messen: Erst den Umfang, dann den Durchmesser und zuletzt die Höhe. Aber wie soll das gehen, wenn kein Kran zur Verfügung steht? Die Lösung liegt in der Anwendung des Strahlensatzes. Miriam hält einen ausgestreckten, armlangen Stock vor sich und geht so lange rückwärts von der Lärche weg, bis sie die Spitze des Stocks mit der Baumkrone in einer Linie sieht. Lärche, Peilstrecke und die Entfernung von Miriam zum Baum bilden nun ein gleichschenkliges Dreieck. So brauchen ihre beiden Teampartnerinnen nur noch mit dem Maßband auszumessen, wie weit Miriam von der Lärche entfernt steht, um die Höhe des Baumes zu ermitteln: 35 Meter sind es. 

»Wer von euch studiert ein Fach, bei dem er Schwierigkeiten hat, das Thema Nachhaltigkeit einzubauen?« Frank Hoffmann, Biologe und Waldpädagoge, führt durch den heutigen Waldworkshop. Zu Beginn will er mehr über die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erfahren. Seine Überzeugung: »Wissen muss angewendet werden, sonst ist es totes Wissen.« Und: »In fast jedem Fach ist es möglich, das Thema Nachhaltig- keit einzubauen.« Es melden sich einige Studierende, die Sprachen unterrichten werden, sowie eine Teilnehmerin mit dem Fach Mathematik. »Du wirst heute auf jeden Fall einige Anregungen und Methoden mitnehmen können, die du in den Unterricht einbauen kannst«, verspricht Frank Hoffmann. 

Unispiegel digital: Nachhaltigkeit hautnah

Von der Zusatzqualifikation ›Nachhaltigkeit‹ habe ich mir erhofft, mehr über das nachhaltige Geschehen in der Welt, mehr über mich, und vor allem mehr über Handlungsmöglichkeiten zu lernen. Bisher bin ich absolut begeistert von dem Angebot der Veranstaltungen!

Viktoria Grob, Masterstudentin an der Universität Heidelberg mit den Fächern Mathematik und Französisch

Die praktische Anwendung des Strahlen­ satzes ist eine davon. Aber auch bei den weiteren Aufgaben muss fleißig gerechnet werden, etwa wenn es darum geht, die Bedeutung der Bäume als Kohlenstoff­ speicher zu ermitteln. So richtig erfahrbar wird dies, indem ihre Speicherkapazität in direkten Bezug zum individuellen CO2-Ausstoß gesetzt wird. Mithilfe eines kurzen Fragebogens hatten die Studierenden zuvor annäherungsweise ihren ökologischen Fußabdruck erfasst – also die Menge des Treibhausgases, für deren Ausstoß sie jeweils pro Jahr verantwortlich sind. Dabei fließen Faktoren wie die Ernährung ein, das Wohnen oder auch das Mobilitätsverhalten. 6,1 Tonnen CO2 hat Ellen beispielsweise für sich errechnet – dank vegetarischer Ernährung, Verzicht auf Auto und Flugzeug und einer kleinen Wohnung liegt sie damit deutlich unter den elf Tonnen, die jeder Deutsche pro Jahr im Durchschnitt ausstößt. Trotzdem: Allein um diese vergleichsweise niedrige Menge auszugleichen, braucht es 150 der von ihr untersuchten Lärchen.

Manch einen Aha-Moment erleben die Studierenden an diesem Vormittag. Und sie lernen noch eine ganze Reihe weiterer Methoden kennen, die sie künftig in ihren Unterricht einbauen können. Darunter auch eine Art Planspiel, in dem es darum geht, Holz für den Winter zusammenzutragen: Wem dies nicht gelingt, der überlebt den Winter nicht. Je knapper die Ressourcen im Laufe des Spiels werden, desto schneller und kompetitiver verhalten sich die Teilnehmenden. »Wenn wir unsere natürlichen Ressourcen ausbeuten oder der Klima­wandel zu Verknappungen führt, kann das extreme Spannungen auslösen«, stellt Lehramtsstudentin Viktoria fest. »Das Spiel hat eindrücklich gezeigt, wie sehr soziale und ökologische Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen.«

Als angehende Lehrkraft sehe ich meine Verantwortung darin, etwas zu verändern. Dies bewirke ich am besten, wenn ich weiß, wie ich die zukünftige Genera­tion dazu motiviere, nachhaltig zu leben.

Caroline Kraus, Masterstudentin an der Pä- dagogischen Hochschule Heidelberg mit den Fächern Biologie, Chemie sowie Alltagskultur und Gesundheit

Viele der Teilnehmenden haben sich für den Workshop als Praxisbaustein der Zusatz-/ Querschnittsqualifikation »Nachhaltigkeit« angemeldet, die von der Heidelberg School of Education angeboten wird – der gemeinsamen wissenschaftlichen Einrichtung von Universität Heidelberg und Pädagogischer Hochschule zur Stärkung der Lehrkräfte­ bildung in Heidelberg. »Unsere Studierenden sollen lernen, wie sie das Thema Nachhaltigkeit in ihre jeweiligen Fächer einbinden können – und zwar mit Methoden, die die Schülerinnen und Schüler zum kritischen Denken anregen, sich in andere Perspektiven einzufühlen und Verantwortung zu übernehmen,« so Dr. Nicole Aeschbach, die an der HSE für dieses Programm verant- wortlich ist. »Erlebnisorientiertes Lernen eignet sich hierfür ganz besonders.«

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Einen Abschluss findet der praktische Teil des Workshops mit dem Spiel »Die Welt retten«. Gemeinsam sollen die Studierenden die Welt – als Symbol hierfür steht ein kleiner Softball – an einen sicheren Ort bringen. Das Kniffelige daran: Der Ball befindet sich auf einem Ring, an dem gut zwei Meter lange Fäden befestigt sind, und liegt auf einem Warnhütchen. Jeder bzw. jede bekommt einen Faden in die Hand und nur, wenn alle gleichmäßig den Faden straffen und sich koordiniert bewegen, gelingt es, den Ball anzuheben, ihn zu einem zweiten Hütchen zu transportieren und sicher auf diesem abzusetzen. Geschafft! Und das im ersten Versuch! So einfach ist es in der Realität zwar leider nicht, für eine sozial wie ökologisch gesunde Welt zu sorgen, aber wie Frank Hoffmann betont: »Als angehende Lehrkräfte seid ihr wichtige Multiplikatoren und könnt dafür sorgen, dass es die nachfolgende Generation besser macht als wir.«

Nachhaltigkeit Lehren Lernen

Angehende Lehrerinnen und Lehrer, die an der Universität oder der Pädagogischen Hochschule studieren, können an der Heidelberg School of Education die Zusatz-/ Querschnittsqualifikation »Nachhaltigkeit« erwerben. Auch Lehrerinnen und Lehrern, die sich bereits im Beruf befinden, steht dieses Angebot offen. Als fächerübergreifend zu vermittelndes Thema ist Bildung für nachhaltige Entwicklung, kurz BNE, seit 2016 im baden-württembergischen Bildungs­plan als Leit­perspektive verankert.