Lisa Marie Haas »Ich möchte ein Vorbild für Frauen in Naturwissenschaften sein.«
Lisa Marie Haas war Finalistin bei der Suche nach der ersten Astronautin Deutschlands
Wenn Lisa Marie Haas mit großer Leidenschaft und Begeisterung über das Thema Raumfahrt spricht, spürt man sofort, dass es sich um einen Kindheitstraum handelt. „Ich habe bereits in der Grundschule auf die Frage des Lehrers, was wir werden wollen, geantwortet: Astronautin!“, erinnert sich die 34-Jährige, die in Heidelberg Physik studierte und am Institut für Theoretische Physik promoviert wurde. Als Zehnjährige begann sie, populärwissenschaftliche Bücher zu Astronomie und Astrophysik zu lesen, und wusste, dass sie auf jeden Fall einen naturwissenschaftlichen Beruf ergreifen würde. Bei der Entscheidung für ihr Studium dachte sie lange über Luft- und Raumfahrtwissenschaften nach, entschied sich dann aber für Physik mit Nebenfach Astronomie, „denn die Physik ist so vielseitig, dass klar war, dass mir viele Möglichkeiten offenstehen würden, sollte es mit der Astronautenkarriere nicht klappen“. 2017 war Lisa Marie Haas ihrem Traum dann zum Greifen nahe: Sie gehörte zu den sechs Finalistinnen der Initiative „Die Astronautin“, mit der die erste deutsche Frau ins Weltall gelangen soll.
Man betreibt Wissenschaft quasi als ›Captain Kirk‹, und dieser ganz spezielle Charakter reizt mich.«
Lisa Marie Haas
Ausgewählt wurden am Ende zwar zwei andere Bewerberinnen, aber Lisa Marie Haas ist stolz, dass sie es bis in das Finale geschafft hat – und will sich auf alle Fälle wieder bewerben, sollte sich nochmal eine solche Chance bieten. Ihre erste Bewerbung startete die junge Frau bereits 2008, als die Europäische Raumfahrtorganisation ESA Astronauten suchte. „Aber diese Ausschreibung kam etwas zu früh für mich, ich war zu jung, mir fehlte noch eine Prüfung und auch noch meine Promotion – und die ist bei einer solchen Bewerbung wichtig, da immer auch Wissenschaftsastronauten gesucht werden.“ Eine wesentlich bessere Position hatte die Physikerin, die mittlerweile ihren Doktortitel und mehrere Jahre Berufserfahrung in und außerhalb der Wissenschaft vorweisen kann, dann bei der 2016 gestarteten Ausschreibung des privaten Crowdfunding-Projekts – und schaffte es prompt bis ins Finale.
Bis dahin hatte sie einen einjährigen Bewerbungsmarathon mit zahlreichen Tests und Untersuchungen hinter sich. Angetreten waren mehr als 400 Frauen, die sich den Traum vom Weltall erfüllen wollten. Als noch 90 zur Wahl standen, übernahm das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt das Auswahlverfahren. Es folgten klassische Pilotentests, bei denen unter anderem Merkfähigkeit, Konzentrationsvermögen, technisches Verständnis und die Fähigkeit zu Multitasking überprüft wurden. Die 30 Frauen, die diese Auswahl bewältigt hatten, wurden in psychologische Auswahlverfahren mit Fragebögen, Teamspielen, Assessement-Center und Reaktionsfähigkeitstests geschickt. Die letzten acht Frauen wurden dann umfangreichen medizinischen Tests unterzogen, „bis auf eine Magen-Darm-Spiegelung wurde nichts ausgelassen“, erinnert sich Haas lachend. Aus den sechs Finalistinnen, zu denen auch Haas gehörte, wurden schließlich mit Hilfe von Interviews die beiden „Astronautinnen in spe“ ausgewählt.
Die Initiative hat sich aber nicht nur zum Ziel gesetzt, Deutschlands erste Astronautin in das Weltall zu schicken – sie will auch generell junge Frauen ermutigen, naturwissenschaftliche und technische Berufe zu ergreifen. Und dieses Ziel unterstützt Haas voll und ganz. „Ich würde mir natürlich wünschen, ein Vorbild für Frauen in den Naturwissenschaften zu sein. Man braucht diese Vorbilder, und deshalb halte ich auch diese Initiative für wichtig. Astronautin steht dabei nicht nur für Physik oder Chemie, sondern für alle MINT-Bereiche.“ Haas selbst stützte sich während ihres Studiums auf klassische Wegbereiterinnen wie Emmy Nöther und Marie Curie – sieht es aber zusätzlich als großen Vorteil der Heidelberger Physik, dass es hier im Unterschied zu vielen anderen Universitäten auch Professorinnen gibt. „In Heidelberg entscheiden sich sehr viele Frauen für Astronomie/Astrophysik oder medizinische Physik und Biophysik, weil es hier weibliche Vorbilder gibt – deswegen denken viele Studentinnen: Das kann ich, denn andere Frauen haben es auch geschafft“.
Nach ihrer Promotion wechselte Haas von der theoretischen Physik in den Ingenieurbereich zur Aufbau- und Verbindungstechnologie. Heute ist die zweifache Mutter, die mit ihrer Familie im Kreis Esslingen lebt, bei der Robert Bosch GmbH in Reutlingen zuständig für die Aufbau- und Verbindungstechnik für Sensoren im Bereich Consumer Electronics, beispielsweise Beschleunigungssensoren, die in Smartphones dafür sorgen, dass sich das Display dreht. „Meine Aufgabe ist es, den Sensor zu verpacken und gegen Umwelteinflüsse zu schützen. Das ist immer noch Forschung und Entwicklung und noch sehr nah am wissenschaftlichen Arbeiten, aber jetzt entwickle ich konkret ein Produkt, das Menschen in der Hand halten und benutzen werden, und das ist genauso reizvoll für mich wie die theoretische Wissenschaft.“
Den Traum vom Weltall träumt Lisa Marie Haas weiter. „Eigentlich ist es Neugier, die mich antreibt, wie alle Wissenschaftler, aber in diesem Bereich ist das noch einmal ganz speziell – man ist wirklich so eine Art Entdecker, und das finde ich so ganz besonders am Astronautenberuf. Man betreibt Wissenschaft quasi als ‚Captain Kirk‘, und dieser ganz spezielle Charakter reizt mich.“ Sie glaubt, dass es einen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Astronauten gibt: „In vielen Experimenten hat sich gezeigt, dass Frauen anders kommunizieren als Männer. Ein gemischtes System wirkt sich positiv aus, einfach weil man Kommunikationswege anders offenhält – deshalb hat es sicher einen Vorteil, wenn es auch weibliche Astronauten gibt.“
(Erscheinungsjahr 2017)
Weiterführende Informationen
Crowdfunding-Projekt »Die Astronautin«
Das private Crowdfunding-Projekt „Die Astronautin“ hat das Ziel, die erste deutsche Frau ins All zu schicken – und junge Frauen für technische Berufe und ein naturwissenschaftliches Studium zu begeistern. Initiatorin ist die Luft- und Raumfahrtingenieurin Claudia Kessler, die Geschäftsführerin des Unternehmens HE Space ist, eines Personaldienstleisters für die Raumfahrtindustrie. Das einjährige Auswahlverfahren, für das sich mehr als 400 Frauen bewarben, war an die Standards der Europäischen Weltraumorganisation ESA angelehnt. Ende April 2017 wurden zwei Frauen ausgewählt, die nun zur Astronautin ausgebildet werden, eine von ihnen soll spätestens 2020 zur Raumstation ISS fliegen. Sowohl während des Flugs als auch während des Aufenthalts im All steht der wissenschaftliche Aspekt im Vordergrund – so sollen etwa Daten über das Verhalten des weiblichen Körpers in der Schwerelosigkeit oder über psychische und soziale Belastbarkeit erhoben werden, wofür bisher nur Daten von männlichen deutschen Astronauten vorliegen.