Carl Mittermaier „Eine Kanzel der Freiheit und Menschlichkeit“
Der Heidelberger Rechtsgelehrte Carl Mittermaier war Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung
Am 31. August 1867 wurde mit dem Heidelberger Ehrenbürger Carl Joseph Anton Mittermaier einer der renommiertesten deutschen Rechtswissenschaftler des 19. Jahrhunderts zu Grabe getragen. Vielen galt Mittermaier, der ab 1821 an der Ruperto Carola tätig war, als bedeutendster Jurist seiner Zeit, und noch Gustav Radbruch bezeichnete ihn als „den international berühmtesten unter allen deutschen Rechtsgelehrten des 19. Jahrhunderts“.
1787 in München geboren, wuchs Mittermaier in einer Zeit größter Veränderungen auf. Mit der Französischen Revolution brach nicht nur die politische und gesellschaftliche Ordnung des Ancien Régime zusammen, auch das überkommene Rechtssystem musste den neuen Verhältnissen angepasst werden, wo es nicht gleich ganz verschwand. Vor diesem Hintergrund traf das Modernisierungsbedürfnis der Partikularstaaten des Deutschen Bundes auf wissenschaftlich ambitionierte und innovative Rechtswissenschaftler. Zielsicher hatte der junge Mittermaier, der nach seiner Promotion in Heidelberg zunächst Professor der Rechte an der Universität Landshut wurde, erkannt, dass die Reform des Strafprozessrechtes ein wesentliches Projekt der juristischen Moderne und ein Schritt zur Verwirklichung des schon von Immanuel Kant postulierten „rechtlichen Zustands“ der bürgerlichen Gesellschaft war.
Der Staat rückte in den Schriften Mittermaiers in die Position einer neutralen Instanz, die den Unschuldigen vor der Willkür der Justiz schützte und den schuldigen Verbrecher seiner gerechten Strafe zuführte. In der realen Politik entpuppten sich die deutschen Staaten jedoch mit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 als Überwachungsregime, das besonders die Studenten im Visier hatte. Ausgerechnet Mittermaier, der im selben Jahr eine Professur in Bonn antrat, musste auf Befehl der preußischen Regierung als provisorischer Universitätsrichter die Untersuchungen an der jungen Rheinischen Universität leiten. Einer der Verhörten war der Jurastudent und Burschenschafter Heinrich Heine. Mittermaier verließ Preußen und ging, von Anton Friedrich Justus Thibaut umworben, ins liberale badische Heidelberg, wo er in der Karlstraße 8 ein standesgemäßes Domizil (heute „Palais Mittermaier“) erwarb.
Neben dem Strafrecht galt Mittermaiers Interesse auch dem Zivilrecht, das ebenfalls einen fundamentalen Wandel durchmachte. Er suchte Antworten auf die drängenden rechtspolitischen Fragen in der Vergangenheit, aber er beschränkte sich nicht auf die historische Betrachtung des Rechts: Die gesetzgeberischen Reformanläufe der deutschen Bundesstaaten und des Auslandes boten ihm reichhaltiges Material, das er unermüdlich sammelte, verglich und prüfte. Reformgesetze waren für ihn Feldexperimente in der weiten europäischen Rechtslandschaft, mehr oder weniger geglückte Versuche auf dem Weg zu einer bürgerlich-liberalen Rechtsordnung, und Ansätze, die er im Medium einer juristischen Fachöffentlichkeit kritisch beleuchtete. Mittermaier gab drei Fachzeitschriften heraus und veröffentlichte gut 1.000 Aufsätze, von denen einige Eingang in italienische, französische und englische Journale fanden. Hinzu kamen mehrere teilweise umfangreiche Monographien.
Die deutsche Rechtswissenschaft aber darf stolz darauf sein, dass einer ihrer hervorragendsten Vertreter auch einer der edelsten Menschen gewesen ist.
Levin Goldschmidt
Im Jahr der Märzrevolution 1848 wurde Mittermaier Präsident des Vorparlaments, Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung und Mitglied des Gesetzgebungsausschusses sowie des Verfassungsausschusses. Zu diesem Zeitpunkt hatte er in Baden als Mitglied der Zweiten Kammer, als deren Präsident er mehrfach fungierte, bereits eine beachtliche parlamentarische Karriere hinter sich. Das Echo seines Wirkens auf der nationalen politischen Bühne war eher verhalten: Zu professoral galt vielen seine Rhetorik; seine Versuche, zwischen den unterschiedlichen Positionen zu vermitteln, wurden als kompromisslerisch kritisiert. Die Todesstrafe hielt er, wie er in seiner Rede am 4. August 1848 betonte, zwar für ein Relikt der Vergangenheit, konnte sich aber lediglich dazu durchringen, ihre Abschaffung für politische Delikte zu fordern.
In der Spätphase seines Wirkens wandte sich Mittermaier der Ausgestaltung der Freiheitsstrafe zu, als deren Zweck die liberalen „Gefängniskundler“ die Besserung des Verbrechers ansahen. Eine „Gefängniswissenschaft“ internationalen Zuschnitts, die Theoretiker der Strafrechtswissenschaft wie Mittermaier und die „Praktiker“ des Strafvollzugs wie Gefängnisdirektoren, Anstaltsärzte und Seelsorger zusammenführte, bemühte sich um ein gleichermaßen humanes und effektives Vollzugsmodell. Der erste „Internationale Gefängniskongress“ fand 1846 unter der Leitung Mittermaiers in Frankfurt am Main statt.
Mittermaier war ein außergewöhnlich begabter und eifriger wissenschaftlicher Netzwerker. Unter seinen Briefpartnern fehlt kaum ein bedeutender deutscher Jurist und Briefe zahlreicher ausländischer Korrespondenten finden sich in seinem Nachlass. Dieser wird in der Universitätsbibliothek Heidelberg aufbewahrt, der er auch seine umfangreiche rechtswissenschaftliche Privatbibliothek vermachte. In Heidelberg engagierte sich Mittermaier in der Kommunalpolitik und im Vereinswesen, etwa im „Heidelberger Liederkranz“.
In Deutschland und im Ausland hochgeehrt, starb Carl Mittermaier am 28. August 1867 in Heidelberg und fand auf dem Bergfriedhof seine letzte Ruhestätte. Levin Goldschmidt, einer der führenden Handelsrechtler seiner Zeit, ehrte Mittermaiers Heidelberger Lehrstuhl als „eine Kanzel der Freiheit und Menschlichkeit“ und schloss seinen Nachruf mit den Worten: „Die deutsche Rechtswissenschaft aber darf stolz darauf sein, dass einer ihrer hervorragendsten Vertreter auch einer der edelsten Menschen gewesen ist.“