Carl Joachim Friedrich Pendler zwischen Heidelberg und Harvard
Carl Joachim Friedrich war Gründungsvater des DAAD und des Instituts für Politische Wissenschaft
Im Jahr 1922 unterbrach der 21-jährige Student Carl Joachim Friedrich sein Studium an der Universität Heidelberg und fuhr auf Einladung einer amerikanischen Studentenorganisation zu einer achtmonatigen Vortragsreise in die USA. Dort widmete er sich auch der Idee eines organisierten Studentenaustauschs, so dass im Herbst 1924 13 junge Deutsche Stipendienplätze an amerikanischen Hochschulen antraten, die Friedrich in Zusammenarbeit mit dem New Yorker Institute for International Education (IIE) organisiert hatte – womit er den Grundstein für den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) legte, der 2015 seinen 90. Geburtstag feierte. Damals konnte noch niemand ahnen, dass Carl Joachim Friedrich nach dem Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle beim demokratischen Neubeginn Deutschlands spielen würde – als persönlicher Berater des Chefs der amerikanischen Militärverwaltung und als einer der Gründungsväter der Politikwissenschaft in Heidelberg und Deutschland.
Der 1901 geborene Sohn eines Professors der Chirurgie war Student am Institut für Sozial- und Staatswissenschaften (Insosta) unter der Leitung des Heidelberger Nationalökonoms Alfred Weber, bei dem Friedrich 1925 promoviert wurde. Gemeinsam mit Weber und seinem Mitdoktoranden Arnold Bergstraesser – der später ebenfalls große Bedeutung für die Etablierung der Politikwissenschaft in Deutschland hatte – gründete Friedrich im Anschluss an die erfolgreiche Vermittlung der ersten Stipendien eine Staatswissenschaftliche Austauschstelle, die an das Insosta angegliedert wurde. Daraus ging der Akademische Austauschdienst e.V. (AAD) hervor, der am 1. Januar 1925 in Heidelberg mit Alfred Weber als erstem Vorsitzenden offiziell gegründet wurde und sich zunächst auf die Stipendienvergabe in den Sozial- und Staatswissenschaften beschränkte. Im Oktober 1925 zog der AAD nach Berlin um und organisierte ab dann den Studenten- und Akademikeraustausch in allen Fächern. Zum 1. Januar 1931 wurde er schließlich mit der Deutschen Akademischen Auslandsstelle des Verbandes der Deutschen Hochschulen und der damaligen Alexander von Humboldt-Stiftung zusammengeschlossen und in Deutscher Akademischer Austauschdienst umbenannt.
Zu diesem Zeitpunkt lebte Carl Joachim Friedrich bereits länger in den USA, die ihm zur zweiten Heimat wurden. Ab 1924 arbeitete er als Assistant Director am IIE, bevor er 1926 als Privatdozent an die Havard University wechselte, an der er 1936 ordentlicher Professor wurde. „Der Krieg brachte neue Aufgaben“, schrieb Friedrich in seinem Lebenslauf: 1942 wirkte er bei der Ausbildung von Militärregierungsbeamten mit, 1943 wurde er Direktor der School of Overseas Administration. Wie der Heidelberger Politikwissenschaftler Klaus von Beyme schreibt, fühlte Friedrich sich aber nicht als Emigrant, so dass es für ihn völlig klar war, dass er nach Kriegsende beim demokratischen Wiederaufbau Deutschlands helfen werde – was er dann auch tatsächlich umsetzte.
Bei der amerikanischen Militärregierung in Deutschland übernahm Friedrich verschiedene Funktionen: Er war unterstützend bei der Ausarbeitung der Länderverfassungen der US-Zone tätig und wirkte als politischer Berater von General Lucius D. Clay, dem Militärgouverneur der US-Zone, auch bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes mit. Außerdem wurde er zur Vorbereitung der Viermächteverhandlungen in Moskau herangezogen und arbeitete im Ausschuss für die Planung der Marshallplanhilfe mit.
Einer der weltweit bedeutendsten und produktivsten Politikwissenschaftler seiner Zeit
Arno Mohr über Carl Joachim Friedrich
1950 kehrte Carl Joachim Friedrich dann an seine Alma Mater in Heidelberg zurück. Bis zum Kriegsende hatte es in Deutschland kein eigenständiges Fach Politikwissenschaft gegeben – zur Heranbildung demokratisch gesinnter und handelnder Bürger sollte sich das nun ändern. „Nur wenn die Politik unter die Wissenschaften aufgenommen wird, ist die Politisierung der Wissenschaft wahrhaft zu verhüten“, schrieb Dolf Sternberger. Er und Friedrich hatten die ersten beiden Lehrstühle für Politische Wissenschaft inne, die den Grundstein für das 1958 gegründete Institut für Politische Wissenschaft (IPW) der Ruperto Carola legten. 1947 begannen die Verhandlungen zwischen Friedrich und der Universität über eine Gastprofessur, die er zum Sommersemester 1950 antrat. Am 7. Februar 1956 wurde er zum persönlichen Ordinarius berufen und lehrte von da an bis zu seiner Emeritierung 1966 im Sommersemester in Heidelberg und im Wintersemester in Harvard, wo er 1955 Eaton-Professor der Sciences of Government geworden war.
„Der Pendler zwischen Harvard und Heidelberg war einer der weltweit bedeutendsten und produktivsten Politikwissenschaftler seiner Zeit“, schreibt Arno Mohr in dem Buch „Politikwissenschaft in Heidelberg“, das zum 50. Geburtstag des IPW erschien. Laut Klaus von Beyme war er einer der sehr wenigen Politikwissenschaftler, die in der Zeit vor 1945 wie auch nach dem Krieg zu den wichtigen Vertretern des Fachs gehörten, vor allem aus dem Grund, dass er sowohl zur Politischen Theorie als auch zur vergleichenden Politikwissenschaft gearbeitet habe: „Es gibt kaum einen Bereich der Politikwissenschaft, zu dem er nicht publiziert hat.“
Auch bei den Studierenden hatte Friedrich einen „ganz besonderen, nahezu mythischen Ruf“, wie es der Politikwissenschaftler Jürgen W. Falter beschreibt. Er studierte von 1963 bis 1965 am IPW und erinnert sich noch gut an Friedrichs Vorlesung über politische Denker: „Carl Joachim Friedrich verstand in einzigartiger Weise, uns für diese Menschen, ihr Denken und ihre Zeit zu begeistern. Nach immer zögerlichem Beginn entfaltete er nach spätestens einer Viertelstunde ein derartiges rhetorisches Feuerwerk, verabreichte er uns eine so geballte Ladung von Informationen, originellen Formulierungen und von stupendem Bildungswissen, dass sich auch die Selbstbewusstesten unter uns ganz klein fühlten. (...) Friedrich war eindeutig der Primus inter pares.“
Literaturhinweis
Arno Mohr, Dieter Nohlen (Hg.): Politikwissenschaft in Heidelberg. 50 Jahre Institut für Politische Wissenschaft. Universitätsverlag Winter Heidelberg 2008.