Ruperto Carola Ringvorlesung: Immaterielles Erbe – eine Zukunftsressource? Wie „lebendig“ muss Living Heritage sein? Zur Bewertung von Musik als immaterielles Kulturerbe

  • Termin in der Vergangenheit
  • Montag, 22. Mai 2023, 18:15 Uhr
  • Neue Universität, Aula, Grabengasse 3, 69117 Heidelberg
    • Prof. Dr. Tiago de Oliveira Pinto, Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar, Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena

Die Frage, was ein musikalisches Kulturerbe sei, stellt sich seit Ratifizierung der „UNESCO Konvention zum Erhalt des immateriellen Kulturerbes“ (2003) völlig neu. Dem kanonisierten Meisterwerk der abendländischen Musikgeschichte steht nun Musik als immaterielles Kulturerbe gegenüber. Während ersteres u.a. durch Autographe, Notendrucke, Werkverzeichnisse und Tonträger materiell festgehalten wird, ist der immaterielle Bereich vor allem von lebendiger Musikpraxis geprägt. Diese erklingt im jeweiligen geistigen Zusammenhang, aus dem sie schöpft und den sie zugleich bereichert. Dass sie teilweise schriftlich festgehalten wird, ist kein Widerspruch zum Tatbestand der Immaterialität des Kulturerbes. Für das immaterielle Erbe gilt, dass ein Mindestmaß von Lebendigkeit (liveliness) vorhanden sein soll. Wie Lebendigkeit von Kulturerbe musikwissenschaftlich eingeschätzt werden kann, soll anhand von Beispielen aus Forschungen des eigenen Lehrstuhls verdeutlicht werden.

Pressemitteilung

RuCa Ringvorlesung Immaterielles Erbe SoSe23

Alle Termine der Veranstaltung 'Ruperto Carola Ringvorlesung'

Immaterielles Erbe: eine Zukunftsressource?

Mit ihrem Konzept von Fokusthemen trägt die Universität Heidelberg zweimal jährlich gesellschaftliche relevante Forschungsfragen in unterschiedlichen Formaten an die breite Öffentlichkeit heran. Zu den Angeboten im Sommersemester 2023 gehört die Ruperto Carola Ringvorlesung mit dem Titel „Immaterielles Erbe: eine Zukunftsressource?“.

Die UNESCO-Konvention zum Schutz des immateriellen Erbes der Menschheit wurde 2003 verabschiedet. Sie hat der Anerkennung des Konzepts des immateriellen Erbes global zu einem Durchbruch verholfen, in vielen Ländern mittlerweile aber auch nationale Listen immateriellen Erbes initiiert. Im Zentrum der Umsetzung standen bisher insbesondere regionale, auch indigene Kulturtraditionen etwa aus den Bereichen Musik, Schauspiel, Erzählen, Handwerk, Kochkunst oder auch religiös-spirituelle Praktiken. Lange Zeit wurde die Konvention insbesondere als ein Schutzinstrument für regionale Traditionen des globalen Südens gesehen, mittlerweile werden jedoch auch von mitteleuropäischen Staaten regelmäßig Nominierungen für die Schutzlisten der UNESCO-Konvention vorgelegt. Die Kulturwissenschaften sind in die Prozesse des „Making of“ des immateriellen Erbes involviert, diskutieren darüber hinaus aber auch die Erarbeitung und Umsetzung der UNESCO-Konvention kritisch: Macht es überhaupt Sinn, angesichts von Globalisierungs- und Modernisierungsprozessen sowie touristischer Inanspruchnahmen, entsprechende Traditionen als „Kulturerbe“ zu schützen? Werden damit überholte, kaum mehr verstandene Kulturformen und restaurative Gesellschaftsverständnisse konserviert? Oder kann umgekehrt die Aktivierung immateriellen Erbes eine Ressource für die Zukunftsgestaltung darstellen? Zum 20-jährigen Jubiläum der UNESCO-Konvention werden diese Fragen im Rahmen der Ruperto Carola Ringvorlesung diskutiert: in übergreifender Weise und auch in Bezug auf konkrete ausgewählte Kulturtraditionen.