Saša Stanišić „Blockaden kenne ich nicht, nur langes Nachdenken“
Der preisgekrönte Schriftsteller Saša Stanišić begann in Heidelberg mit dem Schreiben
Saša Stanišić (*1978) studierte von 1997 bis 2004 Deutsch als Fremdsprachenphilologie und Slavische Philologie an der Ruperto Carola. Geboren in Višegrad im heutigen Bosnien-Herzegowina kam er 1992 als 14-Jähriger mit seinen Eltern auf der Flucht vor dem Bosnien-Krieg nach Heidelberg. Er begann während seiner Schulzeit an der Internationalen Gesamtschule Heidelberg mit dem Schreiben und veröffentlichte bereits während seines Studiums Gedichte, Essays und Kurzgeschichten. Nach seinem Studienabschluss in Heidelberg studierte Stanišić ab 2004 am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Bekannt wurde er 2006 mit seinem Debütroman „Wie der Soldat das Grammofon repariert“, der in 31 Sprachen übersetzt wurde und für den Deutschen Buchpreis nominiert war. 2014 veröffentlichte Stanišić seinen zweiten Roman „Vor dem Fest“, der mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde und ebenfalls für den Deutschen Buchpreis nominiert war. Zu den weiteren Auszeichnungen für sein literarisches Werk gehören unter anderem der Förderpreis des Bremer Literaturpreises (2007), der Alfred-Döblin-Preis (2013) und die Berufung als Stadtschreiber von Graz (2006/2007). Saša Stanišić lebt heute in Hamburg.
Das Interview wurde im Juli 2015 per Mail geführt.
Herr Stanišić, Sie sind 1992 als 14-Jähriger aus Bosnien nach Heidelberg gekommen, sind hier zur Schule gegangen und haben auch hier studiert. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit der Stadt?
Man darf über Städte nicht so sprechen, als seien sie Hüte. Die Besucher erleben Heidelberg als Schmuckkasten, in dem das spannendste Bild das eines betrunkenen Japaners ist, beim Heraufkraxeln auf das Schloss, vorbei an den langsam nüchtern werdenden Burschenschaftlern. Heidelberg ist aber eben weitaus komplexer als seine Altstadt. Es ist eine Stadt, die mit der eigenen Gegenwart wesentlich mehr Probleme hat als mit der Vergangenheit. Eine Stadt, in der die verschiedensten Milieus nebeneinander zu finden sind, aber eben auch meistens nur nebeneinander. Dennoch war Heidelberg ein guter Ort für mich. Oben, auf dem Emmertsgrund, habe ich den rauen Teil der Stadtwirklichkeit kennenlernen dürfen, später, während der Studienzeit, in der Weststadt den beschaulich-bürgerlichen mit Radieschenbeeten. Ich glaube, ich war sogar mal auf dem Schloss.
Warum haben Sie sich für ein Studium in Heidelberg entschieden – wollten Sie nicht zum Studieren in eine andere Stadt?
Wegen des Fachs: Ich wollte unbedingt Deutsch als Fremdsprache (DaF) studieren mit dem Ziel, später DaF-Lehrer zu werden. Außerdem war ich verliebt. Und da zieht man ja weg, nur wenn man muss.
Wollten Sie schon damals Schriftsteller werden?
Ich wollte das, seit ich zehn bin. Aber meistens gab es auch einen zweiten Plan, einen sichereren, so glaubte ich. Auch hat mir das Unterrichten Spaß gebracht, also dachte ich wirklich, ich orientiere mich ganz und gar akademisch. Eine Zeit lang wollte ich sogar promovieren. Aber je länger ich an der Uni war, desto weniger wollte ich das wirklich. Ich habe mich manchmal in den Seminaren doch sehr gelangweilt, so dass ich zu schreiben begann. Die Prüfungen waren nicht wirklich schwierig, jedenfalls brauchte man, um sie zu bestehen, die Veranstaltungen oft gar nicht zu besuchen. Aus dieser Unterforderung heraus entstanden aber eben immer mehr literarische Texte und der Kindheitstraum vom „nur Schreiben“ wurde größer und größer.
Nach dem Studium in Heidelberg haben Sie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig studiert, das Ihnen das Handwerkszeug für Ihren heutigen Beruf mitgegeben hat. Haben Sie auch aus Ihrer Zeit an der Universität Heidelberg etwas mitgenommen, das für Ihr Berufsleben wichtig ist?
Es gab einige gute Seminare und sogar einige motivierte Dozenten am IDF und in der Slavistik, die Literatur als Möglichkeit und Spielwiese für Debatten über Gesellschaft, Politik, Geschichte etc. genutzt haben und in deren Leidenschaft, zu lesen und über das Gelesene zu sprechen, ich Verbündete fand und Bestätigung, dass die eigene Literaturproduktion einen Mehrwert hat, außerhalb des Buchs.
Mit dem Schreiben haben Sie schon während Ihrer Schulzeit begonnen und sind nun preisgekrönter Autor in einer Sprache, die nicht Ihre Muttersprache ist. Was hat Sie zum Schreiben gebracht?
Es ist eine klassische Geschichte von einem Jungen, der sehr gern las und wohl irgendwann selbst solche Welten erschaffen wollte. Meine Eltern waren meine ersten Leser, ich schrieb kurze Prosa und Gedichte vor allem über die Partisanen (Heldenepen!) und später erste zaghafte Liebesgedichte. Sie sind unfassbar kitschig, was schön ist.
Könnten Sie sich vorstellen, auch als Autor in Ihrer Muttersprache erfolgreich zu sein oder wäre das eine ganz andere Art des Schreibens für Sie?
Ich kann mir nie vorstellen, erfolgreich zu sein! Ich stelle mir immer nur vor, wie ich immer weiter erfinde und erzähle. Ich kann mir aber tatsächlich auch nicht vorstellen, auf Bosnisch zu schreiben, da ich doch viel der Sprache „eingebüßt“ habe. Es wäre eine riesige Anstrengung, gute Texte aufs Papier zu bringen in einer Sprache, die sich fast fremd anfühlt. Und das tut auch nicht unbedingt Not, da die Bücher ohnehin übersetzt werden.
In Ihrem ersten Roman Wie der Soldat das Grammofon repariert geht es um einen 14-Jährigen, der vor dem Krieg aus Bosnien nach Deutschland flieht und ein großer Geschichtenerzähler ist – ein unverkennbar autobiografischer Hintergrund. Wie kam es zu diesem Buch?
Aus zu vielen offenen Fragen an meine Kindheit, an den Krieg, die Flucht. Weil ich kaum eine beantworten konnte, habe ich andere gefragt, habe ihre Geschichten gesammelt und aufgeschrieben und mir dann dazu weitere Geschichten ausgedacht. Eine biografische Lesart hilft der Beantwortung dieser Fragen im Roman aber nicht. Zu stark vermischen sich hier Erinnerungen und Fiktion.
Und wie kamen Sie auf das Thema Ihres zweiten Romans Vor dem Fest, in dem ein Dorf in der Uckermark im Mittelpunkt steht?
Ich mag Verfall und Verschwinden. Das klingt vielleicht komisch. Mich faszinieren aber eben Orte, die es nicht leicht haben. Orte, denen Menschen abhanden kommen, Orte, die einmal „was waren“, es aber – warum auch immer – nicht mehr sind. Und darin interessieren mich aber nicht die Spuren des Verfalls und des Verschwindens, sondern die Menschen, die bleiben. Die trotz der widrigen Umstände etwas zu schaffen und zu erschaffen versuchen, die noch „was vor haben“. In Deutschland gibt es viele solche Orte, an denen die Arbeitslosigkeit, die Landflucht und die Verwahrlosung neue Bewohner geworden sind. So einen Ort wollte ich also erschaffen, um das zu erzählen, was den Menschen übrig bleibt: Erinnerungen, alte Geschichten und neue Hoffnungen.
Wie muss man sich Ihre Arbeitsweise beim Schreiben eines Romans vorstellen? Haben Sie die Geschichte zu Beginn fertig im Kopf oder entwickelt sie sich erst während des Schreibens? Fällt Ihnen das Schreiben immer leicht oder haben Sie auch mit kreativen Blockaden zu kämpfen?
Meistens gibt es eine Grundidee, ein Thema, aber keinen Plan. Ja, und dann schreibe ich irgendwo los und gucke, wo ich ein paar Jahre später – nach allen Recherchen, Zweifeln und schlechten Texten – rauskomme. Ich versuche, täglich zu schreiben, das ist auch eine Art Training, ich bin überzeugt, dass etwas verloren geht, wenn man nicht dran bleibt. Blockaden kenne ich nicht. Nur langes Nachdenken.
Wie wichtig ist Ihnen der Kontakt zu Lesern? Tauschen Sie sich nach der Einsamkeit des Schreibprozesses gerne auf Lesereisen mit ihnen über das neu entstandene Buch aus?
Werkstattgespräche über einen entstehenden Text sind mir immens wichtig. Ich könnte mir gar nicht vorstellen, etwas Längeres zu schreiben, ohne dass jemand, dessen Urteil ich vertraue, einen Blick darauf wirft. Es geht letztlich darum, mit optimalsten Sätzen optimalste Texte zu schreiben, und wenn mir dazu von außen geholfen wird, nehme ich die Hilfe immer dankbar an. Auf Lesereisen ist der Kontakt zu den Lesern/Zuhörern insofern wichtig, dass ich eben die Wirkung des Geschriebenen zum ersten (oder dann irgendwann fünfzigsten) Mal sehen kann.
Haben Sie schon Pläne für ein neues Buch?
Ja! Immer! Zehn gleichzeitig!
Eine abschließende Frage: Sie sind selbst als Kriegsflüchtling nach Deutschland gekommen – momentan suchen wieder viele Flüchtlinge Schutz in Deutschland, wobei es einerseits erschreckende Proteste gibt, andererseits aber auch eine große Hilfsbereitschaft in der Zivilgesellschaft, die sich etwa in Willkommensbündnissen wie in Heidelberg zeigt. Wie nehmen Sie die Situation wahr – haben Sie den Eindruck, dass Deutschland aus den fremdenfeindlichen Exzessen zu Beginn der 90er Jahre gelernt hat?
Nicht wirklich. In den sozialen Medien äußern sich Politiker nach Übergriffen auf Flüchtlingsunterkünfte mit fast dem gleichen Wortlaut wie in den 90ern nach Neonazi-Brandanschlägen – einem menschenverachtenden, der nicht die Opfer in Schutz nimmt und die Täter verdammt und verfolgt, sondern nur darüber nachdenkt, wie Deutschland sich weiter abschotten könnte. Die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung ist überhaupt eine beschämende Farce, in der Wirtschaftsinteressen eine größere Rolle spielen als lebensrettende Maßnahmen. Deswegen muss man sich in Initiativen wie der von Ihnen erwähnten engagieren – um beizutragen, dass Menschlichkeit auch praktisch ausgeübt wird.
(Die Fragen stellte Mirjam Mohr)