Angelika Zahrnt „Wir müssen unabhängiger vom Wirtschaftswachstum werden“
Die Ökonomin Angelika Zahrnt war die erste Bundesvorsitzende des BUND
Angelika Zahrnt (*1944) war von 1998 bis 2007 als erste Frau Bundesvorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Nach einem VWL-Studium in Heidelberg (1963 bis 1968) arbeitete sie ein Jahr am Lehrstuhl von Prof. Dr. Carl Christian von Weizsäcker an der Ruperto Carola und wurde 1973 bei Prof. Dr. Adolf Angermann promoviert. Weiter berufliche Stationen waren Siemens, das Stadtentwicklungsreferat München und die Abteilung Landesplanung der Hessischen Staatskanzlei. Von 1978 an war Angelika Zahrnt in der Familie, freiberuflich und ehrenamtlich tätig, unter anderem im Öko-Institut Freiburg. 1986 begann ihre Mitarbeit auf der Bundesebene des BUND, 1998 wurde sie zur Vorsitzenden gewählt. Seit 2008 ist sie Ehrenvorsitzende. Angelika Zahrnt hat unter anderem zur ökologischen Steuerreform und zum Thema Nachhaltigkeit publiziert und war Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung (2001 bis 2013). 2009 verlieh ihr das Land Baden-Württemberg den Ehrentitel „Professorin“. 2013 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.
Das Interview wurde im Oktober 2014 geführt.
Frau Zahrnt, welche Erinnerungen haben Sie an Ihr Studium der Volkswirtschaftslehre im Heidelberg der 1960er Jahre?
Ich habe mich für viele Fächer interessiert und dann für Volkswirtschaftslehre entschieden, weil ich dachte, dass das Fach auch mit Wirtschaftsgeschichte, Politik und Soziologie zu tun und daher eine relativ breite Ausrichtung hat. Aber die VWL war sehr mathematisch ausgerichtet und der Start war nicht gerade motivierend mit Buchhaltung, Statistik und Mikroökonomie. Das war nicht das interessante Spektrum, das ich mir vorgestellt hatte – aber ich habe meinen Studienplan dann selbst ein bisschen angereichert mit Veranstaltungen am damals neuen Südasien-Institut. Außerdem gab es eine Reihe interessanter Leute in anderen Fächern, so war ich oft Hörerin bei dem Germanisten Peter Wapnewksi, der eine tolle Vorlesung gehalten hat. Aber auch bei den Volkswirten gab es Professoren, die das, was ich mir vorgestellt hatte, vermitteln und einen Bezug zur Praxis herstellen konnten. Beispielsweise Rolf Wagenführ, der Generaldirektor des Statistischen Amtes der Europäischen Gemeinschaften, der Angewandte Statistik unterrichtet hat.
Hat sich im Laufe Ihres Studiums herauskristallisiert, was Sie damit machen wollten?
Eigentlich nicht so deutlich. Ich war an der Thematik Dritte Welt interessiert und war auch über ein Studentenprogramm drei Monate in Chile, Peru und Bolivien. Ich habe mir dafür einen Praktikumsplatz bei der CEPAL besorgt, der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik. Meine Diplomarbeit habe ich über die Inflation in Entwicklungsländern geschrieben. Ich wollte nach dem Studium gerne in die Entwicklungsländer gehen, aber dort gab es für meinen Mann, der Jurist ist, keine Möglichkeiten. Ich blieb dann erstmal an der Uni am Lehrstuhl von Carl Christian von Weizsäcker und habe in der Zeit einen EDV-Kurs zur Computersprache Fortran gemacht. Das fand ich sehr faszinierend, weil es in diesem Bereich eindeutige Aussagen darüber gibt, ob etwas richtig oder falsch ist – bei den Volkswirten ist es sehr stark Ansichtssache, was man als richtig oder falsch ansieht. Mir wurde dann klar, dass ich nicht an der Uni bleiben wollte. Prof. Wagenführ bot mir zwar an, bei ihm zu promovieren – aber 1968 war für politisch engagierte Leute nicht die Zeit, sich jahrelang mit Fußnoten zu beschäftigen, um dann einen Titel zu haben, das fand ich überflüssig.
Aber Sie haben dann doch noch promoviert.
Ja, es hat sich eher zufällig entwickelt. Mein Mann hatte ein Stipendium für die USA bekommen. Mich interessierte die Kreditkarte, die es in Deutschland noch nicht gab, und die damit verbundene Verschuldungsproblematik, die zu der Zeit in den USA stark diskutiert wurde, und ich sammelte Material darüber. Bereits vor unserer Reise hatte ich mir einen Job bei Siemens in München besorgt, in einer neuen Abteilung mit 20 Hochschulabsolventen, die Managementinformationssysteme entwickeln sollten. Ich war die einzige Frau, und alle anderen haben promoviert. Ich habe schnell festgestellt, dass man bei Siemens entweder sich als Lehrling hochgearbeitet haben oder promoviert sein musste, um ein Standing zu haben. Also habe ich gedacht, dann machst du doch deinen Doktor, und habe neben der Arbeit meine Dissertation über die Kreditkarte begonnen.
Wie ging es dann mit Ihrer beruflichen Entwicklung weiter?
Ich habe nach einem Jahr bei Siemens aufgehört und eine Weiterbildung als Systemanalytikerin gemacht. Dann habe ich in München im Stadtentwicklungsreferat und anschließend in der Hessischen Staatskanzlei in der Abteilung Landesplanung gearbeitet. Damals begann die Umweltbewegung mit den entsprechenden Auseinandersetzungen, und ich habe immer stärker gemerkt, dass ein Job, der von politischen Vorgaben bestimmt ist und in dem man sich anpassen muss oder aneckt, nicht das Richtige für mich ist. Da dann auch unser erstes Kind kam, haben mein Mann und ich ein Sabbatjahr genommen, um uns gemeinsam um unseren Sohn kümmern zu können. Nach diesem Jahr war mir klar, dass ich nicht mehr versuchen würde, innerhalb einer Behörde etwas zu verändern, sondern das von außerhalb versuchen wollte. Ich habe mich dann in einer ökumenischen Initiative engagiert, in der es auch um die Frage Ökonomie/Ökologie ging, und habe beim Öko-Institut bei einem ehrenamtlichen Projekt mitgemacht, in dem wir die Produktlinienanalyse entwickelt und dazu auch eine Veröffentlichung gemacht haben. Inzwischen war ich auch beim BUND gelandet, wo wir im Arbeitskreis Wirtschaft und Finanzen das Thema Ökologische Steuerreform aufgegriffen haben. So kam ich dann wieder in die wissenschaftliche Arbeit rein.
Sie hatten dann auch wieder Kontakt mit der Universität Heidelberg, wie kam es dazu?
Als wir im BUND am Thema Umweltsteuern arbeiteten, kamen wir in Kontakt mit Prof. Malte Faber vom Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie, der sich mit dem Thema Umweltabgaben im Abfallbereich beschäftigte. Diese Verbindung wurde dann intensiver, weil wir einen Gesprächskreis an der Uni hatten und eine Initiative für 50 Lehrstühle für Umweltwissenschaften starteten. Daraus ist zwar nichts geworden, aber Prof. Faber gründete dann das Interdisziplinäre Institut für Umweltökonomie, das bald sehr viel Renommee hatte. Dort haben sich zweimal im Jahr Professoren, Doktoranden und Habilitanden und Experten von außerhalb ausgetauscht, zu denen auch ich gehörte. Ich habe damals an der von mir initiierten Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ mitgearbeitet, die Nachhaltigkeit konkret gemacht hat, und unsere Arbeit in diesem Kreis vorgestellt. Es war sehr gut, dass ich unsere Ideen dort vortragen und diskutieren konnte. Auf der anderen Seite hat die Wissenschaftler interessiert, was ich über politische Diskussionen zum Thema Ökosteuer mit Oskar Lafontaine und Wolfgang Schäuble berichten konnte. Das war ein sehr reger, interessierter und interessanter Kreis, und das Neue und Aufregende war vor allem das Interdisziplinäre und Transdisziplinäre.
Die Themen Wirtschaft und Umweltschutz sehen viele als unvereinbar an – wie sehen Sie das als Ökonomin und Umweltschützerin?
Ich denke, eine Übereinstimmung von ökologischen und ökonomischen Zielen ist teilweise möglich, aber es gibt viele Konfliktfelder – und da muss man sich entscheiden, was wichtiger ist: Klimaschutz oder Wirtschaftswachstum. Bei uns steht das Wirtschaftswachstum an erster Stelle und ökologische Maßnahmen werden nur in einem Rahmen akzeptiert, in dem sie das Wachstum nicht gefährden. Aber so können wir unsere Ziele beim Klima- und Umweltschutz nicht erreichen. Aus dieser Überlegung heraus habe ich vor vier Jahren mit einer Kollegin das Buch "Postwachstumsgesellschaft" herausgegeben. Wir sagen, dass wir eine Wirtschafts- und Gesellschaftsform entwickeln müssen, die unabhängiger vom Wirtschaftswachstum ist. Nötig ist eine andere Organisationsform der Arbeit, mit der wir eine Vollbeschäftigung ohne weiteres Wachstum haben können. Bisher glaubt man immer noch, dass Wachstum auch ohne Umweltzerstörung möglich ist, wenn nur Produkte und Produktionsprozesse so effizient werden, dass wir die Nachhaltigkeitsziele durch eine Verringerung der Umweltbelastungen einhalten können. Aber es hat sich gezeigt, dass das nicht funktioniert: Die Effizienzgewinne werden überkompensiert durch das Wachstum. Gleichzeitig gehen die Menschen mit effizienteren Produkten viel sorgloser um, nutzen sie häufiger und schaffen sich noch ein paar mehr davon an – von daher erreichen wir in der Summe keine Abkoppelung des Wirtschaftswachstums vom Ressourcen- und Energieverbrauch. Trotz alarmierender Klimadaten steigen die CO2-Emissionen auf nationaler und internationaler Ebene weiter an.
Ist es nicht frustrierend, sich Jahrzehnte zu engagieren und kaum Fortschritte zu sehen?
Das schon, aber es hilft ja nichts – man muss trotzdem weitermachen. Es gibt die Formel eines kanadischen Ökonomen, dass wir die Transformation zu einer Postwachstumsgesellschaft hinbekommen werden "by design or by desaster". Also entweder arbeiten wir jetzt schon an einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft – oder erst dann, wenn die Klimakatastrophe uns dazu zwingt. Es lohnt sich also weiterhin, sich über Konzepte Gedanken zu machen. Zudem stimmt es hoffnungsvoll, dass von der Zivilgesellschaft in unterschiedlichsten Formen neue Ansätze eines anderen Wirtschaftens und Lebens ausprobiert werden. Viele Menschen, vor allem auch junge Leute, arbeiten an konkreten Projekten. Auch auf der Ebene der Städte tut sich in Sachen Nachhaltigkeit einiges, Heidelberg war da ja schon unter Oberbürgermeisterin Beate Weber Vorreiter. Auf kommunaler Ebene kann man in der Verkehrs- und Baupolitik sehr viel erreichen.
In ihrem aktuellen Buch beschäftigen Sie sich mit den „Perspektiven einer Suffizienzpolitik“ – was ist darunter zu verstehen?
Das ist eine Folge dieser Erkenntnis, dass Effizienzmaßnahmen für eine nachhaltige Entwicklung nicht ausreichen. Nötig ist Suffizienz, ein anderes Verhalten der Menschen: Man muss versuchen, das rechte Maß zu finden. Da hat die Politik bisher immer abgeblockt, mit dem Argument, der Lebensstil sei reine Privatsache. Aber das ist nicht zutreffend: Zum Beispiel hängt die Frage, ob Sie mit dem Rad zur Arbeit fahren, sehr davon ab, ob es Radwege gibt. In vielen Bereichen kann Politik Rahmenbedingungen schaffen, die darüber entscheiden, wie sich Menschen verhalten. In dem Buch geht es also um die Notwendigkeit einer Politik der Suffizienz, damit die Bemühungen des Einzelnen, einen umweltverträglichen Lebensstil zu praktizieren, auch die entsprechenden Infrastrukturen finden. Wenn Sie aber mit weniger Konsum auskommen, hat das natürlich Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum – und dann ist so etwas Harmloses wie der individuelle Lebensstil plötzlich hochpolitisch. Deswegen kommt man um die Frage des Wachstums nicht herum. Manche sagen, wir müssen ganz gezielt schrumpfen – unsere Position ist, dass wir unabhängiger vom Wachstum werden müssen. Ich bin nicht gegen Wachstum als solches, aber die ökologischen Ziele müssen Priorität haben. Daher brauchen wir eine Wirtschaft und Gesellschaft, die so organisiert sind, dass sie auch mit Stagnation und Schrumpfung zurecht kommen.
Warum haben Sie sich eigentlich entschieden, den BUND-Vorsitz zu übernehmen?
Weil ich Umwelt- und Naturschutz, die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen, für das zentrale Thema halte und weil ich diesen Verband mit seinen 2.000 Orts- und Kreisgruppen als eine faszinierende Organisation sehe. Diese breite Verankerung mit Aktivitäten vor Ort bis hin zu einem Wissenschaftlichen Beirat und einer nationalen und internationalen Vertretung halte ich für einen zentralen Motor der Veränderung im Umweltbereich. Das war eine Aufgabe, bei der ich ohne anzuecken sagen konnte, was ich denke, und bei der ich mit Menschen zusammengearbeitet habe, die größtenteils sehr ähnliche umweltpolitische Auffassungen hatten – und wenn nicht, dann hat man sich vernünftig auseinandergesetzt und eine Kompromisslinie gefunden. Das macht einfach auch Spaß! Zudem war es vom Management her eine Herausforderung, so einen Laden zu führen. Allerdings habe ich mich dafür eingesetzt und es wurde dann auch strukturell verankert, dass das Vorsitzendenamt ein bezahltes Amt geworden ist, weil man sonst schwer Menschen findet, die einen solchen Job in Vollzeit machen können. Ich konnte das nur deswegen ehrenamtlich übernehmen, weil mein Mann einen ganz normalen Beruf hatte, mit meiner Überzeugung übereinstimmte und sich familienmäßig stark engagiert hat. Es gab früher den Spruch "Vorsitzender kann werden, wer vermögend oder Rentner ist oder einen ausreichend verdienenden Partner hat“. Das sind aber nicht die Qualitätskriterien, die in einem demokratischen Verband für ein solches Amt gelten sollten.
(Das Interview führte Mirjam Mohr)