Yalemetsehay Mekonnen »Wenn ich etwas schaffen will, dann mache ich das auch!«
Die Humanphysiologin Yalemetsehay Mekonnen wurde als erste Frau in Äthiopien Professorin
Frau Mekonnen, wie sind Sie 1989 an die Universität Heidelberg gekommen?
Ich war jung und wollte unbedingt promovieren. Ein Kollege von mir hatte angefangen, in Deutschland zu promovieren, und er hat mir erzählt, dass man für eine Promotion ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD) bekommen kann. Damals gab es ja noch kein Internet, also habe ich in der Bibliothek nach entsprechender Literatur gesucht und habe fünf Professoren an verschiedenen deutschen Universitäten per Post mein Promotionsvorhaben geschickt. Aus Heidelberg, Mainz und von einer dritten Universität habe ich eine Zusage bekommen, dass man eine Einladung an den DAAD schicken werde, wenn ich dort promovieren wolle. Daraufhin habe ich mich erkundigt, welche Universität besser wäre, und habe gehört, dass Heidelberg eine berühmte Universität und auch die älteste in Deutschland sei – und so bin ich nach Heidelberg gegangen und habe dort promoviert.
Konnten Sie denn bereits Deutsch, als Sie nach Heidelberg gekommen sind?
Vor meinem Start in Heidelberg habe ich zunächst in Mannheim am Goethe-Institut einen Deutschkurs belegt, von Oktober 1988 bis März 1989. Ich hatte aber vorher schon in Äthiopien eine Zeit lang einfach aus Spaß und Interesse gemeinsam mit meinem Mann ein bisschen Deutsch gelernt. Das war nach der Geburt unseres ersten Kindes – damals hatten wir Zeit und haben uns gefragt, was wir abends machen könnten, und so haben wir angefangen, etwas Deutsch zu lernen. Das war nicht sehr tiefgehend, hauptsächlich ging es um Begrüßungen und solche Dinge, und ich habe irgendwann auch wieder damit aufgehört – aber somit konnte ich schon ein kleines bisschen Deutsch, als ich in Deutschland ankam. Für die Einschreibung in Heidelberg musste ich aber eine Sprachprüfung ablegen, so dass ich den Sprachkurs in Mannheim belegt habe. Aber als ich nach meiner schriftlichen und mündlichen Prüfung schließlich nach Heidelberg ins Labor kam, haben die Leute dort ganz anders gesprochen! Es war erst einmal sehr schwierig für mich, sie zu verstehen, so dass ich die ersten Monate hauptsächlich zugehört habe, aber dann konnte ich irgendwann auch richtig sprechen.
Ich erinnere mich gerne, wie der Grundstein für meine ganze Karriere, beginnend in Heidelberg, in Deutschland gelegt wurde.
Yalemetsehay Mekonnen
Welche Erfahrungen haben Sie in Heidelberg gesammelt?
Als ich in Heidelberg war, war die Situation nicht ganz einfach für mich, denn ich war verheiratet und hatte zwei Kinder und war somit von meiner Familie getrennt. Diese Entscheidung zu treffen, ist mir schwergefallen – aber wenn ich mich einmal für etwas entschieden habe, wenn ich etwas schaffen will, dann mache ich das auch! Zum Glück hatte ich sehr nette Kollegen im Labor, die mich unterstützt haben. Darunter war auch eine Kollegin aus Brasilien, die für einen einjährigen Forschungsaufenthalt am Labor war – sie hat mich immer ermutigt und mir geholfen, wenn etwas nicht geklappt hat oder wenn ich mich einsam gefühlt habe. Sie hat mir immer wieder gesagt: Du bist gut, du schaffst das!
Ich habe zunächst ein paar Monate in einem Zimmer auf dem Boxberg gewohnt, so dass ich abends nach meiner Arbeit noch einen weiten Weg im Dunkeln zurücklegen musste, wovor ich Angst hatte. Nachdem ich das einer Mitarbeiterin der Verwaltung erzählt habe, hat sie mir einen Wohnheimplatz im Neuenheimer Feld besorgt. Insgesamt hatte ich wirklich Glück und habe nichts Schlimmes während meiner Zeit in Heidelberg erlebt – ich erinnere mich aber auch immer lieber an die guten Dinge, an meine guten Erfahrungen mit meinen Kollegen und wie der Grundstein für meine ganze Karriere, beginnend in Heidelberg, eigentlich in Deutschland gelegt wurde.
In Heidelberg habe ich gelernt, sehr fleißig zu sein, was gut für meine Karriere war.
Yalemetsehay Mekonnen
Welche Rolle hat denn Heidelberg für Ihre Karriere gespielt?
In Heidelberg habe ich gelernt, sehr fleißig zu sein, was gut für meine Karriere war. Später war ich auch als Humboldt-Stipendiatin in Deutschland, und ich bin sehr dankbar für das, was Deutschland mir gegeben hat. In Heidelberg habe ich erfolgreich geforscht, ich habe viele Seminare und Kongresse besucht und habe hier ein interessantes Forschungsgebiet gefunden. Aber als ich nach Äthiopien zurückgekehrt bin, was ja ein Entwicklungsland war, konnte ich dort erst einmal nicht so weiterarbeiten, wie ich es aus Deutschland gewohnt war, weil das entsprechende Equipment fehlte. Daher habe ich mir überlegt, wie ich weitermachen kann, und habe dann eine andere Forschungsrichtung eingeschlagen und meine Erfahrungen dort eingebracht. In der Forschung ist es immer gut, wenn man neue Ideen einbringen und ein Projekt gemeinsam mit Kollegen entwickeln kann. Wenn man Lust hat, dann gibt es immer etwas zu tun – auch unter widrigen Bedingungen!
Wie war Ihr familiärer Hintergrund – war es selbstverständlich, dass Sie zur Schule gehen und studieren konnten?
Ich komme aus keiner sehr reichen Familie, aber sie hatte uns Kindern genug zu geben. Ich bin zwar in einem kleinen Dorf geboren, aber hauptsächlich in der Stadt aufgewachsen. Mein Vater, der vor sechs Jahren gestorben ist, war Polizist, meine Mutter, die jetzt 87 Jahre alt ist, war Hausfrau und sehr klug. Obwohl sie vom Land kam, war für sie immer klar, dass ihre Kinder eine Schulbildung bekommen sollten. Mein Vater hatte noch Kinder mit einer anderen Frau – so war das in Äthiopien damals – und wenn er nicht da war, hat sie uns immer ermutigt und unsere Hausaufgaben kontrolliert. In unserer Familie wurde auch kein Unterschied zwischen Jungen und Mädchen gemacht, es war bei uns nicht so, wie in einer typischen äthiopischen Familie – vielleicht, weil mein Vater Polizist war: Wir waren frei und haben immer viel diskutiert. Mein Vater hat nie gesagt: Du bist ein Mädchen, sei still! Er war sehr offen, anders als beispielsweise unsere Nachbarn. Das war damals nicht selbstverständlich, sondern eine Ausnahme. Ich hatte somit Glück, dass ich als Mädchen zur Schule gehen konnte. Ich war die erste in der Familie, die studiert hat, und meine Geschwister waren auch fast alle in der Schule und auf der Universität.
2009 wurden Sie als erste Frau in Äthiopien Professorin – was bedeutet Ihnen das?
In Äthiopien war ich tatsächlich die erste Frau mit diesem akademischen Grad – aber in anderen Ländern gab es damals vielleicht bereits äthiopische Frauen mit Professorentitel, denn es gab schon vor mir erfolgreiche Frauen aus Äthiopien! Ich bin stolz, dass ich das geschafft habe, denn ich hatte immer Spaß am Lernen, schon als kleines Mädchen in der Schule. Deswegen sehe ich es als großes Glück an, dass ich als Dozentin an der Universität bleiben konnte und nun schon seit 40 Jahren an der Universität arbeite. Ich habe mich permanent weitergebildet und habe immer meine Augen offen gehalten für Neues. Inzwischen ist es dank des Internets viel einfacher, neue Kontakte zu knüpfen – aber es hängt von einem selbst ab, was man schaffen kann. Ich sage den jungen Leuten immer: Wenn du etwas schaffen willst, dann such’ dir jemanden, der dir helfen kann. Denn es ist ein gegenseitiger Austausch: Die Professoren in Deutschland brauchen auch die fleißigen jungen Leute aus Äthiopien, Kongo, Nigeria oder China – der weltweite Austausch, den wir im Moment haben, bringt Erkenntnis für beide Seiten. Ich selbst war immer froh, als Forscherin meine Ergebnisse gemeinsam mit meinen Studenten veröffentlichen zu können – das war mir immer eine Freude.
Sie setzen sich auch sehr für Frauenförderung ein – was sind Ihre Beweggründe dafür?
Mein Lebensmotto lautet: Wenn man weiß, was einen interessiert und woran man Spaß hat, dann kann man mit etwas Glück und Selbstbewusstsein alles schaffen. In Äthiopien ändert sich gerade einiges, wir sehen selbstbewusste Frauen, die erfolgreich sind und Karriere machen. Aber es ist immer noch schwierig für Frauen, vor allem für junge Frauen vom Land: Sie sind oft schüchtern und haben Angst, und wenn etwas nicht klappt, dann denken sie, das sei das Ende. Ich möchte, dass sie wissen: Auch wenn einmal etwas nicht klappt, heißt das nicht, dass du dumm bist. Man sollte in Ruhe das finden, was zu einem passt, und sich mit einer positiven Einstellung ausprobieren – wenn man mit der Einstellung „Das klappt sowieso nicht“ rangeht, dann klappt es auch nicht. Deswegen möchte ich die jungen Frauen ermutigen – egal ob sie Lehrerin, Ärztin oder Schauspielerin werden möchten: Bitte mach’ weiter, sei selbstbewusst und hab’ keine Angst – du schaffst das, und wenn etwas nicht klappt, dann gibt es immer auch eine andere Möglichkeit. Ich kann für die jungen Leute ein Role Model sein und kann junge Frauen – aber auch Männer! – ermutigen, dass sie alles schaffen und sogar besser als ich werden können.
War es denn schwierig für Sie, Familie und Karriere unter einen Hut zu bekommen?
Ja, das war schwierig. Aber ich hatte Glück, denn ich hatte einen sehr guten Mann, außerdem war meine Mutter damals noch vergleichsweise jung und hat mir gesagt: Wenn du weitermachen willst, bin ich für dich da – warte nicht auf später. Sie hat mich ermutigt und unterstützt, und auch mein Mann, meine Geschwister und meine Freunde haben mich unterstützt. Ich war immer fleißig – aber das ist nicht das allein Ausschlaggebende für ein erfolgreiches Leben: Man braucht auch Liebe und Verständnis füreinander.
Weiterführende Informationen
Die äthiopische Zell- und Humanphysiologin Yalemetsehay Mekonnen (*1955), die an der Universität Addis Abeba forscht und lehrt, erhielt 2009 als erste Frau in Äthiopien einen Professorinnentitel. Zu Beginn ihrer akademischen Laufbahn wurde sie nach einem Biologiestudium an der Universität Addis Abeba 1992 an der Universität Heidelberg promoviert, wo sie von 1989 an im Bereich Endokrinologie in der Inneren Medizin des Universitätsklinikums Heidelberg forschte. Neben Auslandsaufenthalten unter anderem in Indien und Großbritannien forschte sie immer wieder in Deutschland, beispielsweise mehrfach als Humboldt-Stipendiatin an der Universität Hohenheim. Yalemetsehay Mekonnen veröffentlichte mehr als 100 wissenschaftliche Artikel, erhielt zahlreiche internationale Forschungspreise und war unter anderem von 2004 bis 2006 Präsidentin der Biological Society of Ethiopia. Zudem ist sie Mitglied der Society for Ethiopian Women in Science and Technology, deren Vorsitzende sie von 2013 bis 2017 war.