Max Weber Der Interpret der Moderne
Max Weber und Heidelberg
Am 14. Juni 1920 starb Max Weber im Alter von 56 Jahren – an den Folgen der Spanischen Grippe. „Beinahe unheimlich mutet es an, dass wir heute – hundert Jahre später – erneut mit einer globalen Pandemie konfrontiert sind, deren Folgen für unser soziales und kulturelles Leben noch völlig unabsehbar sind“, sagte der Heidelberger Historiker Prof. Dr. Manfred Berg im Juni 2020 in seiner Einführung zu einer Podiumsdiskussion, die sich anlässlich des Max-Weber-Jubiläumsjahres mit dem bedeutenden Sozialwissenschaftler als „Interpreten der Moderne“ beschäftigte. Und vielleicht liefere ja dessen Werk „einige Anregungen dazu, wie die gegenwärtige Corona-Krise gedeutet werden kann“ – der Historiker denkt dabei etwa an den von Weber geprägten Begriff der „Verantwortungsethik“ für politisches Handeln.
Max Webers Leben und seine akademische Karriere waren eng mit Heidelberg verbunden. An der Ruperto Carola studierte er in den 1880er-Jahren drei Semester Rechtswissenschaften, hörte aber auch Vorlesungen in Geschichte, Nationalökonomie und Philosophie. Eine Rückkehr erfolgte 1897, als Weber an die Universität Heidelberg auf eine Professur für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft berufen wurde. Aufgrund einer schweren Nervenerkrankung musste er seine Lehre jedoch bald einschränken und 1903 gänzlich aufgeben – das Ordinariat tauschte er gegen eine Honorarprofessur und Privatgelehrten-Existenz ein.
Dennoch übte Max Weber weiterhin einen großen Einfluss an der Ruperto Carola aus. Seine Wirkung entfaltete er nun vor allem in Gelehrten-Kreisen, die in der Tradition der Salon-Kultur des 19. Jahrhunderts standen und für das Heidelberg dieser Zeit charakteristisch waren. Zahlreiche intellektuelle Zirkel und Gruppen hatten sich damals in der Neckarstadt gebildet, die sich außerhalb der Universität in zumeist privaten Zusammenkünften konstituierten und teilweise weit über die Stadtgrenzen hinaus wirkten. Manche waren nur ausgewählten Personen zugänglich, andere entwickelten sich zu halböffentlichen Diskussionsforen. Zu deren Charakteristika gehörte auch eine ausgesprochene Interdisziplinarität.
Für Max Weber wurde zunächst der 1904 gegründete „Eranos“-Kreis um den Neutestamentler Adolf Deissmann zu einem wichtigen Forum. Dort ging es vornehmlich um religionswissenschaftliche Fragestellungen, die in Webers Werk eine große Rolle spielen und etwa auch seinen Begriff von der „Entzauberung der Welt“ beeinflussten. „Ich habe niemals eine so hochstehende und so ergiebige Form akademischen Austauschs und freundschaftlich-geselliger Geistigkeit wiedererlebt“, erinnerte sich Deissmann rückblickend. Als der Theologe 1908 einen Ruf nach Berlin annahm, löste sich der „Eranos“-Kreis allmählich auf.
An dessen Stelle trat für Max Weber gewissermaßen ein Heimspiel. 1910 hatten seine Frau Marianne und er den ersten Stock einer Villa in der Ziegelhäuser Landstraße 17 bezogen, die seine Großeltern Georg Friedrich und Emilie Fallenstein 1847 erbaut hatten und in der Max Weber als Kind regelmäßig einen Teil seiner Ferien verbrachte. Im großen Salon mit Schlossblick, in dem sich heute das Internationale Studienzentrum der Universität Heidelberg befindet, lud das Ehepaar fortan zum sonntäglichen „Jour fixe“ ein, an dem Wissenschaftler, Studenten, Künstler und Freunde der Familie teilnahmen.
Wie der Heidelberger Soziologe Wolfgang Schluchter in seinem Vortrag „Max Weber und der Heidelberger Gelehrtenkreis“ im Rahmen der Jubiläumsveranstaltungen betonte, war dort alles „auf die Bedürfnisse Max Webers zugeschnitten: Er bestimmte den Rhythmus der Zusammenkünfte, er bestimmte den Ton“. Weber las zuweilen aus unveröffentlichten Werken vor, die Diskussionen waren aber nicht auf Fachfragen beschränkt. Schluchter zufolge zeigten ihn die Zusammenkünfte zudem als engagierten „Mentor“, dem am „Fortkommen der begabten jungen Wissenschaftler besonders gelegen war“. Zu diesen gehörte auch der Philosoph und Psychologe Karl Jaspers.
Dass der „Jour fixe“ vorerst ein Ende fand, hing in erster Linie mit Webers bereits länger schwelenden Liebesbeziehung zu Else Jaffé-von Richthofen zusammen, einer ehemaligen Studentin und Doktorandin: „Es steht nun bevor – entweder: die Bücher und ein Leben in Heidelberg – oder: das Leben und dann vielleicht, ein Leben dort, ganz nah dem Mittelpunkt alles Lebens in der Schönheit“, formulierte er in einem Brief an die Geliebte. Mit „dort“ war München gemeint, der Wohnort von Else Jaffé. Webers Weg dorthin führte über eine Professur für Gesellschaftswissenschaft, Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie an der Ludwig-Maximilians-Universität. Viel Zeit für „das Leben“ war ihm in der bayerischen Hauptstadt jedoch nicht mehr vergönnt – die Spanische Grippe, die ihn erwischte, führte zu einer nicht mehr heilbaren Lungenentzündung. Nach seinem Tod 1920 wurde Max Weber auf dem Heidelberger Bergfriedhof begraben. Den „Jour fixe“ in der Ziegelhäuser Landstraße ließ Marianne Weber, die sich weiter für die Verbreitung des Werks ihres Mannes einsetzte und auch seine Biographie verfasste, Mitte der 1920er-Jahre wieder aufleben. Er bestand bis zu ihrem Tod im Jahr 1954.
Max Weber (1864 bis 1920)
Max Weber (1864 bis 1920) gilt als einer der Begründer der modernen Soziologie und übte mit seinen Theorien und Begriffsprägungen einen großen Einfluss auf die Sozial- und Kulturwissenschaften aus. Geboren in Erfurt, aufgewachsen vor allem in Berlin, führte ihn das Studium, das er in Heidelberg begann, unter anderem auch nach Göttingen und Straßburg und wieder zurück in die deutsche Hauptstadt. Eine erste Professur für Handelsrecht und deutsches Recht hatte er von 1893 bis zu seiner Berufung an die Ruperto Carola an der Universität Freiburg inne. In Heidelberg ist nicht nur das Gebäude des Internationalen Studienzentrums nach ihm benannt, sondern auch das Institut für Soziologie. Zu Max Webers bekanntesten Werken zählen „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ sowie „Wirtschaft und Gesellschaft“. Pünktlich zum Jubiläumsjahr anlässlich des 100. Todestages konnte 2020 an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften die historisch-kritische Gesamtausgabe seiner Schriften in 47 Bänden abgeschlossen werden, an deren Herausgabe der Heidelberger Soziologe Wolfgang Schluchter federführend beteiligt war.
Die Veranstaltungen der Ruperto Carola zum Max-Weber-Jubiläumsjahr sind als Videoaufzeichnungen auf dem zentralen Portal heiONLINE eingestellt.