Wessen kulturelles Erbe? Interessen und Interessensgruppen im Widerstreit
Referentin: Monica Juneja, Global Art History/HCTS, Universität Heidelberg
Respondentinnen: Melanie Trede, Ostasiatische Kunstgeschichte, Universität Heidelberg
Inés de Castro, Direktorin des Linden-Museums Stuttgart/Staatliches Museum für Völkerkunde
Vortrag am 5. November 2018
Der Begriff Kulturerbe kann als Schöpfung der historischen Imagination moderner Nationen beschrieben werden. Ursprünglich eine Errungenschaft der europäischen Aufklärung ist er heute zum globalen Konzept geworden, wie auch seine institutionalisierten Einrichtungen der Denkmalpflege oder der Museen. Die Stilisierung historischer Überreste aus der Vergangenheit zu nationalen Erinnerungsorten, die zur Stiftung kollektiver Identitäten beitragen sollen, fand in dem von Pierre Nora geprägten Begriff „lieux de mémoire“ seine eindeutige Kanonisierung. Der Vortrag lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Brüchigkeit der auf allgemeinen Konsens ruhenden Erinnerungsfunktion von Kulturerbe. Arjun Appadurai bezeichnet den gängigen Begriff von Kulturerbe als „predatory“ („räuberisch“): Inwieweit gründen sich die durch ihn zelebrierten Formen der Erinnerung auf die Eliminierung anderer Formen? Wo erhalten wir Zugang zu den unterdrückten Formen der Erinnerung? Der Vortrag geht auf die Herausforderung der gegenwärtig konfliktträchtig gewordenen Beziehung zwischen Nation und Kultur für die an der wissenschaftlichen Erforschung und dem Erhalt von Kulturerbe beteiligten Fächer und Institutionen ein. Er fragt nach den analytischen Mitteln, die geeignet wären, um ein multiskaliertes, polyvalentes Verständnis von Kulturerbe zu entwickeln.
Monica Juneja ist Professorin für Globale Kunstgeschichte am Heidelberg Zentrum für Transkulturelle Studien. Zuvor hatte sie eine Professur an der Universität Delhi inne. Gastprofessuren führten sie nach Wien, Hannover, Atlanta und Zürich. Sie wurde gefördert durch die Alexander von Humboldt Stiftung, die Volkswagen Stiftung, das Maison des Sciences de l’Homme und zuletzt durch das Getty Research Institute. Sie forscht und schreibt zu Transkulturalität und Praktiken der visuellen Repräsentation in Südasien, Geschichte der materiellen Kultur und Kulturerbe, die disziplinären Bahnen der Kunst- und Architekturgeschichte Südasiens sowie die Verquickung von Christianisierung, religiösen Identitäten und Kunstproduktion.
Melanie Trede ist seit 2004 Professorin für Kunstgeschichte Japans an der Universität Heidelberg, nachdem sie an der Columbia University und dem Institute of Fine Arts/New York University unterrichtet hatte. Ihre Forschungsfelder und -interessen umfassen politische Ikonografie und Genderthematiken in der japanischen Malerei, Sammlungsgeschichten, Kunsthistoriografie und -terminologien, sowie transkulturelle und digitale Kunstgeschichte.
Inés de Castro ist seit 2010 Direktorin des Linden-Museums Stuttgart - Staatliches Museum für Völkerkunde. Davor kuratierte sie bereits die ethnologische Sammlung des Roemer- und Pelizaeus-Museums Hildesheim und war dort als stellvertretende Direktorin und Prokuristin tätig. Nach ihrer Promotion im Fach Ethnologie an der Universität Bonn absolvierte sie ein Volontariat im Staatlichen Museum für Völkerkunde München.