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Studentenkarzer Geschichte

Zu den Privilegien, mit denen die Universität bei Ihrer Gründung ausgestattet war, gehörte das Recht, über ihre Mitglieder selbst Recht zu sprechen. Schon für das Jahr 1387 ist die Verhängung einer Karzerstrafe belegt; es musste also ein geeignetes Gefängnis zur Verfügung stehen. Zeitweise sitzen die Verurteilten in den städtischen Gefängnissen; erst für das 16. Jahrhundert ist ein eigener Universitätskarzer bekannt. Mit dem Neubau der Universität ab 1712 brachte man zwei Zellen unter der Treppe unter, deren Tür heute noch im großen  Barock-Treppenhaus zu sehen ist. Diese feucht-kalten Räume entsprachen bald nicht mehr den hygienischen Anforderungen und wurden mehrfach als gesundheitsschädigend bezeichnet. Viele Studenten ließen sich lieber von der Universität verweisen, als dort ihre Haftstrafe abzusitzen. Schließlich wurde das an die Alte Universität angrenzende Barockhaus in der Augustinergasse 2 ausgebaut. Ab 1823 standen hier fünf Zellen zur Verfügung.

Student Prison, located in the back of the Old University.

Im selben Haus wohnte der Hausmeister, der gleichzeitig eine Art Universitätspolizist war. Seine Amtsbezeichnung „Pedell“ wurde von den Studenten oft als „Pudel“ verballhornt.

Im Jahr 1886 wurden die Privilegien der Universität aufgehoben. Die Studenten unterstanden nun den allgemeinen Landesgesetzen. Für Disziplinarvergehen blieb die akademische Gerichtsbarkeit allerdings weiterhin zuständig und konnte mit bis zu 4 Wochen Karzerhaft oder Ausschluss von der Universität bestrafen.

Die typischen Delikte waren nächtliche Ruhestörung durch lautes Singen, schlechtes Benehmen in der Öffentlichkeit nach zu viel Alkoholgenuss, Zerschlagen von Laternen, nächtliches Nacktbaden im Marktplatzbrunnen, Austragen von Duellen oder Widerstand gegen die Staatsgewalt, was meistens im Hänseln und Verspotten von Polizisten bestand. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war es für einige Studenten eine Art Sport, wenigstens einmal während ihres Studiums in den Karzer zu kommen. Der Einzug in den Karzer wurde gerne als karnevalsartige Karikatur der Obrigkeit gestaltet: die Kommilitonen des Verurteilten verkleideten sich als Richter, Henker und Klageweiber und geleiteten ihn mit großem Getöse zum Anritt seiner Haftstrafe. Theoretisch durfte man von hier aus durch einen Verbindungsgang in die Alte Universität gehen, um an den Lehrveranstaltungen teilzunehmen. Weiterhin war es erlaubt, sich eigene Bettwäsche mitzubringen, nach den ersten Tagen bei Wasser und Brot sich Essen und Trinken liefern zu lassen und auch noch Besuch zu empfangen. Insgesamt galt das Karzerleben als recht komfortabel und unterhaltsam, und so wurde die Haft eher genutzt, um Lehrveranstaltungen zu schwänzen, ausgiebig Karten zu spielen, und vor allem um Wände und Decken mit Malereien und Gedichten zu verzieren. Diese zeigen auffällig oft auch Wappen, Monogramme und Farben der studentischen Verbindungen. In ihnen war etwa ein Drittel der Studenten organisiert. Verbindungsmitglieder waren, wie es in der Festschrift von 1886 heißt, „allezeit aus demjenigen Teile der Studentenschaft hervorgegangen, welcher in seinem Vermögen nicht sehr geschränkt war“. Sie können sich die Gebühren, die für Aufnahme und Aufenthalt im Karzer, für die Entlassung, sowie für Feuerholz und Licht an den Pedell zu entrichten waren, problemlos leisten. 1886 besingt ein Heidelberger Student in einem wehmütigen Abschiedsgedicht seine bevorzugten Aufenthaltsorte. Nach der Lieblingskneipe und dem Fenster zum Stübchen seiner Liebsten finden auch der Karzer und die daneben liegenden Vorlesungssäle Erwähnung:

In der Gaß´der Augustiner
Weiß ich noch ein and´res Haus;
Förster, des Senates Diener,
Geht dort sorgend ein und aus.

Von den Haus kenn´ich genauer
Nur das ob´re Stockerk zwar,
wo mit Bildern füllt die Mauer
Eine flotte Künstlerschaar.

Von den großen haus daneben,
Wo die Säle hoch und weit,
Weiß ich wen´ger – und darum eben
Schweigt des Sängers Höflichkeit.

Die Haftstrafen wurden offensichtlich nicht ernst genommen und führten ganz bestimmt nicht dazu, dass die Insassen zur Besinnung kamen und ihre Taten bereuten. Man fragt sich daher, warum die Obrigkeit sich so lange auf der Nase herumtanzen ließ. Ob das Verhalten der Studenten im Zeitgeist lag und dem Männlichkeitsbild der zweiten Kaiserreichs entsprach, oder einfach die Verwaltung schwerfällig reagierte – erst 1908 begann man im Justizministerium in Karlsruhe darüber nachzudenken, ob die Karzerhaft noch zeitgemäß ist. 1914, bei Ausbruch des ersten Weltkrieges, war es dann endgültig vorbei mit der akademischen Gerichtsbarkeit.

Schon in Betriebszeiten war der Heidelberger Karzer ein einzigartiges Denkmal akademischer Sondergerichtsbarkeit und zog Touristen an. Einige - besonders die Damen – waren von den Insassen so beeindruckt, dass sie ihnen aus den besten Gasthäusern „feste und flüssige Nahrung“ liefern ließen. Mark Twain notierte 1887: „Es ist fraglich, ob die Weltgeschichte des Verbrechens einen seltsameren Brauch aufzuweisen hat als diesen“. Was die Ausgestaltung der Decken und Wände betrifft, schreibt einer der Inhaftierten: „die künstlerischen Produkte werden dem Schutze des Publikums empfohlen.“ – daran hielt sich die Universitätsleitung schon bei der umfassenden Renovierung 1986. Bis heute bemüht man sich um die Erhaltung der zum Teil empfindlichen Putzschichten, um diese ganz besondere Art von Gefängnis für kommende Generationen als Denkmal zu erhalten.

KINDERUNI DIGITAL – Party im Knast. Der Studentenkarzer