Ulrike Marcks „Archäologie hört nie auf, spannend zu sein!“
Ulrike Marcks ist mit Leib und Seele Kunsterzieherin und Vorsitzende des „Forums Antike“
Wenn man von jemandem sagen kann, dass ihr die Liebe zu Kunst und Archäologie in die Wiege gelegt wurde, so trifft das auf Ulrike Marcks zu: Ihr Großonkel Gerhard Marcks war ein bekannter Bildhauer, ihr Großvater Dietrich Marcks war Mitglied der Grabungskampagne, die die Büste der Nofretete entdeckte, und ihre Großmutter Else Marcks-Penzig war Buchgrafikerin und Zeichenlehrerin mit eigener Kunstschule. Vor allem war da aber die berühmte Mutter – Marie Marcks, die bekannteste Karikaturistin Deutschlands, die bis zu ihrem Tod 2014 eng mit Heidelberg verbunden war. Als Empfängerin all dieser Einflüsse ist Ulrike Marcks nicht nur bis heute Kunsterzieherin mit Leib und Seele, sondern seit 2006 auch Vorsitzende des „Forums Antike“, des Freundeskreises des Instituts für Klassische Archäologie der Ruperto Carola.
In Ermangelung von Kinderbüchern wurde ich mit Büchern über die ägyptische Kultur und Bildbänden über das Leben und die Schlachten Friedrichs des Großen unterhalten.
Ulrike Marcks
„Mein Faible für Archäologie und Kunst wurde schon früh geweckt, da ich die ersten sechs Lebensjahre bei meinen Großeltern aufwuchs“, erinnert sich Ulrike Marcks. Diese waren im Zweiten Weltkrieg aus Berlin auf einen Bauernhof bei Magdeburg evakuiert worden. „In Ermangelung von Kinderbüchern wurde ich mit Büchern über die ägyptische Kultur und Bildbänden über das Leben und die Schlachten Friedrichs des Großen unterhalten. Ich saß auf dem Schoß meines Großvaters und hörte Geschichten von den Ausgrabungen und von Nofretete, aus der Ilias und der Odyssee. Das hat mich sehr geprägt.“
Von ihrem siebten Lebensjahr an lebte Ulrike Marcks bei ihrer Mutter in Heidelberg. Als Zwölfjährige ging sie mit der Familie für ein Jahr in die USA, da ihr Stiefvater ein Postdoc-Stipendium an der Yale University erhalten hatte. Sie reisten quer durch das ganze Land und besuchten Freunde der Großeltern, die während des Dritten Reichs emigriert waren, darunter der berühmte Architekt und Bauhaus-Gründer Walter Gropius, der Marie Marcks’ Patenonkel war. Ulrike Marcks, die zu Beginn ihres Aufenthalts kein Wort Englisch sprach, freundete sich in der Schule eng mit einem jüdischen Mädchen an. „Ich hatte damals als Kind keine Ahnung vom Holocaust und die ganze Schule schaute mit Freude auf diese kindliche Freundschaft.“
Zurück in Heidelberg, besuchte Ulrike Marcks, ermuntert von den Lehrern ihres humanistischen Gymnasiums, bereits als Schülerin Veranstaltungen an der Ruperto Carola. „Wir hörten schon mit 15 Jahren Gadamer und fühlten uns toll. Besonders die Alte Aula, die damals noch als Gipfel eklektizistischer Geschmacklosigkeit galt, begeisterte mich mit ihrer Atmosphäre – ich fand sie großartig und würdevoll.“ Nach dem Abitur studierte sie an der Kunstakademie, zunächst in München, dann in Karlsruhe in der Bildhauerklasse. „Kunstgeschichte lernten wir wenig, denn alles Vorherige galt als verstaubt, akademisch und rückständig – stattdessen waren abstrakte Kunst und Mega-Egotrips angesagt.“ Ulrike Marcks wurde Assistentin und Lebensgefährtin eines Dozenten für Malerei und stürzte sich in die Arbeit, „anstatt das Establishment infrage zu stellen, zu diskutieren, zu gammeln oder high zu sein“, wie sie sagt. Gemeinsam konzipierten sie „Kunst-am-Bau“-Projekte wie Wandmalereien, Brunnenanlagen oder Beton-Reliefs, die an verschiedenen Orten in Baden-Württemberg mit Studierenden ausgeführt wurden. Das Paar kaufte zudem eine Segelyacht, mit der es zu griechischen Ausgrabungsstätten fuhr – den Orten der Geschichten aus Ulrike Marcks früher Kindheit.
Wir hörten schon mit 15 Jahren Gadamer und fühlten uns toll.
Ulrike Marcks
Im Nebenfach studierte Ulrike Marcks an der Ruperto Carola Anglistik. Nach dem Examen begann sie als Kunsterzieherin am Gymnasium zu arbeiten und stellte zu ihrer Verblüffung fest, „dass es mir viel Spaß machte, mit Kindern und Jugendlichen umzugehen und mit ihnen zwischen Iktinos und Zaha Hadid, Phidias und Jeff Koons, Apelles und Cy Twombly zu surfen“. Seither ist sie mit Begeisterung Kunstlehrerin und unterrichtet auch nach ihrer Pensionierung weiterhin einige Stunden in der Woche. „Die Schule ist nicht nur ein Ort ‚des Guten‘, wo eine Gesellschaft verwirklicht, was sie als richtig, notwendig und zukunftsträchtig erachtet. Sie sollte auch ein ‚guter Ort‘ sein – und dafür kann man als Kunstlehrer etwas tun“, erklärt sie. „Nicht nur, indem man das Fach als emotional besetzten Gegenpol zu den kognitiven Fächern auffasst – man kann auch das Potential eines Schülers erspüren, es fördern und sein Selbstwertgefühl steigern.“
Von 1984 bis 1989 lebte Ulrike Marcks mit ihrem Ehemann und zwei Töchtern in Rom und arbeitete als Kunstlehrerin an der Deutschen Schule. „Wir waren ununterbrochen damit beschäftigt, die Kirchen, Paläste, Plätze und Monumente in und um Rom zu erkunden, so dass unsere beiden Töchter heute behaupten, sie hätten dadurch einen lebenslänglichen Kulturschock erlitten.“ Nach der Rückkehr nach Heidelberg begann sie, mit ihren Schülern zum Zeichnen in die Abguss-Sammlung des Instituts für Klassische Archäologie zu gehen. „An den rund 800 Abgüssen der meisten bedeutenden Skulpturen der Antike wird eine tausendjährige Entwicklung exemplarisch deutlich. Es ist eine schöne Aufgabe, die Schüler dort zeichnen zu lassen und zu sehen, wie sie sich mit den Kunstwerken auseinandersetzen.“
Als sich 2006 auf Initiative des Archäologie-Professors Tonio Hölscher der Freundeskreis „Forum Antike“ des Instituts gründete, das 2016 sein 150-jähriges Bestehen feierte, wurde Ulrike Marcks dessen Vorsitzende. Seither widmet sie sich ebenfalls mit Leidenschaft der Förderung der Archäologie, die sie schon von klein auf faszinierte. „Archäologie ist die Erforschung der Befindlichkeit der Menschen unter immer neuen Seins-Bedingungen – durch Gebrauchsgegenstände und Gebäudereste erfahren wir die zivilisatorischen Bedingungen“, erklärt sie ihre Begeisterung. „Die Artefakte sind das Ergebnis des zutiefst menschlichen Bedürfnisses, dem Denken, Fühlen und Sehnen eine Form und Materie zu geben. Das hört nie auf, spannend zu sein!“