Konzept
"Räume, Bilder, Lebensformen in antiken Kulturen"
Projektbeschreibung
Zusammenfassung. Das Promotionskolleg untersucht den Zusammenhang von Räumen und Bildern mit Formen des sozialen und kulturellen Lebens in antiken Gesellschaften. Über die Beschreibung und Klassifizierung einzelner Raumformen (Architektur, Urbanistik) und Bildtypen (neben Werken der bildenden Kunst auch performative Bilder sowie Inschriften) hinaus geht es dabei darum, in welcher Weise sich die spezifischen Lebensformen einer Gesellschaft zugehörige Räume (z.B. Bauten zur Herrschaftsrepräsentation oder Herstellung von Öffentlichkeit) und Bilder (z.B. religiöse Bilderwerke) schufen, aber vor allem auch, wie solche Räume und Bilder umgekehrt soziale und kulturelle Handlungen, Strukturen und Situationen aktiv und dynamisch prägen konnten. Diese "Macht der Räume und Bilder" ist ein wesentliches, in seiner Bedeutung erst seit kurzem in vollem Umfang erkanntes Phänomen antiker Gesellschaften. Seine Erforschung erfordert einen kombiniert historisch-archäologischen Ansatz, dem das Kolleg durch die interdisziplinäre Vernetzung der Fächer Ägyptologie, Alte Geschichte, Assyriologie, Byzantinische Archäologie und Kunstgeschichte, Klassische Archäologie, Ur- und Frühgeschichte sowie Vorderasiatische Archäologie Rechnung trägt. Entsprechend ist die Heranführung der Doktoranden an das im ZAW – durch einen in Deutschland einmaligen Fächerzusammenschluss – realisierte Konzept epochenübergreifender kulturwissenschaftlicher Studien ("transcultural studies") und die Vermittlung der dazu benötigten fachlichen, methodischen und theoretischen Grundlagen ein wesentliches Ausbildungsziel des Kollegs. Zentrale Instrumente hierfür werden interdisziplinäre Veranstaltungen, die gemeinsame Erarbeitung theoretischer Grundlagen und die fächerübergreifende Betreuung der Kollegiaten sein. Das Heidelberger Zentrum für Altertumswissenschaften bietet für die Themenstellung des Kollegs ein hinsichtlich der fachlichen Dichte und der internen Kooperation der altertumswissenschaftlicher Fächer einmaliges Forschungsfeld.
Stand der Forschung. Die Erforschung von Phänomenen des kulturellen Raumes, der Bildlichkeit und des sozialen Handelns hat in neuerer Zeit Wege eingeschlagen, die in auffallender Weise konvergieren. Der Begriff des Raumes ist seit dem frühen 20. Jahrhundert zu einer zentralen Kategorie der Sozialwissenschaften zum Verständnis von sozialem Handeln entwickelt worden (Simmel 1903; Lefebvre 1986; Löw 2001). Das Phänomen des Bildes ist neu in seiner Kraft der visuellen Präsenz bestimmt und dadurch in Richtung auf Wirkung und Handeln im Raum geöffnet worden (Böhm 1994; Belting 2001). Soziales Handeln ist in seinen visuellen und performativen Dimensionen verstanden worden, die zugleich räumliche und visuell-bildliche Aspekte einschließen (Fischer-Lichte 2001). Die Altertumswissenschaften haben solche Anstöße in unterschiedlicher Intensität aufgenommen und die Diskussion durch Beiträge auf dem Feld fremder und vergangener Kulturen bereichert. Konzepte des Raumes sind im Bereich der Religion, in der Gliederung der Weltordnung, in der geographischen Platzierung von Heiligtümern und in der Binnengliederung sakraler Räume als entscheidende Kategorien von Macht und Handeln erkannt worden; die Großstruktur von Landschaft als sacred space und Kulttopographie von Städten, Regionen und Staaten sind dabei zu wichtigen Themen geworden (George 1992, 1996; Alcock-Osborne 1994; De Polignac 1996; Kemp 2006). Im Bereich der Politik sind Raumkonzepte in Hinblick auf "performance culture" thematisiert und in Bezug zur Raumwahrnehmung selbst gesetzt worden (Goldhill 1999; Talbert 2004). Bildwerke sind in diesen Kontexten entweder als sinnstiftende und ideologische Markierung von Macht (Winter 1997; Zanker 1987; Marconi 2007) oder auch als visuelle Anleitungen zum Handeln und Medien der Kommunikation verstanden worden (Giuliani 1986; Zanker 1995). Erstmals wurden in diesem Zusammenhang auch die visuelle Dimension und Wirkung inschriftlicher Texte untersucht (Beard 1985) und beispielsweise im ägyptischen Bereich die Verschränkung von Relief- und Textprogramm im Rahmen einer "Grammaire du temple" als zutiefst sinnvolle Gesamtkonzeption erkannt (Egberts 1995; Lurson 2007). Nicht zuletzt sind soziale Handlungen, insbesondere Rituale, nicht nur in ihren regelhaften, sondern auch in ihren performativ-visuellen Aspekten untersucht worden (Chaniotis 2005, Stavrianopoulou 2006).
Begriffe. Räume sind elementare strukturelle Gliederungen der kulturellen Lebenswelt. Das heisst, Raum wird hier nicht als neutrale Dimension verstanden, in der die Welt sich erstreckt, auch nicht als leerer und bedeutungsfreier Rahmen für verschiedenste Inhalte, sondern als vom Menschen gestalteter und durchlebter kultureller und sozialer Raum. Die öffentlichen Räume der Heiligtümer und Kirchen, der zentralen Plätze der Gebäude für Verwaltung, "Kultur" und Unterhaltung sowie die privaten Siedlungsräume gewinnen so neue soziale Bedeutung. Daneben treten solche Räume in den Gesichtskreis, die bisher von der Forschung noch wenig wahrgenommen wurden: z. B. Straßen als Räume der Kommunikation, Hafenfronten und gestaltete Küsten als Räume des maritimen Verkehrs.
Die Gliederung und Gestaltung solcher kulturellen Räume entsteht für und durch sinnhaftes Handeln. Denn kulturelle Handlungen haben spezifische Räume, das heißt: Orte und Erstreckungen. Dabei ergibt sich ein Wechselverhältnis zwischen Räumen und Handlungen: Einerseits nehmen kulturelle Handlungen einen bestimmten Raum in Anspruch, den sie allein durch das Handeln als zu der Handlung gehörig definieren. In diesem Sinn prägen die Handlungen die Räume. Andererseits stellen die einmal festgesetzten Räume Grundbedingungen für die kulturellen Handlungen dar. In diesem Sinn prägen auch die Räume die Handlungen. Der solchermaßen verstandene "Kulturelle Raum" zeichnet sich vor allem durch drei Aspekte aus:
a. Relationalität: Die Räume des kulturellen Handelns erhalten ihre Bedeutung in Bezug auf andere Räume. Draußen und Drinnen, Oben und Unten, Distanz und Nähe, Zentrum und Peripherie, Ausgangspunkt und Ziel sind räumliche Relationen, durch die verschiedene Lebensbereiche zueinander ins Verhältnis gesetzt werden: Stadt, Ackerland und Wildnis, sakraler und profaner, öffentlicher und privater, zentraler und peripherer Raum, Repräsentation und Lebensvollzug und so fort..
b. Handlungsdynamik: Die kulturelle Bedeutung der Räume wird nicht durch abstrakte Grenzziehungen, sondern durch ihre Ausfüllung mit tatsächlichen oder potentiellen Handlungen definiert. Dadurch entsteht eine Dynamisierung des Raumes, die zu der reziproken Konditionierung von Raum und Handlung führt.
c. Visualität: Für die Bedeutung kultureller Räume und Handlungen ist ihre visuelle Erkennbarkeit und Wirkung entscheidend. Die Form von Räumen und die Gestalt ihrer architektonischen, bildlichen und inschriftlichen Ausstattungen und Begrenzungen stellen Signale und Botschaften dar, die nach den codes der betreffenden Kulturen interpretiert werden müssen. Ebenso aber spielen sich auch die kulturellen Handlungen selbst, von gestalteten Ritualen bis zum alltäglichen Lebensvollzug, in signifikanten visuellen Formen ab, die eine annähernde Rekonstruktion ermöglichen.
Bildwerke und Inschriften waren im Altertum, wie in allen vormodernen Kulturen, keine Welt für sich, sondern Teile der Lebenswelt. Die Lebenswelt, in der das Leben mit Bildern sich abspielte, entfaltete sich in
a) sozialen Räumen. Die Bildwerke waren für Lebensräume bestimmt. Die wichtigsten sozialen Räume konnten zu Orten für spezifische Bildwerke werden: die Heiligtümer für Votivbilder, die Paläste für die Repräsentation von Herrschaft, die öffentlichen Plätze für politische Denkmäler und Inschriften, die Wohnhäuser für Leitbilder der Lebensführung, die Gräber für Bilder und Inschriften aus der Welt der Toten. Die Bildwerke und Inschriften erhielten an den Orten ihre aktuelle Bedeutung und gaben umgekehrt den Orten einen spezifischen Sinn. Orte und Bildwerke definierten sich gegenseitig.
b) sozialen Zeiten. Die Bildwerke und Inschriften waren auf soziale Situationen ausgerichtet. Ein Thema wie die Kriege der Griechen gegen die Perser wird auf der Bühne des Theaters, auf einer Vase für das private Symposion oder auf dem Fries eines Staatstempels in völlig verschiedener Form dargestellt. Götterfest, Trinkgelage und Heiligtum waren Situationen von sehr unterschiedlichen Diskursen über die zentralen Themen der Gemeinschaft. Das gilt auch für den Gebrauch der Bildwerke und Inschriften.
c) sozialem Handeln. Der Umgang der Menschen mit den Bildwerken und Inschriften vollzog sich in teils spontanen, teils regelhaften Handlungen. Die Bildwerke wurden Gegenstand von sinnstiftenden Ritualen der Aufstellung, Pflege und kultischen Verehrung, von okkasionellen Diskursen politischer und gesellschaftlicher Wertsetzungen, schließlich auch von affektiven Handlungen der Liebe und des Hasses.
Als Faktoren der Lebenswelt entwickelten die Bilder ihrerseits eine aktive Dynamik, die auf die lebenden Menschen zurückwirkte. Bildwerke besaßen nach Auffassung der Antike eine spezifische Lebendigkeit: So wurden etwa ägyptische Bildwerke durch ein "Mundöffnungsritual" zu konzeptuell "lebendigen" Wesen gemacht. In verschiedenen Kulturen wurden Götterbilder im Kult gepflegt, als wären sie die Gottheit selbst; sie bekundeten mit Gesten ihren Willen und gewährten mit Aktionen Schutz. Menschenbilder wurden in Rechtsfällen und Ritualen wie lebende Personen behandelt. Diese Eigenkraft der Bilder steht auch hinter dem Phänomen, dass Bildwerke wie Inschriften ein hohes Potential an exemplarischer Wirkung entfalten konnten, als Verkörperungen und Botschaften von gesellschaftlichen Tugenden, Leitbildern und Idealvorstellungen. Die antike Bilderwelt ist insofern als ein gesellschaftlicher Kosmos zu untersuchen, in dem die Gesellschaft der Lebenden nach bestimmten Regeln und Normen agierte und sich orientierte.
Die Formen des kulturellen Lebens stehen in enger Beziehung zu den Kategorien des Raumes und des Bildes. Zum einen wird kulturelles Handeln in konkreten Formen vollzogen, die nicht nur einen "leeren" dreidimensionalen Raum voraussetzen, sondern einen erfüllten sozialen Raum konstituieren, gliedern und erfahrbar machen. Zum anderen entfalten kulturelle Handlungen sich in visuellen Formen, die eine bildhafte Wirkung entwickeln. Öffentliche und private Rituale, religiöse Feste und Volksversammlungen, Lebensaktivitäten wie Handel, Kriegsführung, Sport, handwerkliche oder häusliche Arbeiten sind zugleich Belebungen von Räumen und lebende Bilder. Darum ist nicht nur die Untersuchung von Räumen und Bildern unmittelbar auf die vollzogenen bzw. dargestellten Lebensformen verwiesen, sondern sind umgekehrt Funktion und Semantik sozialer Lebensformen immer auch in ihren räumlichen und bildhaften Aspekten zu betrachten. In diesem Sinn stehen Räume, Bilder und Lebensformen in einem spannungsreichen Verhältnis zueinander.
Literatur
S. E. Alcock – R. Osborne, Placing the Gods: Sanctuaries and Sacred Space in Ancient Greece, 1994.
M. Beard, Writing and ritual, PBSR 53, 1985, 114-162.
H. Belting, Bild-Anthropologie, 2001.
G. Böhm (Hrsg.), Was ist ein Bild?, 1994.
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A.Egberts, In Quest of Meaning. A Study of the Ancient Egyptian Rites of Consecrating the meret-Chests and Driving the Calves, 1995.
E. Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, 2001.
A. R. George, Babylonian Topographical Texts, 1992.
L. Giuliani, Bildnis und Botschaft, 1986.
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H. Lefebvre, La production de l'espace, 31986.
M. Löw, Raumsoziologie, 2001.
B. Lurson, Osiris, Ramsès, Thot et le Nile. Les chapelles secondaires des temples de Derr et Quadi es-Seboua, 2007.
C. Marconi, Temple Decoration and Cultural Identity in the Archaic Greek World, 2007.
F. De Polignac, La naissance de la cité grecque, 21996.
G. Simmel, Soziologie des Raumes, 1903.
E. Stavrianopoulou (Hrsg.), Ritual and Communication in the Graeco-Roman World, 2006.
T. Talbert et al. (Hrsg.), Space in the Roman World. Its Perception and Presentation, 2004.
I. Winter, Art in Empire. The Royal Image and the Visual Dimension of Assyrian Ideology. In: S. Parpola and M. Whiting (Hrsg.), Assyria 1995, 1997, 359-381.
P. Zanker, Augustus und die Macht der Bilder, 1987.
P. Zanker, Die Maske des Sokrates, 1995.