Archäologische Oberflächenprospektion im Becken von Phlious

Panorama
Projektleitung: Prof. Dr. Joseph Maran
Prof. Dr. Günther A. Wagner
Dr. Andreas Lang
Projektmitarbeiter: Doris Ittameier M. A.
Dr. Markus Fuchs
Carsten Casselmann M. A.
Fachgebiete: Ur- und Frühgeschichte
Kooperation: Vierte Ephorie des Griechischen Antikendienstes, Bundesministerium für Bildung und Forschung
Stichworte: Griechenland, Peloponnes, Ebene von Phlious, Survey, Prospektion, Geoarchäologie, Umweltrekonstruktion


Wie sich die Strukturen menschlicher Besiedlung in den Landschaften seit dem Ende der letzten Kaltzeit um ca. 9500 v. Chr. gewandelt haben und welchen Anteil der Mensch an den Veränderungen der Umwelt hatte, sind entscheidende Fragen der Archäologie an der Schwelle zu einem neuen Jahrtausend. Denn so modern uns das Stichwort der "Umweltzerstörung" anmuten mag, so sehr zeigen uns neuere Forschungsergebnisse, daß der Mensch, seitdem er den entscheidenden Schritt vom Jäger zum Bauern getan hat, damit anfing, seine natürliche Umgebung zu verändern. Andererseits hatte aber vor allem auch das Klima großen Anteil an dem Wandel der nacheiszeitlichen Landschaften, weshalb es für jede Region und jeden Zeitabschnitt darauf ankommt, nach der spezifischen Kombination der für die Umweltveränderung verantwortlichen Faktoren zu suchen.

PeloponnesDie Beantwortung der Frage nach der Wechselbeziehung zwischen Mensch und Umwelt setzt allerdings die Bereitschaft zur disziplinübergreifenden Zusammenarbeit zwischen Kultur- und Naturwissenschaften voraus. Seit 1998 erforscht ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Förderschwerpunktes "Neue naturwissenschaftliche Methoden und Technologien in den Geisteswissenschaften" gefördertes interdisziplinäres Projekt der Forschungsstelle Archäometrie der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und des Institutes für Ur- und Frühgeschichte der Universität Heidelberg das in der Landschaft Korinthia, im Nordosten der Peloponnes gelegene Becken von Phlious. Namengebend war die antike Stadt Phlious, die sich am Ostrand des Beckens befand und ihren Höhepunkt im 5. und 4. Jh. v. Chr. hatte. In dem Becken vereinigen sich die aus unterschiedlichen Richtungen kommenden Quellbäche des Asopos, der nach Norden weiterfließt und unweit Sikyon in den Korinthischen Golf mündet. Das Zentrum des Beckens befindet sich in einer Höhe von ca. 300 m ü. NN, wogegen die umgebenden Gebirge im Norden auf über 1200 m ü. NN ansteigen.

Das Becken von Phlious, das die größte Ebene des Korinthischen Binnenlandes umfaßt, liegt heute fernab der großen Straßen und nur selten verirrt sich ein Tourist hierher. In der Antike jedoch befand sich dieser Bereich noch am Schnittpunkt wichtiger Landverbindungen auf der Peloponnes und war eine Art Drehscheibe des Austausches zwischen den Landschaften Korinthia und Argolis einerseits und dem arkadischen Hochland der Zentralpeloponnes andererseits. Unser Arbeitsgebiet verfügte aber nicht nur über eine verkehrsgünstige Lage, sondern es gehörte zu den fruchtbarsten und wasserreichsten Landstrichen der Peloponnes. Berühmt war in der Antike der Rotwein, der auch derzeit wieder die Landwirtschaft beherrscht. Heute werden die Ebene sowie die terrassierten unteren Hangbereiche des Beckens intensiv landwirtschaftlich genutzt, wogegen die steileren Berghänge entwaldet oder allenfalls von Macchia bedeckt sind. Dieses uns aus mediterranen Regionen so vertraute Landschaftsbild stellt indes in erster Linie ein Ergebnis der menschlichen Nutzung des Raumes dar, die aus einer Naturlandschaft eine Kulturlandschaft hat werden lassen. In welchen Etappen sich diese Umgestaltung vollzog ist unklar, womit auch schon eines der Anliegen des Projektes angesprochen wäre.

Die Fruchtbarkeit und die günstige verkehrsgeographische Lage ließen bedeutende antike Siedlungsreste im Arbeitsgebiet erwarten. Um so überraschender war es, daß vor Beginn der Untersuchungen die Gegend archäologisch nahezu "terra incognita" war. Die wenigen bekannt gewordenen Fundpunkte bestätigten jedoch die Vermutung einer besonderen Bedeutung der Region. Im Nordwesten des Beckens wurde in den siebziger Jahren die mykenische Kammergräbernekropole von Aidonia (15.-13. Jh. v. Chr.) mit außergewöhnlich reichen Goldbeigaben entdeckt. Die in der näheren Umgebung zu vermutende zugehörige Siedlung war allerdings noch nicht bekannt. Aufsehen erregte ferner die Existenz einer frühbronzezeitlichen Großsiedlung der Zeit zwischen 2500 und 2200 v. Chr., die 1995 bei Ausgrabungen des griechischen Antikendienstes nahe der Ortschaft Petri im zentralen Teil des Beckens untersucht wurde und die zu den Hauptorten dieses Zeitabschnitts auf der Nordostpeloponnes gezählt werden muß.

 

Phliasia


Es versteht sich, daß bei der Erforschung einer Region andere Methoden zur Anwendung kommen müssen, als bei der Untersuchung eines einzelnen Fundortes. Von archäologischer Seite bildet eine systematische Oberflächenprospektion das wichtigste methodische Hilfsmittel. Dabei werden Feld für Feld die ebenen und die hügeligen Bereiche des Beckens mit dem Ziel begangen, die Spuren menschlicher Besiedlung und Landnutzung von den Anfängen bis in die Zeit der Türkenherrschaft zu erfassen. Die Oberflächenfunde bestehen in der Regel aus wenig Spektakulärem: Scherben von Haushaltskeramik und Dachziegeln, seltener Steingeräte sowie sehr selten Metallartefakte, sprich Siedlungsabfall. Dennoch können aus der chronologischen Einordnung dieser unscheinbaren Funde unschätzbar wichtige Anhaltspunkte zum Siedlungsmuster und eventuell auch zur Siedlungsdichte durch die Zeiten hindurch gewonnen werden

Parallel hierzu verfolgen die naturwissenschaftlichen Projektpartner das Ziel, anhand von Bohrungen und Aufschlüssen die Sedimentationsprozesse während der letzten 10000 Jahre nachzuvollziehen und die geomorphologische Entwicklung der Region, d.h. die zeitliche und räumliche Veränderung der Landoberfläche zu rekonstruieren. Die Datierung der Sedimente erfolgt mittels der neuen Methode der Optisch Stimulierten Lumineszenz (OSL), mit der der Zeitpunkt der Ablagerung des Sedimentes bestimmt werden kann. Ein Unsicherheitsfaktor sämtlicher bisheriger Versuche, die geomorphologische Entwicklung von Landschaften nachzuzeichnen, lag nämlich in der Datierung der Sedimente. Diese erfolgte durch in den Sedimenten eingeschlossene Objekte, sei es Holzkohle, die durch 14C-Altersbestimmung, oder seien es Artefakte, die archäologisch datiert wurden. In beiden Fällen ist aber ungewiß, ob die so gewonnene Datierung wirklich dem Zeitpunkt der Ablagerung des Sedimentes entsprach, da die zu datierenden Objekte ihrerseits verlagert - also älter - sein können.

Die bisher durchgeführten drei Kampagnen archäologischer Untersuchungen konzentrierten sich auf den zentralen und den westlichen Teil des Beckens und ergaben eine ausgesprochen große Dichte antiker Hinterlassenschaften. Erwähnt seien zwei besonders wichtige Neuentdeckungen. Am Fuße eines Berges des südlichen Randes des Beckens ließ ein Bauer mit einem Bulldozer Erde abschieben, um Terrassen für eine Olivenplantage anzulegen. Bei der Begehung des Areals stellte sich heraus, daß an einer Stelle von nur ca. 5 x 5 m Durchmesser die Oberfläche mit Terrakotten und Miniaturgefäßen der archaischen Zeit (6. Jh. v. Chr.) regelrecht bedeckt war. Es handelt sich um Votivgaben, die in einem Heiligtum einer weiblichen Gottheit, vermutlich Demeter oder Hera, dargebracht worden waren. Der Versuch einer Identifikation mit Heiligtümern, die von antiken Geschichtsschreibern oder in Inschriften für die Gegend erwähnt werden, führte bisher noch zu keinem klaren Ergebnis. Durch die Oberflächenprospektion gelang im Jahre 1999 aber vermutlich auch die Lokalisierung der zur Kammergräbernekropole von Aidonia gehörenden mykenischen Siedlung. Diese liegt gegenüber der Nekropole in eindrucksvoller Lage auf einem an zwei Seiten schroff abfallenden und deshalb natürlich befestigten Hügel. Vom Typus her erinnert diese mykenische Akropolis von Aidonia an Orte, die wir aus anderen Landschaften als Sitz zeitgenössischer Eliten kennen.

 

 

 

Keramik


Ein Problem, das uns bei der Fundauswertung schon bald beschäftigte, waren die unübersehbaren chronologischen Unterschiede zwischen den Funden aus der Ebene und denen von den umgebenden Anhöhen. In der Ebene konnte bisher keine Fundstelle lokalisiert werden, die älter als das 6. Jh. v. Chr. wäre, wogegen auf den höher gelegenen Bereichen Siedlungsspuren nahezu aller Epochen seit dem 4. Jt. v. Chr. vertreten waren. Sind vielleicht die urgeschichtlichen Fundstellen in der Ebene durch die Ablagerung späterer Sedimente verschüttet worden? Im Lichte der geoarchäologischen Untersuchungen, die auf erhebliche Veränderungen des Landschaftsreliefs seit der letzten Kaltzeit hindeuten, gewinnt diese Vermutung an Wahrscheinlichkeit.

 

 

 

Erosion


In einem aus 19 Bohrungen und 4 Baggerschürfen bestehenden Profil von 2 km Länge wurde ein Querschnitt des Sedimentaufbaus im Becken von Phlious gewonnen. Am Hangfuß der Beckenränder wurde zuoberst ein mächtiges Kolluvium festgestellt, d.h. ein Sediment, das aufgrund der durch menschliche Wirtschaftsweise initiierten Bodenerosion entstand. Darunter folgten ab ca. 8,50 m Tiefe Ablagerungen des Altpleistozäns (0.8 - 2 Mio. Jahren), in dem es noch keinen Homo sapiens gab. Ganz anders die Sedimentabfolge in der Mitte der Ebene! Dort wurde selbst in der maximalen Bohrtiefe von 15 m noch kein Sediment des Altpleistozäns erreicht. Zuoberst steht ein 4-5 m mächtiges Alluvium, d.h. eine Flußablagerung, an. Darunter folgen Seeablagerungen, die mittels 14C-Datierungen auf älter als 30.000 Jahre vor heute datiert werden konnten. Die für die Archäologie interessante Frage galt nun dem Alter des darüber befindlichen Sediments, des Alluviums. Durch das Fehlen organischer Materialien war eine 14C-Datierung unmöglich. Einzig mittels OSL konnten die Sedimente chronologisch eingeordnet werden. Erste Ergebnisse zeigen, daß Sedimente in einer Tiefe von 0,5 m vor ca. 400 Jahre und in einer Tiefe von 1,5 m vor ca. 1000 Jahren abgelagert wurden. Die Vermutung liegt nun nahe, daß die von den Archäologen an der Oberfläche vermissten älteren Funde von jüngeren Sedimenten bedeckt sind. Diese Hypothese muß allerdings durch OSL-Datierungen von Sedimenten anderer Lokalitäten bestätigt werden, da die Sedimente des Beckens räumlich und zeitlich nicht homogen zur Ablagerung gekommen sein müssen.
Da mit der OSL-Datierung der Zeitpunkt der letzten Belichtung der Minerale bestimmt werden soll, muß eine Gewißheit darüber bestehen, daß die Minerale vor ihrer Ablagerung ausreichend an Tageslicht exponiert waren und somit die 'OSL-Uhr' auf Null gestellt wurde. Dies ist mittels neuer experimenteller Techniken direkt am Sediment möglich. Die OSL-Datierung ermöglicht also die zeitliche Dimension der Landschaftsveränderungen zu erfassen. Die bisher vorliegenden Daten zeigen bereits, daß es nach dem Ende der letzen Kaltzeit zu drastischen landschaftlichen Veränderungen in der heutigen Ebene kam. Der kaltzeitliche See verlandete durch den starken Abtrag von Sedimenten von den Berghängen. Inwieweit der Mensch für die landschaftsverändernden Prozesse verantwortlich war, ist nun eine der brennenden Fragen im Rahmen dieses Projektes.

Ein in Inhalt und Illustration ähnlicher Artikel wurde in Spektrum der Wissenschaft November 2000, 85-87 veröffentlicht.

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Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 20.02.2013
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