Vergangenheit und Gegenwart (ab)gespeichert: 3D-Dokumentation und Visualisierung von Kulturerbe
Beteiligte Wissenschaftler*innen
Dr. Roland Prien (Projektleiter)
Juan Aguilar, M.A. (Projektmitarbeiter)
Yasmin Nachtigall (studentische Mitarbeiterin)
Mit finanzieller Förderung der Flagship-Initiative „Transforming Cultural Heritage“ konnte im Jahr 2020 eine technische Infrastruktur angeschafft werden, die erstmalig neue, innovative Projekte im Bereich „Digital Heritage“ an der Universität Heidelberg ermöglicht. Ausgestattet mit stationären und mobilen Laserscanner, Drohne, Kamera, einer Totalstation und der entsprechenden Software konnten so im vergangenen Jahr durch Dr. Roland Prien zwei Pilotprojekte initiiert werden.
Im Rahmen des Projekts „Die Burg Wersau – Ein Citizen Science Projekt“ wurde das Gelände des zukünftigen Archäologischen Parks weitestgehend digital erfasst und die Grundlagen für eine Besucher-App entwickelt, die u.a. Einblicke in die archäologischen Strukturen im Boden in Form von 3D-Modellen gibt. Die App wird es Besucher*innen in Zukunft ermöglichen, im Boden verborgene archäologische Strukturen zu besichtigen und interaktiv die Arbeiten der Archäologen nachzuvollziehen.
Ausgehend von diesen Vorarbeiten wurden die Gerätschaften in ersten Pilotstudien zu Modellierungen am Mainzer Dom (in Zusammenarbeit mit dem Dommuseum) eingesetzt. Zugleich startete ein ambitioniertes Vorhaben in der Welterbestätte Klosterinsel Reichenau (in Zusammenarbeit mit dem Institut für Europäische Kunstgeschichte (Prof. Matthias Untermann), der Visualization and Numerical Geometry Group des IWR (Dr. Susanne Krömker), Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, Bau- und Kunstdenkmalpflege (Dr. Claudia Mohn) und der Gemeinde Reichenau.
Die ehemalige Klosterkirche und das heutiges Münster St. Maria und Markus in Reichenau-Mittelzell ist die größte der drei Kirchen des ehemaligen Klosters Reichenau. Sie erhebt sich an der Stelle der ersten ursprünglichen Klostergründung Pirmins im Jahr 724. Der heute erhaltene Bau entstammt im Wesentlichen dem 11. Jh. unter Einbeziehung älterer karolingischer Bauteile und wurde erweitert in der Gotik um den heutigen Hochchor erweitert. Die Klosterkirche gehört wie die übrigen beiden Reichenauer Kirchen seit dem Jahr 2000 zum Unesco-Welterbe und stellt sowohl ein herausragendes Kulturdenkmal als auch einen touristischen Anziehungspunkt ersten Ranges dar. Darüber hinaus befinden sich unter dem Boden der Kirche bedeutende konservierte Reste der spätmerowingischen und karolingischen Vorgängerbauten, die beiden Ausgrabungen der 1930er Jahre aufgedeckt wurden und die in ihrer jetzigen Form nicht für Besucher zugänglich sind.
Im Rahmen des Projektes wird ein vollständiges digitales Abbild in hochauflösender Qualität angestrebt. Das Modell kann entweder mittels stationärer oder mobiler Endgeräte am Bildschirm oder mit einer Virtual-Reality-Brille durchwandert werden. Diese „digitale Kopie“ bietet jedoch weitaus mehr Möglichkeiten der Erschließung des Kulturerbes als nur die Sichtbarmachung „verborgener“ Bestandteile: so kann der vorhandene Baubestand mittels Rekonstruktionen einen detailgetreuer Eindruck vom Zustand des Bauwerks in verschiedenen Epochen geben; Ausstattungselemente und –Gegenstände, die heue u.a. in der Schatzkammer musealisiert sind, können an ihre originalen Standorte zurückversetzt werden; das Modell ist beliebig sowohl räumlich als auch inhaltlich erweiterbar. Die Präsentation von allgemeinen oder ortspezifischen Informationen kann auf verschiedenste Arten in das Modell integriert und vom Besucher abgerufen werden. Somit stellt das zu erstellende Modell nicht nur eine Erweiterung des Kulturerbes selbst dar, sondern ermöglicht sowohl lokalen als auch nicht lokalen Besuchern ein allzeit verfügbares Besuchererlebnis, das in ganz unterschiedlichen Kontexten – Tourismus, Wissenschaft, Heritage – genutzt werden kann.