Von Tina Schäfer
Die Sammlungen an der Universität Heidelberg erfüllen wichtige Aufgaben in Lehre und Forschung, zudem spielen sie eine bedeutende Rolle für die Dokumentation der Wissenschaftsgeschichte und die Repräsentation der Universität nach außen (Fotos: Universität). Trotzdem sind die Sammlungen im Hinblick auf ihre Sichtbarkeit und Ausstattung nicht immer gut aufgestellt. In einer neuen Arbeitsgruppe haben sich die Sammlungsbeauftragten der Ruperto Carola nun vernetzt, um übergreifende Probleme gemeinsam anzugehen.
Wie viele Sammlungen gibt es eigentlich? Diese vermeintlich einfache Frage ist nicht leicht zu beantworten. Insgesamt 27 bestehende Sammlungen für den Standort Heidelberg verzeichnet das „Informationssystem zu Sammlungen und Museen an deutschen Universitäten“ der Berliner Humboldt-Universität. Manche Sammlungen, etwa die des Universitätsrechenzentrums, der Physiologie oder die Kirchhoff-Ausstellung der Physik, sind in dem Verzeichnis aber gar nicht erst genannt.„Es gibt keinen fassbaren Überblick“, sagt Charlotte Lagemann, die als akademische Mitarbeiterin das Universitätsmuseum betreut. „Manche Sammlungen wissen gar nicht, dass sie eine Sammlung sind“, ergänzt die Beauftragte für die Anatomische Sammlung, Sara Doll. Schon ein einzelnes Objekt kann eine Sammlung bilden; wesentliches Kriterium ist vor allem seine Bedeutung für die Geschichte eines Fachs oder Instituts.
„Sammlungen reflektieren Forschungsgeschichte“, erläutert Doll. Darüber hinaus müssen die Objekte inventarisiert und katalogisiert sein – erst damit ist die Grundlage geschaffen, mit einer Sammlung auch zu arbeiten. Und in dieser Arbeit mit den universitären Sammlungen liegt ein Hauptgrund für ihre Entstehung, erklärt Dr. Hermann Pflug, Konservator des Antikenmuseums und der Abguss-Sammlung: „Mit der Ausbildung ihres Fachs im 19. Jahrhundert haben die Archäologen schnell gemerkt, dass man ohne Anschauungsobjekte als Lehrmaterial nicht auskommt.“ Bei Lehrveranstaltungen in der Abguss-Sammlung etwa üben Studierende, Statuen oder Reliefs stilistisch richtig einzuordnen und wissenschaftlich zu beschreiben.
In der anatomischen Pathologie veranschaulichen die Präparate manche heute seltenen Krankheitsbilder, etwa eine Tuberkuloselunge. Auch in vielen anderen Fächern werden die Sammlungsobjekte in der Lehre eingesetzt. Für die Forschung sind die Sammlungen ebenfalls relevant. So werden Objekte kontinuierlich wissenschaftlich bearbeitet und publiziert. Dank neuer Untersuchungsmethoden und Computern, die zunehmend größere Datenmengen verarbeiten können, haben auch etablierte Einrichtungen bleibenden Wert für die Forschung, weiß Charlotte Lagemann: „Damit steht eine Materialsammlung zur Verfügung, die man immer wieder neu befragen kann.“
Ob Anwendung in Forschung und Lehre oder Repräsentation der Wissenschaftsgeschichte – der Wert der Sammlungen, ideell wie materiell, ist enorm. „Die Sammlungen bieten authentische, nicht reproduzierbare, einzigartige Originalsubstanz“, findet Lagemann. Die Sichtbarkeit ihrer Einrichtungen ist den Sammlungsbeauftragten daher besonders wichtig. Hermann Pflug: „Die Sammlungen sind ein Schaufenster in die Öffentlichkeit.“ Mit Ausstellungen und einem Führungs- und Vortragsprogramm will Pflug Archäologie vermitteln, eventuelle Vorbehalte gegen die Universität als Elfenbeinturm abbauen – und bei potenziellen Studierenden Interesse für das Fach wecken. Bei der Ausstellungsvorbereitung lässt sich zudem die Öffentlichkeitswirkung des Museums mit didaktischen Aspekten in der Lehre zusammenbringen: „Wenn wir eine neue Ausstellung konzipieren, gehört dazu auch eine ein- oder zweisemestrige Lehrveranstaltung.“
Gerade Sonderausstellungen wären laut dem Archäologen ohne die Mithilfe von Studierenden nicht zu stemmen. Personalmangel und geringe finanzielle Mittel, welche die Beauftragten den Institutsbudgets abringen müssen, die dafür keinen Posten vorsehen, sind Probleme, mit denen kleinere wie größere Sammlungen kämpfen. Die täglichen Öffnungszeiten des Universitätsmuseums etwa können nur durch das Engagement ehrenamtlicher Mitarbeiter gewährleistet werden (siehe Artikel in dieser Ausgabe).
Die Sammlungsbetreuung ist zudem in der Regel nur ein kleiner Aspekt der eigentlichen Arbeit der Beauftragten, die für die Sammlungen oft auch über die regulären Arbeitszeiten hinaus im Einsatz sind. Wenn ein entsprechend engagierter Mitarbeiter ausscheidet, bleibt die Verantwortlichkeit für die Sammlung in manchem Institut zunächst ungeklärt.
In Hinblick auf eine angemessene Lagerung und Pflege der Objekte besteht ebenfalls Verbesserungsbedarf. Eine adäquate Präsentation der Wachsmodelle der Anatomischen Sammlung bei hohen Temperaturen im Sommer sei unter den gegebenen Rahmenbedingungen fast nicht möglich, beklagt Sara Doll. Während in der Antikensammlung eine Restauratorin zur Instandhaltung der Objekte beiträgt, sieht Hermann Pflug ein anderes Manko: „Die Magazine sind vollgestopft, wir haben Lagerprobleme.“ Kunsthistorikerin Lagemann fügt hinzu: „Wir müssen vermeiden, dass historisch wertvolle, repräsentative Dinge in den Sperrmüll geraten. Es gibt Objekte, für die es erst einmal keine Schublade gibt – der Ort fehlt, denn das wäre ein zentrales Depot des Uni-Museums.“
Welches Potenzial die Sammlungen bieten, sei noch nicht überall in der Universität angekommen, bedauern die Beauftragten. Generell befänden sich die universitären Sammlungen in einem Dilemma, so Charlotte Lagemann: „Einerseits braucht man die Grundlagenarbeit mit systematischer Erfassung, Katalogisierung und Inventarisierung, um ein Bewusstsein für den Wert dieser Objekte zu schaffen, andererseits bekommt man nur dann die erforderlichen finanziellen und personellen Mittel, wenn man deutlich machen kann, wie einzigartig die jeweilige Sammlung ist.“
Mit einer Vernetzung der Beauftragten innerhalb der Ruperto Carola soll diese Herausforderung nun gemeinsam angegangen werden. Anfang des Jahres hat Sara Doll gemeinsam mit Dr. Maarten DeKieviet vom Physikalischen Institut die „Arbeitsgruppe Sammlungsbeauftragte“ ins Leben gerufen, die sich monatlich trifft. Die Initiatoren hoffen, dass die Gruppe aus bisher zwölf beteiligten Institutionen noch weiter wächst, um eine möglichst große Interessenvertretung zu bilden. Doll: „Wichtig ist, dass man überhaupt weiß, was die anderen machen, dass man zusammenarbeitet und sich gegenseitig unterstützt.“
Für das Problem einer Sammlung kann es nämlich an anderer Stelle womöglich schon eine Lösung geben, die sich übertragen lässt. „Es sind ja durchaus funktionierende Strukturen da, die sich nutzen ließen, wenn man nur von ihnen wüsste“, betont Charlotte Lagemann. Externe Anfragen zur Universitäts- oder Wissenschaftsgeschichte, die an das Universitätsmuseum gerichtet werden, könne sie auch besser weiterleiten, wenn sie über die Bestände anderer Sammlungen informiert sei.
Ein vorrangiges Ziel der Arbeitsgruppe ist eine bessere Sichtbarkeit der Sammlungen nach außen. Dazu gehört die Überarbeitung der Internetpräsenzen; zudem soll ein Flyer erstellt werden, um die einzelnen Einrichtungen vorzustellen und zu bewerben. „Wichtig ist, dass die Universität die Sammlungen als Ganzes begreift, das auch zusammengehört“, meint Hermann Pflug. Er sieht im Universitätsmuseum eine wichtige Schlüsselstelle, an der deutlich auf die anderen Museen einzelner Fachbereiche hingewiesen werden könne.
Zur Bekanntheit der Sammlungen soll ferner das „Objekt des Monats“ beitragen: Eine Vitrine in der Universitätsbibliothek, die mit Ausstellungsobjekten aus wechselnden Sammlungen bestückt wird, soll die Vielfalt der Sammlungslandschaft verdeutlichen. Ein „Tag der offenen Tür“, der im Wechsel in Ausstellungsräumen im Neuenheimer Feld und in der Altstadt stattfindet, ist ebenfalls angedacht.
Dank einer Initiative des Wissenschaftsrates, der eine stärkere Einbindung der universitären Sammlungen in die Forschung unterstützt, werden von Stiftungen und Ministerien mittlerweile auch Fördermittel für interdisziplinäre Forschungsprojekte bereitgestellt. Die Heidelberger Anatomie, Medizin- und Kunstgeschichte wollen hier Gelder einwerben, um anatomische Objekte medizinhistorisch einzuordnen und kunsthistorisch zu erfassen. Für die Forschung interessant sind daneben verschiedene Datenbankprojekte, die die Sammlungsbeauftragten angehen wollen, um die hiesigen Bestände zentral recherchierbar und über das Internet weltweit einsehbar zu machen. Die Bilddatenbank HeidICON der Universitätsbibliothek bietet hierfür bereits eine gute Infrastruktur; außerdem ließe sich das Digitalisierungsvorhaben mit verschiedenen laufenden Forschungsarbeiten verbinden, in denen 3D-Scans entwickelt werden.
Für alle Aktivitäten der Arbeitsgruppe gilt: Je mehr universitäre Museen und Sammlungen mit ihren jeweiligen Beauftragten beteiligt sind und die Anliegen weitertragen, desto mehr steigt das Bewusstsein für die Bedeutung der Schätze, die sich dort – und womöglich noch in manchem Institutskeller oder Wandschrank – befinden und für die Zukunft bewahrt werden sollten. Mit der neuen Initiative ist die Ruperto Carola auf einem guten Weg sicherzustellen, dass es ihren historischen Sammlungen nicht ergeht wie manch anderer, die im Berliner „Informationssystem zu Sammlungen und Museen“ mit dem Vermerk versehen ist: „Aufgelöst. Verbleib unbekannt.“
www.uni-heidelberg.de/einrichtungen/museen
Kontakt:
Arbeitsgruppe Sammlungsbeauftragte
Sara Doll
Telefon: 0 62 21/56-380 78
E-Mail: doll@ana.uni-heidelberg.de