Generalplan Wissenschaft. Die DFG als Förderin der deutschen Großmachtbestrebungen
»Dabei müssen wir auch den Mut und die Phantasie haben, über die Gegenwart hinaus in den Ordnungsmaßstäben der anbrechenden Zeit vorauszudenken, um zu einer wirklichen Neuordnung zu gelangen. « Das Zitat stammt aus einem brisanten Dokument aus der frühen Zeit der Deutschen Forschungsgemeinschaft – also nicht etwa aus einem der Thesenpapiere der letzten Jahre über das elektronische Publizieren (Generalplan Digital). Es ist die Stellungnahme des Agrarwissenschaftlers Konrad Meyer, mit der er 1942 den Einsatz der Wissenschaft und der Fördergelder der DFG für den »Generalplan Ost« des NS-Regimes rechtfertigte. Unter dem Oberbegriff »Raumforschung« geförderte Projekte trugen Titel wie »Volksbiologische und volksgemeinschaftliche Voraussetzungen des ländlichen Aufbaus im neuen deutschen Osten« (Fördersumme 3575 Reichsmark), berechneten detailliert den Siedlerbedarf und kalkulierten mit Gebieten bis Westrussland, der Vertreibung der dortigen Bevölkerung, wobei die Studien von Ist- und Soll-Zahlen (30 Mio. Sklaven gegenüber 5 Mio. Siedlern) sprechen: Die Differenz sollte die SS bewältigen.
Die Geschichte der DFG beginnt nach dem Ersten Weltkrieg. 1920 wurde die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft (NDW) gegründet. Der Name verweist auf die Voraussetzungen dieser Zeit: Es war die erste Initiative nach dem Kriegsdesaster zur Verbesserung der deutschen Forschungslandschaft und des Universitätswesens. Aussicht auf staatliche Förderung war gering. Naturwissenschaftliche und technische Fächer profitierten noch von den bestehenden Strukturen großer Industrien. Das heutige Max-Planck-Institut, damals Kaiser-Wilhelm Gesellschaft, verdankte diesem Komplex sein bestehen. Universitäten mit starker geisteswissenschaftlicher Ausrichtung und Bibliotheken formierten als Interessengemeinschaft, die auf Finanzierung von staatlicher wie industrieller und privater Seite abzielte. Im NDW wurde sie institutionalisiert. Federführend hierbei und der erste Vorsitzende des Vereins war und blieb bis 1934 Friedrich Schmidt-Ott, der letzte königlich-preußische Kultusminister.
Die Fördermaßnahmen der 20er Jahre galten unter anderem der Bereitstellung ausländischer Fachliteratur in den Universitätsbibliotheken und der Finanzierung renommierter wissenschaftlicher Zeitschriften. Die Mittelvergabe war von Beginn an politisiert, argumentierten doch schon die Gründer, Wissenschaft sei ein Standortfaktor und ihre Förderung Voraussetzung für neue wirtschaftliche und politische Stärke. Der Rückschlag, den die deutsche Forschungslandschaft durch den Ersten Weltkrieg erlitten hatte, sollte behoben, entsprechend explizit national- patriotische Projekte favorisiert werden.
1934 wollte ein junger Germanist seine Doktorarbeit über den Mythos bei Wagner und Nietzsche drucken, und stellte einen Antrag auf Förderung bei der NDW. Diese förderte aber keine Doktorarbeiten, weder das Arbeiten noch das Drucken. Besagte Arbeit wurde aber doch gefördert, vor allem, weil – neben der Tatsache, dass Nietzsche im Trend lag – der Antragsteller Alfred Baeumler zu seinem Fürsprecher hatte, den Direktor des Instituts für politische Pädagogik an der Berliner Universität, ein einflussreicher Wissenschaftsorganisator und ständiger Gutachter für die NDW. Dessen Verdikt über einen anderen Antrag, eines Privatgelehrten, der sich den Philosophen Fichte zum Lebensthema auserkoren hatte, genügt als Charakterisierung: Es sei wissenschaftliche »Pornographie«, den Juden Mendelssohn als Vorläufer Fichtes und Nachfolger Meister Eckharts zu bezeichnen. Der gerügte Wissenschaftler sah im weiteren Verlauf der Korrespondenz ein, dass er zu falschen Ergebnissen gelangt sei und sich genauer den Rassengesetzen widmen müsse.
Die NDW hatte sich mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten deren Erkenntnisinteressen hörig gemacht und sich 1935 in Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) umbenannt. Jede Wissenschaftsdisziplin wusste ihren Beitrag in vorauseilendem Gehorsam für das Großmachtprogramm zu leisten: die Mediziner in der Eugenik, die Philologen in der Traditionsbildung, die Ingenieure in der Waffentechnik. Und der wichtigste Verein zur Förderung der Wissenschaft war geführt von Regimetreuen, die nicht nur die Arisierung der akademischen Landschaft Deutschlands zu forcieren wussten (siehe Seite 6), sondern auch finanzielle Förderung ideologisch steuerten. Der Physiker Johannes Stark, der 1933 vom Reichswissenschaftsminister Bernhard Rust zum Leiter des Vereins ernannt wurde, spielte dabei eine herausragende Rolle. Mit ihm wurde das Führerprinzip in die Organisation der Wissenschaftsförderung integriert. Der sogenannte »Wehrchemiker« Rudolf Mentzel führte es bis zum Kriegsende fort. Die Vergabepraxis während der NS-Herrschaft korrelierte mit der wirtschaftlichen und Kriegslage: Bis 1936 sanken die Fördersätze für Forschungsprojekte oder wissenschaftliche Publikationen in allen Fächern, besonders natürlich in den Geisteswissenschaften. Während des Krieges setzte sich der Trend für diese fort, wohingegen bspw. die Ingenieurs- und Agrarwissenschaften großzügig behandelt, weil als kriegsnotwendig erachtet wurden.
1949 wurde der Verein neu gegründet, wobei man den Namen wählte, der bis 1935 galt: Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft. Ab 1951 hieß man aber wieder DFG.
Seit 2000 widmet sich die DFG ihrer Geschichte mit einem eigenen, nun abgeschlossenen Forschungsprojekt (http://projekte. geschichte.uni-freiburg.de/DFG-Geschichte) und sucht nach systemischen und historischen Faktoren oder beschreibt Einzelkarrieren. Man ist sichtlich bemüht, verantwortungsbewusste Initiative nicht vermissen zu lassen – dies auch öffentlich wirksam durch zahlreiche themenbegleitende Ausstellungen. Leider hat sich die Gewissenhaftigkeit auf der Vereinshomepage noch nicht konsequent durchgesetzt, beschränkt sich doch die Darstellung der NS-Zeit in der ohnehin knappen Vereinschronik auf den Hinweis der politischen Gleichschaltung, eine Vereinfachung, der jede historische Abhandlung zum Thema im ersten Absatz widerspricht. Aber es handelt sich dabei ja um eine digitale Publikation und ist somit leicht zu ändern.
von Leonard Keidel
erschienen in un!mut no. 206: Themenheft zum Nationalsozialismus in Heidelberg vom 7. Juli 2010