Interview: Agustin Diaz Cristerna Generationentraum: Von Mexiko nach Heidelberg
Wie sind Sie nach Heidelberg gekommen?
Als ich vier oder fünf Jahre alt war, hatte mein Vater Dr. Agustín Díaz Esparza, der Arzt und Professor für öffentliche Gesundheit war, die Gelegenheit, Mexiko als Experte bei einer Reihe von Veranstaltungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Deutschland zu vertreten. Während seines Aufenthalts hatte er die Gelegenheit, einen Vortrag in der Alten Aula der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (RKUH) zu halten, einer Universität, die er seit seiner Jugend wegen ihrer Geschichte und ihrer akademischen Leistungen bewunderte, noch bevor er den The Student Prince las. Mein Vater kaufte am Ende seiner Vorlesung eine Postkarte mit dem Bild der Universität und schickte sie mir nach Mexiko. Seine Botschaft lautete: "Mein Sohn, ich hoffe, dass du eines Tages die Möglichkeit hast, an dieser großartigen Universität zu studieren".
Die Zeit verging und ich studierte Medizin an der Universidad Autónoma del Estado de México (UAEM) und begann meine Spezialisierung in Kinderheilkunde am Instituto Nacional de Pediatría de México (INP).
Als ich mich dem Ende meines Studiums näherte, schrieb ich Prof. Dr. Otwin Linderkamp und bat um die Möglichkeit, eine Subspezialisierung in Neonatologie an der Universität Heidelberg zu machen. Die Antwort ließ Jahre auf sich warten – mein Brief war versehentlich archiviert worden. In der Zwischenzeit machte ich eine Ausbildung zum pädiatrischen klinischen Immunologen, ebenfalls am INP.
Mein Vater verstarb 1988 und gerade als ich von der Beisetzung seiner Asche auf dem Friedhof nach Hause kam, fand ich zu meiner großen Überraschung mein Zulassungsschreiben für das Studium an der Kinderklinik des RKUH.
Der Traum meines Vaters, der zu meinem geworden war, würde dank eines großzügigen Stipendiums des DAAD Wirklichkeit werden. Leider hat mein Vater das nie erfahren, nur wegen ein paar Tagen. Ich hatte immer das Gefühl, dass mein Vater, wo auch immer er war, sich dafür eingesetzt hat, dass es möglich wurde.
So begann mein Weg an die RKUH – fast romantisch, könnte man sagen.
Wie haben Sie Ihre Frau kennengelernt?
Das großzügige Stipendium, das der DAAD für das Studium an der RKUH gewährte, beinhaltete einen Deutschkurs am Goethe Institut in Mannheim. Dort lernte ich meine Frau María kennen. Genauer gesagt haben wir uns in der Mensa der Universität Mannheim kennen gelernt. Meine Frau kommt ursprünglich aus Madrid, Spanien. Sie hatte an der Universität Granada eine Ausbildung zur Übersetzerin und Dolmetscherin vom Deutschen und Englischen ins Spanische gemacht und war am Goethe-Institut, um ihr Deutsch zu verbessern. Wir haben immer gesagt, dass es in den Sternen stehen muss, wenn sich ein Mexikaner und eine Spanierin in Deutschland treffen.
Deshalb bin ich oft zwischen Heidelberg und Mannheim hin- und hergefahren um sie zu besuchen, sozusagen "Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren", wie es in dem Lied heißt.
Waren Sie nach Ihrer Studienzeit und vor dem jetzigen Besuch noch einmal in Heidelberg?
Nach Beendigung meiner Tätigkeit in der Abteilung für Neonatologie der Kinderklinik und ihrer Frühgeborenen Intensiv Pflegestation (FIPS) ging ich nach Madrid, wo ich im Mai 1992 meine Frau heiratete.
Am folgenden Tag zogen wir nach Mexiko. Seitdem bin ich nicht mehr an meine geliebte deutsche Alma Mater zurückgekehrt. Ich habe es viele Male versucht, aber es hat 31 Jahre gedauert, bis ich zurückkehren konnte.
Wann und wie haben Sie von der Reise erfahren, die Ihr Sohn für Sie organisiert hat?
Meine Erfahrung an der RKUH und die Erfahrung meiner Frau in Mannheim und London haben unsere Familie für immer geprägt. Unsere Erfahrungen haben in meinen Kindern den Wunsch geweckt, im Ausland zu studieren und andere Kulturen, Sprachen und Bräuche kennenzulernen, um so als Menschen zu wachsen und ihren Geist für Wissen, aber auch für Toleranz und kulturellen Reichtum und Vielfalt zu öffnen. So studierte mein Sohn internationale Beziehungen an der University of Rochester in New York in den USA und meine Tochter digitale Animation an der Technological University of the Shannon (TUS) in Irland und an der University of Technology and Digital Arts (UTAD) in Spanien. Mein Sohn setzte sein Studium an der Universität Oxford (England) fort, wo er diplomatische Studien absolvierte, und anschließend an der Sciences Po in Paris (Frankreich), wo er einen Master in Menschenrechten machte. Aufgrund der Covid-19-Pandemie wurde die Abschlussfeier meines Sohnes in Oxford auf nur wenige Wochen nach seiner Abschlussfeier in Paris verschoben. Da die beiden wichtigen Ereignisse so nahe beieinander lagen, organisierten wir eine große Reise nach Europa, damit ich an beiden Abschlüssen teilnehmen konnte.
Mein Sohn hatte sich heimlich mit dem Alumni-Büro der RKUH in Verbindung gesetzt und einen Überraschungsbesuch in Heidelberg und Mannheim organisiert, damit meine Kinder die Orte besuchen konnten, an denen unsere Familie geboren wurde. Plötzlich, am Ende des Abendessens zur Feier des Oxfords Abschlusses gab mir mein Sohn einen Umschlag. Darin befand sich eine Kopie meines Registers an der RKUH. Ich verstand nicht, was los war! Warum gab er mir das und wie kam er an ein Dokument, das ich noch nie gesehen hatte? Dann informierte er mich über den Plan, zurück nach Heidelberg zu kehren. So hatte ich 31 Jahre nach meiner Abreise die Gelegenheit, nach Heidelberg zurückzukommen und meine Frau und ich konnten mit unseren Kindern die außergewöhnlichen Erinnerungen an unsere Zeit in Heidelberg und Mannheim teilen.
Wie hat Ihnen der Besuch in Heidelberg gefallen? Wie haben Sie die Zeit dort verbracht?
Unser Besuch in Heidelberg und insbesondere an meiner geliebten Universität war, gelinde gesagt, fantastisch. Wir hatten die Gelegenheit, ein Konzert der Chöre der Universität Heidelberg und der Universität Notre Dame (USA) in der Alten Aula zu besuchen und vor meinem geistigen Auge etwas von dem wiederzuerleben, was meinen Vater dazu inspirierte, mir vor all den Jahren diese Postkarte zu schicken. Außerdem war der Empfang, den wir von Kristiina Iso-Kokkila vom Alumni-Büro erhielten, außergewöhnlich und wir alle sind sehr dankbar für ihre Gastfreundschaft.
Noch einmal durch die geschichtsträchtigen Straßen Heidelbergs zu gehen, das Schloss zu besichtigen, den Ort zu sehen, an dem ich gelebt habe und dies mit meinen Kindern und meiner Frau zu tun, war sehr bewegend. Es hat mich tief in meiner Seele berührt.
In Heidelberg angekommen, konnte ich es kaum erwarten, die alte Frauenklinik (in der das FIPS untergebracht war) und die Alte Kinderklinik zu sehen und ich entdeckte, dass es zwei neue Einrichtungen gibt, die ich nicht kannte. Es war traurig zu sehen, dass die Alte Kinderklinik, von der ich so oft geträumt hatte, leer steht, aber ich denke, das gehört zum Wandel und zum Wachstum dazu (es sind immerhin schon 31 Jahre vergangen).
Ich war sehr froh zu sehen, dass die Menschen, die ich kennengelernt hatte und mit denen ich zusammen studiert hatte, ihren Weg an der Universität fortgesetzt hatten (zum Beispiel der jetzige Direktor der Kinderklinik). Ich habe mich immer gefragt, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich an der RKUH geblieben wäre und vielleicht mit Prof. Linderkamp und Dr. Zilow gearbeitet hätte?
Die Stadt Heidelberg, vor allem die Universität, begleitet mich täglich. Sie sind und werden immer ein wichtiger Teil von mir sein und haben dazu beigetragen, wer ich als Mensch und Arzt bin.
Vieles von dem, was ich dort gelernt habe, konnte ich nach meiner Rückkehr nach Mexiko an die Neonatologen weitergeben, die ich mit ausgebildet habe. Jetzt, da ich mich meinem Ruhestand nähere, hoffe ich, dass ich öfter zu meinem geliebten RKUH zurückkehren kann. Ich bin sicher, dass es für mich und alle ihre Absolventinnen und Absolventen immer offen bleiben wird, gemäß ihrem Motto "Semper Apertus".