Josef Čapek: Gedichte aus dem KZ
Projektzusammenfassung
Josef Čapek (23. 3. 1887 – April 1945), der ältere Bruder des für seine antiutopischen Dramen und Romane berühmten Karel Čapek (1890 – 1938), ist über die tschechischen Landesgrenzen hinaus vor allem als Avantgardekünstler wahrgenommen geworden. Während des Ersten Weltkriegs veröffentlichte er seine Arbeiten in den Foren des deutschen Expressionismus, Franz Pfemferts Aktion und Herwarth Waldens Sturm. 1918 begründete er mit Jan Zrzavý und anderen die Künstlergruppe Die Hartnäckigen (Tvrdošíjní ) und machte sich als Maler, Grafiker, Buchgestalter sowie, seit den 1930er Jahren, als politischer Karikaturist im Dienst der Demokratie einen Namen. 1937 gab er in seinem antimilitaristischen Zyklus Die Stiefel des Diktators das NS-Regime der Lächerlichkeit preis. Dass ihm dies nach Hitlers Okkupation seiner Heimat zum Verhängnis werden musste, sah er klar voraus. Schon im Oktober 1938 notierte er: „Sie drohen mir damit, dass ich womöglich ins KZ komme. – Dann will ich es mir wenigstens tüchtig verdient haben!“ Die Vergeltung der Nazis war prompt und fürchterlich: Am 1. 9. 1939 wurde Josef Čapek, der es abgelehnt hatte, ins Exil zu gehen, von der Gestapo verhaftet. Sein fünfeinhalbjähriger Leidensweg führte über das Gefängnis Prag-Pankrác, die KZs Dachau und Buchenwald, das Gestapo-Gefängnis am Berliner Alexanderplatz und das KZ Sachsenhausen bis nach Bergen-Belsen, wo er 1945, wenige Tage vor der Befreiung, vermutlich einer Typhusepidemie erlag. Dass er unter den Bedingungen des Konzentrationslagers überhaupt so lange überlebte, verdankte er einem demütigenden Privileg: Die SS machte sich das künstlerische Talent dieses Avantgardisten zunutze, indem sie ihn Kitschbilder nach ihrem eigenen trivialen Geschmack malen ließ – Familienstammbäume, Alpenlandschaften und Jagdszenen.
Weniger bekannt ist im deutschen Sprachraum, dass Josef Čapek auch ein produktiver Schriftsteller war. Allenfalls als Mitverfasser der frühen Dramen und Erzählungen seines Bruders Karel dürfte er hierzulande manchen Lesern ein Begriff sein. Dabei umfassen seine Schriften, die derzeit in Prag veröffentlicht werden, nicht weniger als sieben Bände: lyrische und philosophische Prosa, einen Roman, ein Drama, kunsthistorische Studien, publizistische Texte und Kinderbücher.
Ein Genre fehlte allerdings im facettenreichen Œuvre dieses Autors bis zu seiner Verhaftung komplett: die Lyrik. Paradoxerweise bedurfte es erst der Grenzsituation des Konzentrationslagers, damit Josef Čapek sich an diese, von ihm zeitlebens bewunderte, Gattung wagte. Zu dieser Paradoxie tritt eine zweite: Die Lyrik dieses mit allen Wassern der Moderne gewaschenen Künstlers zeichnet sich durch ein ausgesprochenes Traditions- und Formbewusstsein aus – ein dezidiertes Bekenntnis zu Reim und Metrum sowie eine intensive Auseinandersetzung mit den Werken der Weltliteratur. Mitten in der Hölle von Sachsenhausen tritt Josef Čapek in einen lebendigen Dialog mit Dante, Manrique, Novalis, Hölderlin, Baudelaire, Joyce, Rilke – von den Klassikern der tschechischen Literatur ganz zu schweigen. Damit nicht genug, ließ er seine Texte, deren Entdeckung ihn und seine Helfer das Leben gekostet hätte, von eingeweihten Mithäftlingen auf der Schreibmaschine abtippen, kopierte sie noch einmal mit eigener Hand und verbesserte dabei den Wortlaut – mit einer professionellen Gewissenhaftigkeit, die sonst nur Autoren walten lassen, die sich in Freiheit befinden. Welche Leistung all dies unter den Bedingungen eines nationalsozialistischen Konzentrationslagers bedeutet, ist kaum vorzustellen.
Die Herausgeber Prof. Dr. Urs Heftrich (Heidelberg) und Prof. Dr. Jiří Opelík (Prag) haben aus den 121 Gedichten des tschechischen Originals für die deutschsprachige Leserschaft 44 Texte ausgewählt – ein gutes Drittel. Dabei wurde darauf geachtet, einen repräsentativen Eindruck von der thematischen und stilistischen Eigenart des Autors zu vermitteln. Dort, wo ein Text in zwei Versionen vorliegt, wird die buchstäbliche Fassung „letzter Hand“ gewählt, die hier (ein editionsgeschichtlich seltener Fall) nur um wenige Monate jünger ist als die Erstfassung. Die Gedichte werden im Spiegelsatz präsentiert: links (soweit erhalten) das Faksimile von Josef Čapeks eigenhändiger tschechischer Abschrift aus dem KZ, rechts die deutsche Übertragung. Auch drei Briefe aus Sachsenhausen, in denen Josef Čapek seiner Frau (auf Deutsch, wie von der Lagerleitung vorgeschrieben, aber in chiffrierter Sprache) über die Arbeit an seiner Lyrik berichtet, sind dem Band beigefügt; außerdem Zeichnungen, die er heimlich von Mithäftlingen anfertigte. Die Gedichte werden in strukturadäquater Übertragung, d. h. unter möglichst weitgehender Beibehaltung der von Josef Čapek gewählten prosodischen Form wiedergegeben. Ein Zeilenkommentar, eine editorische Notiz und ein Nachwort von Jiří Opelík runden den Band ab, der im Januar 2016 im Arco Verlag (Wien & Wuppertal) erschienen ist.
Beteiligte Personen
Projektleiter
Prof. Dr. Urs Heftrich (Slavisches Institut, Universität Heidelberg) urs.heftrich@slav.uni-heidelberg.de
Prof. Dr. Jiří Opelík (Institut pro studium literatury, Praha)
Projektpartnerin
Kristina Váňová (Památník Karla Čapka | Strž 125 | CZ-26202 Stará Huť) pamatnik.vanova@tiscali.cz
Institutionelle Anbindung
Slavisches Institut der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Památník Karla Čapka, Stará Huť
Laufzeit und Fördergeber
Laufzeit
4 Jahre (2011–2015)
Förderung
Tschechisches Kulturministerium Deutsch-Tschechischer Zukunftsfonds Památník Karla Čapka, Stará Huť