Otto Frank Schicksalhafte Begegnung in Heidelberg
Anne Franks Vater Otto Frank studierte ein Semester an der Ruperto Carola
Am 9. Mai 1908 wurde der junge Frankfurter Otto Frank drei Tage vor seinem 19. Geburtstag an der „Grossherzoglich Badischen Universität Heidelberg“ immatrikuliert. Er schrieb sich für Kunstgeschichte ein, exmatrikulierte sich aber bereits zum Ende des Semesters wieder. Während seiner kurzen Zeit an der Ruperto Carola freundete er sich mit dem gleichaltrigen Amerikaner Nathan Straus Jr. an, mit dem er ein Studentenzimmer teilte. 33 Jahre später wandte sich Otto Frank verzweifelt an den Freund aus Heidelberger Zeiten, der inzwischen ein einflussreicher Mann war, um US-Visa für sich und seine Familie zu erhalten. Doch alle Bemühungen blieben erfolglos – was für seine Frau und die beiden Töchter das Todesurteil bedeutete. Denn Otto Frank war der Vater von Anne Frank.
Dass sich Otto Frank und Nathan Straus Jr. in Heidelberg befreundeten, könnte eine Ursache darin haben, dass die familiären Wurzeln beider Männer in der nahen Pfalz lagen. Straus’ Vater Nathan Straus wurde in Otterberg geboren, wanderte als Sechsjähriger mit seiner Familie in die USA aus und wurde dort später unter anderem Teilhaber des berühmten New Yorker Kaufhauses „Macy’s“. Otto Franks Familie stammte aus der Südpfalz: Sein Großvater Zacharias Frank wurde 1811 im rund 60 Kilometer von Heidelberg entfernten Dorf Niederhochstadt geboren. Er kaufte später in der nahen Stadt Landau ein Wohnhaus, das heute unter dem Namen Frank-Loebsches Haus als Begegnungsstätte an die während des Nationalsozialismus enteigneten früheren Besitzer erinnert. Otto Franks 1851 in Landau geborener Vater Michael zog 1879 nach Frankfurt am Main, wo sein Sohn Otto 1889 zur Welt kam und aufwuchs.
Nach seinem kurzen Aufenthalt an der Ruperto Carola arbeitete Otto Frank zunächst ein Jahr in einer Bank und ging anschließend für zwei Jahre in die USA, wo er bei „Macy’s“ ein Praktikum absolvierte und anschließend bei einer Bank arbeitete. Im Herbst 1911 kehrte er nach Deutschland zurück und war zunächst für verschiedene Unternehmen tätig, bevor er nach dem Ersten Weltkrieg gemeinsam mit einem seiner Brüder die Leitung der Bank des verstorbenen Vaters übernahm. 1925 heiratete er Edith Holländer, mit der er 1926 seine Tochter Margot bekam, der drei Jahre später die kleine Anne folgte.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten emigrierte Otto Frank bereits 1933 nach Amsterdam, wo er schon früher für die Bank seiner Familie gearbeitet hatte. Über Vermittlung seines Schwagers Erich Elias konnte er dort nun eine Handelsniederlassung für das Geliermittel Opekta aufbauen und 1934 seine Familie nachholen. Nach der deutschen Besetzung der Niederlande 1940 wurde aber auch in Amsterdam die Lage für die jüdische Familie immer bedrohlicher. Otto Frank bemühte sich daraufhin um Asyl in den USA, um seine Familie in Sicherheit zu bringen. Bekannt wurde dies erst, als 2005 eine Mitarbeiterin des „YIVO Institute for Jewish Research“ in New York auf rund 80 Seiten mit entsprechenden Dokumenten stieß.
Wir sorgen uns vor allem um das Schicksal unserer Kinder. Unser eigenes ist weniger wichtig.
Otto Frank
Demnach schrieb Otto Frank verzweifelte Briefe in die USA, wo sich die beiden Brüder seiner Frau, die 1939 in die USA emigriert waren, und Nathan Straus Jr., der Freund aus Heidelberger Zeiten, für die Familie Frank einsetzten. „Ich bin gezwungen, mich um unsere Emigration zu kümmern, und soweit ich sehen kann, sind die USA das einzige Land, in das wir gehen können“, schrieb Otto Frank am 30. April 1941 an seinen Freund, der inzwischen Leiter der US-Wohnungsbaubehörde war. „Du bist der einzige Mensch, den ich fragen kann: Wäre es Dir möglich, eine Kaution zu meinen Gunsten zu hinterlegen? […] Ich würde Dich nicht danach fragen, wenn die Umstände hier mich nicht dazu zwängen, rechtzeitig alles Menschenmögliche zu unternehmen, um Schlimmeres zu verhindern. […] Wir sorgen uns vor allem um das Schicksal unserer Kinder. Unser eigenes ist weniger wichtig.“
Doch aus Angst vor einer Unterwanderung während des Kriegs durch vermeintlich gefährliche Flüchtlinge wurde die Immigrationspolitik der USA immer restriktiver. „Unter den sogenannten Flüchtlingen in unserem Land befindet sich eine ganze Anzahl, bei denen man sich darauf verlassen kann, dass sie als Handlanger ihrer Regierung handeln, und die in jeglicher Weise die Gastfreundschaft, die sie bei uns genießen, missbrauchen“, zitiert der Historiker Richard Breitman von der American University in Washington in einem Essay für das YIVO-Institut aus einem Schreiben eines US-Botschafters vom Mai 1940 – als eines von vielen Beispielen jener Zeit. Rückblickend hätten sich solche damals weitverbreiteten Behauptungen als bestenfalls stark übertrieben erwiesen.
Dennoch ordnete das US-Außenministerium eine Verschärfung der Visa-Bestimmungen an und hielt so trotz der tödlichen Bedrohung der europäischen Juden die Zahl der erteilten Visa unter der zulässigen Obergrenze. In einem internen Memorandum legte der Chef aller US-Konsulate seinen Kollegen nahe, die weitere Einreise von Flüchtlingen mit immer neuen bürokratischen Hürden zu verzögern und so zu unterbinden, wie Melissa Müller in ihrer Biographie „Das Mädchen Anne Frank“ schreibt. Mit diesen Hürden wurde auch Otto Frank konfrontiert, dessen verzweifelte Bitten um Asyl daher trotz aller Fürsprache nicht erhört wurden, so dass er schließlich am 6. Juli 1942 mit seiner Familie mitten in Amsterdam untertauchen musste. Doch am 4. August 1944 wurden die Untergetauchten in ihrem Versteck verhaftet, in das Durchgangslager Westerbork gebracht und am 3. September mit dem letzten Transport von Westerbork nach Auschwitz deportiert.
Otto Frank überlebte als Einziger der vierköpfigen Familie den Holocaust. Nach der Befreiung des KZs Auschwitz traf er am 3. Juni 1945 wieder in Amsterdam ein, wo er am 18. Juli vom Tod seiner Töchter erfuhr, die nach Bergen-Belsen gebracht worden waren, während seine Frau in Auschwitz gestorben war. 1947 veröffentlichte er das Tagebuch seiner Tochter, das ihm Miep Gies übergeben hatte, seine frühere Mitarbeiterin, die gemeinsam mit anderen Helfern seine Familie versteckt hatte. Otto Frank übersiedelte 1952 zu seinen Verwandten in die Schweiz und heiratete 1953 seine ehemalige Nachbarin Elfriede Geiringer-Markovits, die wie er Auschwitz überlebt hatte. 1963 gründeten die beiden die Stiftung Anne Frank Fonds in Basel, die das Urheberrecht am Tagebuch der Anne Frank hält. Nach Otto Franks Tod am 19. August 1980 bleibt als Vermächtnis an die Nachgeborenen seine Mahnung: „Was geschehen ist, können wir nicht mehr ändern. Das einzige, was wir tun können, ist, aus der Vergangenheit zu lernen und zu erkennen, was Diskriminierung und Verfolgung unschuldiger Menschen bedeutet.“
Literaturhinweis
- Melissa Müller: Das Mädchen Anne Frank. Eine Biographie. Fischer 2012.