Monika Harms „Wenn sich Chancen bieten, muss man sich auch mal bewegen“
Monika Harms führte ihr Berufsweg von der Juristischen Fakultät der Ruperto Carola an die Spitze der Bundesanwaltschaft
Monika Harms (*1946), die als erste Frau an der Spitze der Bundesanwaltschaft stand, studierte 1966/67 an der Ruperto Carola Jura. Nach Examen und Referendariat in Hamburg folgten ab 1974 Stationen bei der Staatsanwaltschaft Hamburg, als Jugendrichterin am Landgericht und als Richterin am Finanzgericht Hamburg. 1987 wurde Monika Harms Richterin am Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe, an dem sie zunächst als Strafrichterin im 3. Strafsenat tätig war. 1990 wechselte sie zum 5. Strafsenat des BGH nach Berlin, der 1997 nach Leipzig verlegt wurde und an dem sie 1999 Vorsitzende Richterin wurde. Dort leitete sie unter anderem das Revisionsverfahren gegen die früheren SED-Politbüromitglieder Egon Krenz, Günter Schabowski und Günther Kleiber. Im Juni 2006 wurde Harms Generalbundesanwältin, in ihre Amtszeit bis 2011 fielen unter anderem die Ermittlungen gegen islamistische Terrorverdächtige wie die „Sauerlandgruppe“ und die „Kofferbomber“ sowie die neu aufgenommenen Ermittlungen gegen ehemalige RAF-Mitglieder. Seit 2008 ist Monika Harms zudem Honorarprofessorin für das Fachgebiet Strafrecht, Strafprozessrecht und Steuerstrafrecht an der Universität Halle-Wittenberg. Von 2010 bis 2014 war sie Vorsitzende des Hochschulrates der Universität Leipzig, zudem gehört sie dem Hochschulrat der Leipziger Hochschule für Musik und Theater an. Außerdem ist sie Mitglied des Wissenschaftsrats.
Das Interview wurde im August 2014 geführt.
Frau Harms, Sie waren die erste und bisher einzige Frau an der Spitze der Bundesanwaltschaft – lautete Ihr korrekter Titel Generalbundesanwältin oder Generalbundesanwalt?
Die Behörde heißt "Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof" und ich war die Generalbundesanwältin – als solche habe ich auch unterschrieben. Den Behördennamen haben wir so belassen, wir haben eine Änderung zwar diskutiert, aber im Gesetz ist die Bezeichnung so vorgesehen, und wir wollten nicht dafür sorgen, dass das Gesetz geändert werden muss.
In der Berichterstattung über Sie wird Ihnen immer wieder folgende Bemerkung zugeschrieben: „Frauen müssen alles doppelt so gut machen wie Männer, um anerkannt zu werden. Das ist aber nicht schwer.“ Was hat es damit auf sich?
Der Satz wird mir zwar zugeschrieben, er stammt aber nicht von mir. Damit hat es folgende Bewandtnis: Ich wechselte im Oktober 1983 an das Finanzgericht Hamburg, und der Vorsitzende meines Senats war ein großer Frauenfreund und Frauenförderer. Er stellte mir eine „Juxkarte“ mit diesem Spruch auf den Schreibtisch, und die ist dort stehengeblieben bis Ende 1987, als ich an den Bundesgerichtshof gewählt wurde. Damals entstand ja ein großer Medienhype, weil ich die erste Frau aus Hamburg und generell eine der wenigen Frauen war, die bis dahin an den Bundesgerichtshof gewählt wurden. Jedenfalls rannten mir die Medien die Bude ein, es wurden Aufnahmen gemacht – und da stand nun diese Karte auf meinem Schreibtisch. Wie gesagt: Das war ein Jux und nicht meine Überzeugung – aber der Spruch ist seither an mir hängen geblieben. So entstehen Mythen!
Sehen Sie sich denn trotzdem als Vorreiterin oder Vorbild für Frauen?
Das ist eine schwierige Frage. Vielleicht hat sich die Generation, die vor mir studiert hat und die sich viel mehr bestätigen musste, als Vorreiter und Vorbild empfunden. Dazu gehört etwa Lore Maria Peschel-Gutzeit, die hier in Hamburg Vorsitzende eines Senates wurde und später dann Justizsenatorin in Hamburg und in Berlin. Ich glaube, diese Generation hat viel mehr kämpfen müssen. Ich selbst habe das Gefühl, dass ich es eigentlich nie schwer gehabt habe und alles eher von selbst ging, und dann empfindet man sich nicht als Heldin. Ich habe nicht von Ehrgeiz zerfressen mit einem Plan in den Startlöchern gestanden. Ich wusste, dass ich bestimmte berufliche Tätigkeiten ausschließe und andere in Frage kommen – aber mein ganzer Weg bis hin zur Bundesanwaltschaft hat sich einfach so ergeben. Vielleicht habe ich aber auch mehr als andere Chancen ergriffen, die sich geboten haben – denn das muss man tun, anstatt zu sagen: Das kann ich nicht, das will ich nicht, das ist zu schwierig.
Sie haben sich also nie gefragt, kann ich das überhaupt, sondern Sie haben Herausforderungen immer als Chance begriffen?
Nein, man muss sich schon überlegen, was man will, und darf nicht zu allem Ja sagen, was einem über den Weg läuft. Ich habe auch Angebote ausgeschlagen, wenn ich wusste, dass das nicht passt. Aber trotzdem ergeben sich manchmal Dinge, die man nicht vorhersehen kann, und bei denen man nach der Überlegung, ob man das will und kann, sagt: Da gehst du jetzt ran.
Finden Sie denn trotz Ihrer eigenen Erfahrungen, dass eine Frauenförderung nötig war oder noch ist?
Auch das ist eine schwierige Frage. Wenn man sieht, dass es oben auf der Karriereleiter deutlich weniger Frauen als Männer gibt, muss man schon fragen, woran das denn eigentlich liegt. Und ich meine, dass es nicht nur an der Familienproblematik und den fehlenden Kitaplätzen liegt. Nach meiner Auffassung ist es auch ein Problem, dass viele Frauen dann, wenn sich Chancen bieten, eben nicht sagen: das mache ich – weil sie sich dann bewegen müssten. Aber wenn ich Leitende Oberstaatsanwältin in einem Flächenstaat werden möchte, dann muss ich unter Umständen nach Oldenburg in Niedersachsen gehen, auch wenn ich lieber in Hamburg leben möchte. Ich wäre nie zum Bundesgerichtshof gekommen und dann letztlich Generalbundesanwältin geworden, wenn ich nicht 1987 diese Chance ergriffen hätte, die sich durch den Zufall bot, dass man in Karlsruhe Experten für Strafrecht, Strafprozessrecht und Steuerrecht suchte. Das bedeutete für mich dann aber auch, dass ich von 1987 bis 2011 durch die Bundesrepublik pendelte, da mein Mann in Hamburg blieb, weil er dort Richter war. Das ist natürlich mit Umbrüchen und Mühe verbunden, aber wenn ich diese Chance nicht genutzt hätte, dann wäre ich vielleicht als Vorsitzende Richterin am Landgericht in Hamburg pensioniert worden. Es ist eine Last, und ich will auch gerne einräumen, dass das ohne Kinder natürlich besser zu machen ist. Wenn bei uns Kinder gekommen wären, dann hätte ich dieses Leben so nicht geführt.
Gehen wir vom Ende Ihrer Laufbahn zum Beginn: Wie kam es dazu, dass Sie Jura studierten?
Ich wollte ursprünglich etwas ganz anderes machen: Ich wollte Landwirtschaft studieren, weil ich, wie viele kleine Mädchen, ritt, stellte dann aber fest, dass das ohne Hof im Hintergrund nicht das Richtige ist. Dann wollte ich Medizin studieren, weil ich gerne in die Welt wollte und mir vorstellte, Schiffsarzt sei das Richtige für mich. In der Oberstufe in Frankfurt, wo ich aufgewachsen bin, stellte sich dann langsam ein gewisses Interesse am staatlichen Aufbau und dessen Zusammenhängen heraus. Dann begann Ende 1963 in Frankfurt der Auschwitz-Prozess, den ich, solange er im Rathaussaal stattfand, nach der Schule verfolgte – mit der ganzen Fassungslosigkeit, die man dabei empfand. Ich fing an, mich mit den Hintergründen zu befassen, und fand diese rechtliche Aufarbeitung so wichtig, dass ich mir sagte: So etwas kann ich mir vorstellen zu machen, das interessiert mich.
Zum Sommersemester 1966 haben Sie dann Ihr Jurastudium an der Ruperto Carola begonnen. Wie kamen Sie auf Heidelberg?
Ich habe mir überlegt, wo es gute Fakultäten gibt, wo man etwas lernen kann. Ich wollte raus aus Frankfurt. Hier hatte ich nun schon die Schulzeit verbracht, und 1966 wurde es langsam unruhig in der Stadt, das war nicht unbedingt meine Linie. In Heidelberg war es zu dieser Zeit noch ruhiger und ich hatte auch bereits einige Bezüge, weil meine Familie ein Haus in der Weststadt hatte: Das hatte mein Großvater väterlicherseits, der als Franzose im Elsass geboren wurde und später die badische Staatsangehörigkeit annahm, gebaut und 1896 fertiggestellt. Er war Diplomat und zum Schluss dann kaiserlicher Generalkonsul in China, deshalb musste die Familie irgendwo einen Standort haben, und den fand man in Heidelberg. Ursprünglich wollten sie sich übrigens in Baden-Baden niederlassen, aber dort wurden die Kinder bei einem Besuch direkt aus China kommend fürchterlich ausgeschimpft, weil sie Blumen in den Anlagen pflückten, so dass meine Großmutter, eine Amerikanerin, sagte, sie wolle nicht dort bleiben, wo ihre Kinder keine Blumen pflücken dürften – und so zog die Familie dann in die Weststadt nach Heidelberg. 70 Jahre später zog dann auch ich zum Studium nach Heidelberg, wollte aber nicht zur Familie unter das Dach und wohnte zunächst in Ziegelhausen im Studentenwohnheim St. Hildegard. Das lag am Fuße des Klosters Stift Neuburg, denn die Mönche betrieben zwei Studentenwohnheime, eins für die Jungs oben im Kloster, und eins unten an der Ziegelhäuser Landstraße. Da habe ich zwei Semester verbracht, das war sehr liberal und nett, und man wurde nicht gleich ins ganz grobe Leben gestürzt. Nach zwei Semestern bin ich dann nach Schriesheim gezogen und wohnte dort in einem Haus oben unterm Dach – das war einer dieser typischen Schriesheimer Höfe, die vorne große Tore haben, und ich musste dann über die Stiege nach oben unters Dach. Das waren meine drei Semester in Heidelberg!
Und wie war das Jurastudium in Heidelberg?
Das war eine Zeit, in der die Fakultät hervorragend besetzt war: Ernst-Wolfgang Böckenförde war noch da, Karl Lackner war gekommen und machte Strafrecht, im Zivilrecht waren wir auch gut besetzt, und der später sehr umstrittene Staatsrechtler Ernst Forsthoff war noch da. In den Vorlesungen von Forsthoff hatte ich eigentlich noch gar nichts verloren, aber das war einer, der druckreif redete – es war ein Phänomen und faszinierend, weil er so schön formulieren konnte. Davon habe ich lange gezehrt, auch wenn ich weiß, dass er ja durchaus umstrittene Thesen vertreten hat. Bei Böckenförde hörte ich Staatsrecht für Anfänger. Auch er konnte druckreif sprechen – diese Professoren waren einfach eindrucksvoll und die Hörsäle waren voll. Auch bei Lackner im Strafrecht war es spannend und interessant, während andere Dozenten den großen Hörsaal im neuen Gebäude ziemlich schnell leer gelesen hatten – wir gingen alle am Anfang brav hin, aber es dauerte nicht lange, da waren sehr viele weg!
Sie haben dann ab dem Wintersemester 1967 in Hamburg weiterstudiert – warum sind Sie dorthin gewechselt?
Erstens gibt es natürlich immer Kommilitonen, die wechseln, und man geht dann mit. Mein Wechsel hatte aber auch noch einen ganz konkreten Grund: In Baden-Württemberg wurden im ersten Staatsexamen nur Klausuren geschrieben, und ich schreibe nicht gerne Klausuren. Natürlich muss man Wissen haben und das auch zügig und schnell innerhalb von fünf Stunden zu Papier bringen können, aber die eigentliche juristische Arbeit besteht auch darin, dass man Fragen durchdenkt, sie literarisch-wissenschaftlich aufbereitet, und das kann man eigentlich nur in einer Hausarbeit. Alle Jura-Fakultäten nördlich der Mainlinie schrieben zu diesem Zeitpunkt noch Hausarbeiten, alle südlich der Mainlinie schrieben zehn, zwölf Klausuren. Deshalb bin ich nach Hamburg gegangen, und außerdem ist Hamburg natürlich eine wunderschöne Stadt. Und meine Familie mütterlicherseits kommt aus dem Niederelbedreieck, so dass ich da auch eine gewisse familiäre Anbindung hatte. Das waren die Gründe, hierher zu kommen, und ich habe es nicht bereut und bin hier hängen geblieben.
Sie haben sowohl als Richterin als auch als Staatsanwältin gearbeitet. Waren Ihre Erfahrungen als Richterin ein Vorteil für Ihr Amt als Generalbundesanwältin?
Ja, mit Sicherheit. Die Bundesanwaltschaft hat ja drei Säulen: Zwei Ermittlungsabteilungen zur inneren und äußeren Sicherheit und die älteste Säule der Bundesanwaltschaft, die Vertretung der Revisionsfälle, die aus dem gesamten Bundesgebiet zum Bundesgerichtshof gebracht werden. Diese gehen bei der Bundesanwaltschaft ein, werden dort bearbeitet und mit einem Antrag, wie das Verfahren weiter behandelt werden soll, und einer umfassenden rechtlichen Beurteilung weitergereicht an den Bundesgerichtshof. Allein dadurch, dass ich 20 Jahre Richterin am BGH in Revisionssachen war, konnte ich viel besser beurteilen, was meine Revisionsabteilung macht. Und dadurch konnte ich wiederum viel besser steuern und die Personalkraft da verteilen, wo sie jeweils am dringendsten benötigt wurde. Gerade bei den Ermittlungsabteilungen der Bundesanwaltschaft weiß man nie, wie viele Verfahren kommen, wie groß diese sind und wie viele Leute man da auf Dauer braucht. Bei der Revisionsabteilung kann man das viel besser einschätzen, denn das ist ein regelmäßiger Fluss von etwa 650 Verfahren pro Jahr in jedem Referat. Also muss man notfalls gelegentlich auch ein paar Leute aus der Revisionsabteilung in die eine oder die andere Ermittlungsabteilung abordnen, wenn dort Schützenhilfe nötig ist.
Gibt es rückblickend Verfahren, die für Sie besonders wichtig oder eindrucksvoll waren?
Ja, die gibt es natürlich. Meine interessanteste Zeit als Richterin war wahrscheinlich die Zeit im 5. Strafsenat des BGH in Berlin. Dieser einzige auswärtige Senat wurde 1952 von den Alliierten in Berlin eingerichtet, weil diese nicht wollten, dass Berlin unter die Jurisdiktion in Karlsruhe geriet. Ende 1997 zog er dann nach Leipzig um. Ich kam am 1. Oktober 1990 an den Senat, über den nach der Wiedervereinigung die Hauptlast der deutsch-deutschen Aufarbeitung abgewickelt wurde. Das waren hochinteressante Jahre – das fing an mit den Verfahren zu den Mauertoten und den Mauerschützen, dann kamen die Fälle der Rechtsbeugung, wenn beispielsweise drakonische Strafen für Ausreisegesuche verhängt worden waren, und schließlich die Frage, inwieweit das Ministerium für Staatssicherheit und die Nationale Volksarmee in die strafrechtliche Verantwortung für diese Vorgänge genommen werden konnten. Und dann natürlich auch die Verurteilung von Erich Mielke. Wir haben es zwar nicht geschafft, ihn für die Mauertoten zu verurteilen, aber immerhin für die Ermordung eines Polizisten auf dem Bülowplatz im Jahr 1931. Das war ein historisch betrachtet hochinteressantes Verfahren, und das waren auch innerhalb des Senates sehr konstruktive, gute Jahre, in denen wir hervorragend zusammengearbeitet haben.
Diese juristische Aufarbeitung von DDR-Unrecht war Neuland, bei dem auch der Vorwurf der Siegerjustiz aufkam. Wie geht man damit um?
Ja, da war natürlich sehr viel Zurückhaltung gefragt und es musste rechtlich sauber sein. Wir hatten ja auch schon in der Nachkriegszeit eine juristische Aufarbeitung der NS-Zeit, und auch wenn ich Mauerschützen nicht mit den Tätern von Auschwitz vergleichen will, wurden bei den Nachkriegsprozessen unbefriedigenderweise ganz viele Täter nur wegen Beihilfe verurteilt, obwohl sie in Auschwitz an der Rampe standen und selektierten. Damals hatte man noch nicht den Mut, das rechtlich anders zu beurteilen. Wir haben versucht, es besser zu machen, und wir haben lange dafür gebraucht: Erst 1997/98 sind in der Revisionsinstanz in Leipzig die letzten Verfahren abgeurteilt worden. Die Geschichte wird darüber entscheiden, ob es gelungen ist oder nicht – aber interessant war es jedenfalls.
(Das Interview führte Mirjam Mohr)