Klaus Staeck „Ich musste mich früh für eine Haltung entscheiden“
Der Plakatkünstler und Verleger Klaus Staeck lebt und arbeitet bis heute in Heidelberg
Klaus Staeck wurde 1938 in Pulsnitz bei Dresden geboren und wuchs in Bitterfeld auf. 1956 übersiedelte er in den Westen und wiederholte in Heidelberg das Abitur, da die DDR-Reifezeugnisse in der Bundesrepublik nicht anerkannt wurden. Von 1957 bis 1962 studierte er in Heidelberg, Hamburg und Berlin Jura, absolvierte anschließend sein Referendariat und war einige Jahre in Heidelberg als Anwalt tätig. Parallel zum Studium arbeitete Staeck, der 1960 in die SPD eintrat, bereits künstlerisch. 1965 gründete er den Verlag „Edition Tangente“, der später zur „Edition Staeck“ wurde und Kunstwerke internationaler Künstler wie Joseph Beuys vertreibt. Anfang der 1970er Jahre wurde er mit satirischen Plakaten bekannt. Staeck war Mitbegründer der Internationalen Kunst- und Informationsmesse Düsseldorf/Köln, aus der die Art Cologne hervorging, und nahm viermal an der Dokumenta teil. Gegen viele seiner Plakate wurde geklagt, er führte 41 Prozesse, die er alle gewann. Inzwischen umfasst sein künstlerisches Werk mehr als 300 Plakate, die weltweit in mehr als 3.000 Ausstellungen zu sehen waren. Von 2006 bis 2015 war Klaus Staeck Präsident der Akademie der Künste.
Das Interview wurde im Mai 2013 geführt.
Herr Staeck, Sie wurden bekannt als Grafiker und Plakatkünstler – studiert haben Sie allerdings Jura. Warum haben Sie sich für dieses Studienfach entschieden?
Weil ich die Hoffnung hatte, dass ich ein Studium zwar beginnen, aber nicht abschließen müsste. Denn mein Plan war, vor dem Examen den Absprung als Künstler zu schaffen. Also habe ich mir angeschaut, in welchem Studium man lange genug studieren kann, ohne zu sehr aufzufallen. Das war damals Jura mit durchschnittlich zehn Semestern. Ich dachte, wenn du fünf Jahre fleißig bist und hart arbeitest, wirst du das Examen möglicherweise nicht machen müssen. Das war aber nicht der Fall. Also war das Referendar-Examen das neue Ziel. So hatte ich noch einmal dreieinhalb Jahre Zeit – da ich mich zwischendurch noch ein Jahr beurlauben ließ, sogar viereinhalb Jahre. In dieser Zeit, so hoffte ich, musst du es doch geschafft haben. Dann kannst du dich frei entscheiden: Machst du das Examen oder lässt es sich von der Kunst leben. Davon leben ließ sich aber immer noch nicht. Also musste ich auch das zweite Examen machen. Danach habe ich zunächst als Anwalt gearbeitet.
Aber Ihr Studium hat Ihnen doch sicher später bei Ihren zahlreichen Prozessen genutzt?
Ich habe es keinen Tag bereut, Jura studiert zu haben. Man lernt ein straffes Denken, und das Studium ist mir sehr zugute gekommen. Aber nicht, weil 41 Mal gegen meine Plakate juristisch vorgegangen wurde. Mein Studium hat mir dabei nur insoweit geholfen, als ich wusste, wie die anderen agieren und dass sie auch nur mit Wasser kochen. Deshalb habe ich trotzdem immer einen Kollegen beauftragt, mich zu vertreten. Wegen der Befangenheit sollte man sich nie selbst verteidigen. Für mich war entscheidender, dass ich als Anwalt einen sogenannten anständigen Beruf hatte. Für viele steht der Beruf des Anwalts erstaunlicherweise über dem des Künstlers. Das ist jedenfalls meine Erfahrung. Denn immer, wenn ich eine Ausstellung hatte, hieß es anfangs „der Heidelberger Rechtsanwalt und Grafiker“, fast nie umgekehrt. Nach dem Motto: Der könnte auch etwas Seriöses tun.
Und wie kam Ihre künstlerische Karriere ins Rollen?
Ich habe ja schon parallel zum Studium künstlerisch gearbeitet. Meine erste Ausstellung hatte ich 1960 übrigens im zur Heidelberger Universität gehörenden Haus Buhl. 1965 habe ich dann den Verlag „Edition Tangente“ gegründet, heute „Edition Staeck“. Zuerst zusammen mit der Kaub KG, die damals mit dem Studentenlokal "galerie t" den Grundstein für ein ganzes Reich solcher Tangente-Musikclubs in Deutschland legte. Aber da ich die ganze Arbeit allein machte, dachte ich irgendwann, dass ich auch die Vorteile davon haben will, auch um den Preis des ganzen Risikos.
Als Künstler haben Sie zunächst vor allem Holzschnitte gemacht – wie entstand Ihre Plakatkunst?
Ich merkte bald, dass ich meine politischen Intentionen in den abstrakten Holzschnitten nur schwer zum Ausdruck bringen konnte. So habe ich mit Collagen und Fotomontagen begonnen und festgestellt, dass mir das sehr liegt. Mein erstes Plakat zeigt das Bild von Albrecht Dürers alter Mutter, versehen mit dem Text „Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?“. Es existierte zuerst als Grafik, die ich in einer 100er-Auflage herausgebracht hatte, nummeriert und signiert. Ein Exemplar kostete damals 25 oder 30 Mark. Doch viele meinten, dass sie das Motiv zwar gut fänden und auch gerne kaufen würden, aber keine 30 Mark ausgeben wollten. So kam ich schließlich auf das Plakat in der Hoffnung, dass ja vielleicht das ein Weg sein könnte. Bis dahin hatte ich meine kleinen Ausstellungen, wollte mich aber mit meiner Kunst immer mitteilen und einmischen, darüber mit anderen ins Gespräch kommen. Käthe Kollwitz hat es einmal so gesagt: „Ich will wirken in dieser Zeit.“ Kunst ist ja immer auch ein kommunikatives Mittel. Und so kam es zu meiner ersten Plakataktion in Nürnberg.
Dort haben Sie 1971 anlässlich des Dürer-Jubiläums Ihr Dürer-Mutter-Plakat großflächig plakatiert.
Ja, aber wir haben das nicht als Kunstaktion angemeldet. Mein Freund Gerhard Steidl vom Steidl Verlag, mit dem ich damals alles zusammen gemacht habe, hat dafür Litfaßsäulen angemietet. Dann haben wir 300 Plakate kleben lassen, mehr konnten wir uns nicht leisten. Ich habe mich natürlich gefragt, ob man auf diesem Wege wirklich Leute erreichen kann, denn wir sind ja umgeben von Bildern aller Art. Aber es gab ziemlich heftige Reaktionen. Es hieß, täglich hätten etwa 200 Leute bei der Stadtverwaltung angerufen und gefragt, wer das bezahlt, weil sie bei Litfaßsäulen automatisch an die Stadt dachten. Schließlich haben sie bei der Zeitung nachgefragt. Parallel fand in Nürnberg ein Haus- und Grundbesitzerkongress statt. So dachten die Leute, aha, das hat irgendwas damit zu tun. Für mich war nur entscheidend: Die Menschen haben die Aktion wahrgenommen, sie sehen es. Also war das ein Weg, Menschen zu erreichen. Man muss dafür allerdings Geld haben, man muss Geld verdienen. Dafür habe ich meinen Verlag aufgebaut – auch um meine Kunstaktionen finanzieren zu können. So wurde ich zum größten Verleger von Joseph Beuys, Sigmar Polke, A.R. Penck und vielen anderen.
Sie fanden also Gefallen an dieser Art der künstlerischen Arbeit.
Ich wusste jetzt: Es funktioniert. Das Plakat wirbt nicht für ein Produkt oder eine Veranstaltung, aber es stellt visuell Fragen. Die Dürer-Aktion fand im öffentlichen Raum und im Kunstrahmen statt. Wie funktioniert das in der Politik? Also habe ich 1972 zur Landtagswahl in Baden-Württemberg ein Plakat entworfen "Die Reichen müssen noch reicher werden. Deshalb CDU". Innerhalb von zwei Tagen hatte ich vier Prozesse am Hals mit jeweils 20.000 Mark Streitwert, obwohl nur 200 Plakate geklebt wurden. Es gab sogar einen Beitrag in der Fernsehsendung „Titel, Thesen, Temperamente“. Somit war klar: In der Politik klappt es auch. Aber ich hatte diese Prozesse am Hals. Deshalb musste ich einen Weg finden, die gleiche Botschaft zu vermitteln, ohne 'CDU'. Daraus wurde anschließend 'christdemokratisch'. Denn die CDU klagte mit dem Ziel, ihr Namensrecht zu schützen.
Dann hatte ich die "Jahrhundertidee": "Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen". Es war eine Befreiung: Das Plakat hat eine Auflage von 70.000 Stück, dazu kommen 200.000 Postkarten und Aufkleber. Dieses Motiv hat sich bis heute ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Ich bin ein passionierter Bahnfahrer, und bei fast jeder Fahrt kommt jemand, der nicht „Guten Tag“ sagt, sondern stattdessen "Deutsche Arbeiter... " murmelt. Viele sagen mir, ich hätte an ihrer politischen Sozialisation mitgewirkt. Meine Arbeit scheint nicht ganz sinnlos gewesen zu sein.
Zu ihrer eigenen politischen Sozialisation: Sie sind in der DDR aufgewachsen und 1956 direkt nach dem Abitur als politischer Flüchtling in den Westen gegangen. Inwieweit hat Sie Ihre Jugend in der DDR geprägt?
Ich bin in Bitterfeld aufgewachsen, damals in jeder Hinsicht eine der härtesten Städte. Das hat mich stark geprägt. Während meiner Schulzeit herrschte noch der Stalinismus. Man musste sich jedenfalls früh entscheiden, ob man als Opportunist durchs Leben wanken will oder bereit ist, eine Haltung einzunehmen und zu bewahren, bei der man noch in den Spiegel blicken kann. Aber eben auch mit der Konsequenz, mit Nachteilen rechnen zu müssen. Vor dieser Frage stand jeder. Die Entscheidung zu sagen, da mache ich nicht mit, war immer mit Risiken verbunden. Diese frühe Erfahrung hat mich mein ganzes Leben begleitet. Dadurch wurde ich auch widerstandsfähiger, wenn es um meine künstlerische Arbeit ging. Wenn ich jetzt zurückschaue, erschrecke ich manchmal, welche Risiken ich immer wieder eingegangen bin, die man oft erst im Nachhinein so richtig erkennt.
Welche Situationen waren denn am riskantesten?
Satire verteidigt die unverschuldet Schwachen immer gegen den Übermut der Starken. 1981 habe ich zum Beispiel ein Plakat zur Firma Rheinmetall gemacht, einem der größten Rüstungskonzerne. Darauf waren fünf Prokuristen zu sehen mit dem Satz „Alle reden vom Frieden. Wir nicht.“. Dieses Plakat hat gleich sechs Prozesse ausgelöst: Es klagten die fünf Prokuristen und die Firma – und alle an verschiedenen Orten. Da ist man natürlich schon versucht zu fragen: Will ich mich jetzt wirklich mit diesem Waffenproduzenten anlegen? Der verfügt über eine ganze Rechtsabteilung. Heute bin ich froh, dass ich das gut überstanden habe. Als Vernunftmensch habe ich immer darauf vertraut, dass ich etwas Vernünftiges und Notwendiges tue. Indem ich etwas sichtbar mache, das ich für einen eklatanten Missstand halte, der beseitigt werden muss. Ich halte sehr viel von Zivilcourage. Das habe ich in der DDR gelernt: Wenn du die Chancen der Zivilcourage nicht nutzt, dann gehst du früher oder später innerlich unter.
Mit Greenpeace zusammen habe ich ein Plakat entworfen, gegen das die Unternehmen Hoechst AG und Kali-Chemie klagten. Es ging damals um die Zerstörung der Ozonschicht durch deren FCKW-Produkte. Unser Slogan lautete: „Alle reden vom Klima. Wir ruinieren es.“. Wir haben Fotos der beiden Vorstandsvorsitzenden abgebildet und sogar die Werkstelefonnummer angegeben. Denn wir wollten eine Auseinandersetzung. Diese Prozesse haben neun Jahre gedauert. Der eine hat bis zum Bundesverfassungsgericht geklagt, der andere bis zum Bundesgerichtshof. Beide Prozesse sind fast zur gleichen Zeit nach neun Jahren entschieden worden. Sie endeten mit einem Freispruch, weil wir uns nach Meinung der Gerichte im Rahmen der Meinungsfreiheit bewegt haben. Ein gutes Urteil, denn es zeigte: Wer derart zerstörerische Produkte herstellt, der muss sich auch scharfe Kritik gefallen lassen.
Ihre Kunst hatte aber ja nicht nur für Sie selbst Konsequenzen.
Ich habe einmal die Konflikte aufgelistet, die meine Plakate ausgelöst haben. Das beginnt mit einem Schüler, der eine meiner Postkarten ohne Genehmigung durch den Lehrer an die Schulwandzeitung heftete. Anschließend gab es in der Schule eine Debatte über Demokratie: Darf ein Schüler frei seine Meinung an der offiziellen Wandzeitung kundtun oder nicht? In einem anderen Fall hatte eine Sekretärin während eines Wahlkampfes an ihrem Auto meinen Aufkleber "Nostalgie ist noch lange kein Grund, CDU zu wählen" angebracht. Ihr wurde verboten, mit diesem Aufkleber auf dem Firmenparkplatz zu parken. Und was machte die Frau? Sie hat ihn nicht abgemacht, sondern gekündigt. Glücklicherweise hat sie damals relativ schnell wieder eine neue Stelle gefunden. An diesem Beispiel kann man sehen, dass ich – wie ich es immer nenne – Demokratiebedarf liefere.
Heidelberg war ja eines der Zentren der 68er-Bewegung. Haben Sie damals mitgemacht?
Ich war nie einer der selbsternannten Revolutionäre. Ich wollte nie zu Mao Tse-tung und ich wusste: Auch die Heidelberger Bürger wollen sicher keine Maoisten werden. Für die 68er hatte ich einen doppelten Makel: Ich war ein bürgerlicher Künstler und 1960, als sie selbst alle noch bürgerliche Söhnchen und Töchterchen waren, in die SPD eingetreten. Sozialdemokrat war das Schlimmste! Diese Eruption, die 1968 stattfand, hat mich schon etwas ratlos gemacht. Dennoch waren viele Anliegen berechtigt, vor allem die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit unserer Elterngeneration, die bis dahin weitgehend tabu war. Was mich dagegen gestört hat: Die "Revolutionäre" haben die sogenannten "liberalen Scheißer" ziemlich brutal verfolgt. Es gab mehrere Professoren, die bereit waren zu diskutieren. Die wurden aber besonders drangsaliert. Ich schaue nicht gern auf diese Zeit zurück. Fast jeden Tag gab es Teach-ins und Diskussionen in der Aula der Neuen Uni. Ich bin oft hingegangen, auch wenn das schon nach meiner Studienzeit war. Eines Tages gab es eine Abstimmung, die nach Meinung des herrschenden Komitees schief gelaufen war. Darauf sagte einer: Die Abstimmung gilt nicht, hier herrscht das falsche Bewusstsein. Das war schon ein seltsames Demokratieverständnis. Der KBW, dem damals viele angehörten, war eine der übelsten Sekten. Wenn wir schon unserer Elterngeneration vieles angelastet haben, so wäre es an der Zeit, auch diese Geschichte mit der Verherrlichung eines Pol Pot einmal aufzuarbeiten.
Sie selbst waren ja auch schon lange vor 1968 politisch aktiv.
Wenn man aus der DDR kam, war man politisch. Denn man hatte die Heimat aus politischen Gründen verlassen. Ich wohnte damals im Studentenwohnheim am Klausenpfad. Da traf man sich ständig und verabredete verschiedene Aktionen. Dann kam 1962 die „Spiegel“-Affäre. Sie war ein großer Einschnitt. Wir hatten den Eindruck: Jetzt müssen wir die Demokratie verteidigen. Wir waren etwa zehn Studenten. Im Physikalischen Institut haben wir Transparente für eine Demonstration gemalt. Gleichzeitig suchten wir einen Redner, zunächst in der juristischen Fakultät. Jedoch ohne Erfolg. Wir wollten gar nicht, dass jemand in dem konkreten Konflikt Partei ergreift. Er sollte nur ein paar Grundsätze des Rechtsstaats in Erinnerung rufen. Denn den sahen wir in Gefahr, wenn ein Minister einen Chefredakteur einfach verhaften lassen kann, wenn ihm ein Artikel nicht gefällt. Wir haben schließlich an der ganzen Universität Heidelberg keinen gefunden, der bereit gewesen wäre, zu uns zu sprechen. Das war eine bittere Erkenntnis. Mir war klar: Diese Demokratie steht auf ganz schwachen Füßen.
Sie haben sich auch künstlerisch mit Bildungsthemen auseinandergesetzt. 1997 entstand Ihr Plakat „Ein Volk, das solche Boxer, Fußballer, Tennisspieler und Rennfahrer hat, kann auf seine Uniwersitäten ruhig verzichten“. Wie kam es dazu?
Mich hat damals die Heidelberger Studentenzeitung interviewt. In diesem Interview fiel dieser Satz, und die Studenten fragten, ob ich ihnen den Satz „schenken“ könne. Ich antwortete: "Schenken schon, aber wenn ihr etwas damit macht, müsst ihr wenigstens meinen Namen hinzufügen. Denn falls ich diesen Slogan selbst noch verwenden sollte, will ich nicht als Plagiator dastehen." Ich habe ihnen noch empfohlen, in diesen Bandwurmsatz einen falschen Buchstaben als Störfaktor einzubauen. Eines Tages haben sie diesen Satz auf Betttücher gemalt in der Heidelberger Hauptstraße ausgehängt. Schließlich kam die Polizei und verlangte die Beseitigung des Transparents. Doch jetzt trat der Hausmeister des Gebäudes auf den Plan, nach dem Motto: Hier bestimme ich, und verteidigte die Botschaft. Insofern ist das Uniwersitäten-Plakat, das später daraus entstand, eine Ur-Heidelberger Geschichte. Es ist leider immer noch eines der aktuellsten, wie man anlässlich jedes Formel-1-Rennens sehen kann.
(Das Interview führte Mirjam Mohr)