Hannah Salzer ohne Tabus und Berührungsängste
Die Heidelberger Medizin-Studentin Hannah Salzer klärt Jugendliche über Sexualität auf
»Und, was machen wir nach dem Sex-ABC?«, fragt Hannah Salzer, »erst die Geschlechtskrankheiten oder erst den Grabbel-Sack?« Zusammen mit Linda Sebesteny, Marius Kuschma und Samuel Loebell – wie sie Medizin-Studenten an der Uni Heidelberg – ist die 23-Jährige in ihrem knallroten Kleinwagen unterwegs zu einer 9. Klasse am Gymnasium Karlsbad in der Nähe von Karlsruhe. Auf dem Unterrichtsplan stehen heute die Themen Sexualität und Prävention – vermittelt nicht von Eltern oder Lehrern, sondern von Studierenden der Heidelberger Initiative »Mit Sicherheit verliebt«.
»Was in der Klasse gesagt wird, bleibt in der Klasse, alles darf gefragt werden und niemand wird ausgelacht.« Eine knappe Stunde später steht Hannah Salzer vor den 24 Schülerinnen und Schülern und erklärt ihnen die Regeln des heutigen Vormittages. Man merkt – noch wissen die Jugendlichen nicht so richtig, was auf sie zukommen wird. Unsichere Blicke, Getuschel und peinlich berührtes Gekicher, als sie zum Sex-ABC aufgefordert werden. Zu jedem Buchstaben sollen sie einen Begriff ergänzen, der ihnen zum Thema Sexualität einfällt. Ein Junge macht den Anfang, schreibt »Liebe« zum Buchstaben »L«. Zögernd folgen weitere Begriffe: »Penis«, »Onanieren«, dann wird es still. Als das Schweigen droht unangenehm zu werden, schlägt Hannah »Coitus interruptus« vor und erklärt den Schülern, was damit gemeint ist. Langsam löst sich die Anspannung. Dennoch, so richtig geheuer scheint den 14- und 15-Jährigen das Thema nicht.
Hannah Salzer hat ihre Berührungsängste mit dem Thema Sexualität längst abgelegt, unter ihren Freunden trägt sie den Spitznamen »Sex-Tante«. Zwar sei sie selber in der Schule nie richtig aufgeklärt worden, zum Glück habe sie aber eine sehr offene Mutter. »Manches Mal vielleicht sogar zu offen«, erzählt die 23-Jährige und verdreht lachend die Augen. Den Schülern will Hannah Salzer vor allem eines mitgeben: nichts zu machen, was sie nicht selber wollen. Ihr und ihren Mitstreitern der Initiative »Mit Sicherheit verliebt« (MSV) geht es vor allem darum, zu einem unverkrampften und gleichzeitig verantwortungsvollen Umgang mit dem eigenen Körper anzuregen. Darüber hinaus informieren die Studierenden über Geschlechtskrankheiten und Verhütungsmethoden ganz nach der Maxime »Schutz durch Aufklärung«.
Es heißt zwar immer, die Jugend von heute sei aufgeklärter denn je. Nur weil sie im Internet leichteren Zugang zu Pornoseiten hat, ist das aber noch lange nicht der Fall.
Hannah Salzer
Im Gymnasium Karlsbad geht es nach einer kurzen Pause weiter mit dem »Grabbel-Sack«. Noch sind die Neuntklässler in ihre Unterhaltungen vertieft. »Jungs, wir wollen weitermachen!«, fordert Hannah Salzer einige der Schüler energisch auf. Nacheinander dürfen die Jugendlichen in einen Jutebeutel greifen und einen Gegenstand herausholen: Ans Licht kommen neben Kondomen, der Pille und einem Schwangerschaftstest ein Verhütungsring, Gleitgel, eine Spirale und ein Diaphragma. Die Medizin-Studenten erklären, was genau die Schüler in den Händen halten und wie sicher die Verhütungsmethoden darunter sind. »Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie rudimentär das Wissen der Jugendlichen ist«, so Hannah Salzer. »Es heißt zwar immer, die Jugend von heute sei aufgeklärter denn je. Nur weil sie leichteren Zugang zu Pornoseiten im Internet hat, ist das aber noch lange nicht der Fall.«
Seit drei Jahren engagiert sich die Medizin-Studentin bei »Mit Sicherheit verliebt«, im vergangenen Jahr hatte sie die stellvertretende Bundeskoordination der über dreißig Lokalgruppen in Deutschland inne. Jedes zweite Wochenende war sie in dieser Zeit für MSV unterwegs, organisierte Workshops und Treffen für die gut 750 Mitglieder der Initiative, beantwortete jeden Tag zig E-Mails in dieser Funktion. »Auf Dauer war das einfach zu viel, auch wenn es mir sehr viel Spaß gemacht hat.« Inzwischen hat Hannah Salzer ihr Engagement auf die Schulbesuche vor Ort zurückgeschraubt und widmet sich wieder verstärkt ihrem Medizinstudium. Ihr Berufsziel: Urologin mit einer zusätzlichen Ausbildung als Sexualtherapeutin. »Egal, wo ich bin – es wird eh immer über dieses Thema geredet«, meint sie lachend.
Zum Abschluss des Schulbesuches dürfen die Schüler anonym Fragen in eine »Black Box« werfen, die Hannah Salzer und ihre drei Kommilitonen beantworten. »Tut das erste Mal weh?« steht auf einem der Zettel, auf einem anderen: »Für wen ist Sex anstrengender: für den Mann oder für die Frau?«. Die Studierenden antworten den Jugendlichen offen und ohne Hemmungen, teils schildern sie eigene Erfahrungen. »Durch mein Engagement bei MSV habe ich mich so viel mit dem Thema Sexualität beschäftigt, dass ich inzwischen sehr unbefangen bin,« sagt Hannah Salzer.
Genau dafür sind wir schließlich da: dass die Schüler uns Fragen stellen können, die ihnen vor Eltern und Lehrern peinlich sind.
Hannah Salzer
Dieser Artikel ist in der UNISPIEGEL Sonderausgabe 2014 (Seite 11) erschienen.
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