Studium Generale – Digital ENTFESSELTER KAPITALISMUS?
Prof. Dr. Johannes Berger, Universität Mannheim, Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung
11. Mai 2020
Unter den vielen Kritiken, denen das kapitalistische Wirtschaftssystem im Laufe seiner Entwicklung ausgesetzt war, rangiert heute die Kritik an seiner Schrankenlosigkeit an erster Stelle. Gemeint ist damit, dass es sich in seiner sozialen und natürlichen Umwelt ohne Rücksicht auf deren Bedürfnisse und Eigenwerte ungehemmt ausbreitet. Nach einer Klärung der Grundbegriffe „Kapitalismus“ und „Entfesselung“ schildert der Vortrag zunächst die positiven Seiten dieser Entfesselung: in erster Linie die Entfaltung einer Wachstumsdynamik, die Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen von bitterer Armut und frühem Tod befreit hat. Sodann wendet er sich der Frage zu, ob die Wirtschaft im Vergleich zu anderen Teilsystemen der Gesellschaft heute nicht eher als hochreguliert und gebändigt angesehen werden muss. Das war jedenfalls die Perspektive Max Webers: Schrankenlose Erwerbsgier ist kein Merkmal des modernen Kapitalismus. Abschließend wirft der Vortrag einen Blick auf die moderne Wissenschaft im Vergleich zur Wirtschaft. Sie kennt schlechterdings keine Grenzen. Insofern ist das Schicksal der modernen Welt die fortschreitende Intellektualisierung und Rationalisierung aller sozialen Verhältnisse, wie Weber mit pessimistischem Unterton feststellt.
Johannes Berger
Johannes Berger wurde 1967 im Fach Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München promoviert. Es folgten Tätigkeiten als Assistent sowie Assistenzprofessor in Regensburg und Berlin. Von 1974 bis 1989 lehrte und forschte er als Professor für Soziologie an der Universität Bielefeld, anschließend wechselte er an die Universität Mannheim. Dort wurde er im Jahr 2004 emeritiert. Prof. Bergers Forschungsinteressen liegen unter anderem im Bereich der Gesellschaftstheorie und der soziologischen Theorie sowie der Wirtschaftssoziologie.