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Marga Ingeborg Thome »Die Möglichkeit, zu helfen, hat mich früh geprägt«

Marga Ingeborg Thome ist eine Pionierin der Pflegewissenschaft in Island

Marga Thome

Im Mai 2019 beschloss die Weltgesundheitsorganisation WHO, das Jahr 2020 als Internationales Jahr der Pflegenden und Hebammen auszurufen. Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch niemand, dass 2020 auch das Jahr einer weltweiten Pandemie werden würde, die die Bedeutung der Pflegeberufe für die Gesellschaft schlagartig ins Licht rücken würde – Marga Ingeborg Thome freute sich aber bereits damals über die Anerkennung für ihren oft unterschätzten Berufsstand. Denn die Absolventin der Schwesternschule der Universität Heidelberg wirkte Jahrzehnte als Pflegewissenschaftlerin und war erste Dekanin der pflegewissenschaftlichen Fakultät der Universität Island – was letzten Endes ebenfalls auf einen Aufruf der WHO vor 50 Jahren zurückzuführen ist.

Denn 1970 appellierte die Organisation an die europäischen Länder, ihre Universitäten für Pflegeberufe zu öffnen – ein Aufruf, dem allerdings nur wenige Länder nachkamen. Eines davon war Island, wohin Marga Thome Anfang der 1970er-Jahre der Liebe wegen gekommen war: Während ihrer Weiterbildung an der Heidelberger Schwesternschule war sie zum Englischlernen nach England gegangen und hatte dort ihren späteren Mann kennengelernt, einen Isländer. „1973 habe ich mich entschlossen, in Island ‚Isländisch für Ausländer‘ zu studieren“, erzählt sie. „Zu dieser Zeit begann dort auch das Pflegestudium an der Universität und man suchte händeringend nach Lehrenden. Da ich nun eine Ausbildung zur Lehrerin für Pflegeberufe hatte, wurde ich in die Lehre und die Entwicklung des Curriculums einbezogen.“ Das war der Startschuss für eine jahrzehntelange Hochschulkarriere als Pflegewissenschaftlerin.

Begonnen hatte dieser Weg im Saarland, wo Marga Thome 1942 mitten im Krieg in eine Bergmanns- und Bauernfamilie geboren wurde, in der Arbeit und Bildung einen hohen Stellenwert hatten, wie sie betont. Bereits mit 14 Jahren startete sie als Stationsgehilfin in einem Krankenhaus in das Arbeitsleben und lernte gleichzeitig das Thema Pflege auch in ihrer Familie mit einem pflegebedürftigen Großvater kennen. „Diese Möglichkeit, über Pflege anderen zu helfen, hat mich früh geprägt“, erinnert sie sich. Ebenfalls prägend seien für sie die Situation in der Grenzregion Saarland und die beginnende europäische Öffnung gewesen, so dass sie nach einer Krankenpflegeausbildung gerne im Ausland weiterlernen wollte und für eine Hebammenausbildung in die Schweiz ging.

Ich würde mir wünschen, dass die Entwicklungsmöglichkeiten für die Pflege an den Hochschulen noch stärker genutzt werden.

Marga Ingeborg Thome

Die ganz andersartige Ausbildung dort, „bei der wir uns artikulieren mussten über das, was wir dachten und taten“, weckte Marga Thomes Interesse an der Lehre. Während sie auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nachholte, lernte sie in Teilzeitarbeit das Fachgebiet der Intensivpflege kennen, was sie zu einer Ausbildung zur Unterrichtsschwester motivierte – und so folgte die entsprechende Weiterbildung an der hoch angesehenen Schwesternschule der Universität Heidelberg (USH). „Der Unterricht war anspruchsvoll und ich erinnere mich an sehr gute Lehrer. Es wurden damals neue Akzente gesetzt, beispielsweise mit der Gemeindepflege, es wurden theoretische Grundlagen vermittelt und ein systematisches Denken eingeübt.“ In der Heidelberger Zeit schloss Marga Thome Freundschaften, die bis heute erhalten geblieben sind. So wurde sie schließlich auch auf HAI aufmerksam und engagiert sich seither in der Fachgruppe „Alumni Pflege-, Gesundheits- und Therapiestudiengänge sowie Gesundheitsfachberufe (USH)“.

Retrospektiv könne sie heute sagen, dass es damals in Heidelberg noch an der Tiefe und Breite des Pflegestudiums gefehlt habe. „Damals wusste noch niemand, was Pflegewissenschaft oder Pflegeforschung sein sollte, und es gab keine internationale Vernetzung in Forschung und Lehre.“ All das lernte Marga Thome kennen, als sie nach ihren ersten Erfahrungen an der Universität Island mit einem WHO-Stipendium ein Masterstudium Pflegewissenschaft in England absolvierte. Dort wurde Pflege bereits als Studium angeboten – damals eine der wenigen Möglichkeiten in Europa. „Das ermöglichte es mir, nach meinem Abschluss 1977 den ersten Lehrstuhl für Pflegewissenschaft in Island zu übernehmen.“

Es folgten 35 Jahre als Wissenschaftlerin an der Universität Island bis zur Emeritierung im Jahr 2012. In dieser Zeit entwickelte sich die Pflegewissenschaft in dem nordischen Land unter maßgeblicher Beteiligung von Marga Thome, die nach einem Doktorandenstudium im schottischen Edinburgh schließlich Professorin und Dekanin an der im Jahr 2000 eingerichteten Fakultät für Pflegewissenschaften der Universität in Reykjavik wurde. Mit ihren Erfahrungen in der Pflege und als Hebamme legte sie einen Forschungsschwerpunkt auf die seelische Gesundheit von Mutter, Kind und Familie und war auch Vorreiterin bei den sogenannten Interventionsstudien, die inzwischen international einen wichtigen Teilbereich der Pflegewissenschaft und einen Forschungsschwerpunkt ihrer Fakultät darstellen – ein Raum der Fakultät trägt daher heute den Namen “Marga-Stube”.

Insgesamt sieht Marga Thome in ganz Europa noch viel Nachholbedarf und Entwicklungsmöglichkeiten bei der Pflegewissenschaft. „In Deutschland hat sich die akademische Bildung in diesem Bereich erst spät entwickelt und ich würde mir wünschen, dass die Entwicklungsmöglichkeiten für die Pflege, die an den Hochschulen vorhanden sind, noch stärker genutzt werden“, betont sie. „In Island ist es im Unterschied zu Deutschland inzwischen normal, dass Pflegende eine akademische Ausbildung haben.“ Hindernisse für die

Entwicklung des Potenzials, das in der Pflege liege, seien auch Hindernisse für die Entwicklung von Frauen, da diese immer noch den überwiegenden Teil derjenigen stellten, die in der Pflege arbeiten: „Da sehe ich die Hochschulen in einer großen Verantwortung.“

Marga Thome
Die Pflegewissenschaftliche Fakultät der Universität Island

Die Schwesternschule der Universität Heidelberg

Die als „Hollyschule“ bekannt gewordene Schwesternschule der Universität Heidelberg (USH) wurde 1953 auf Anregung und mit Unterstützung der US-Regierung und der Rockefeller Foundation als Modelleinrichtung zur Weiterentwicklung der Krankenpflegeausbildung in Deutschland gegründet. Die der Medizinischen Fakultät angegliederte Einrichtung gab der Entwicklung der Pflegewissenschaft in Deutschland wichtige Impulse, auch wenn die ursprüngliche Absicht der Schulinitiatoren scheiterte, eine Hochschulausbildung zu ermöglichen. Als Kompromiss gehörten zu der für die damaligen Verhältnisse außergewöhnlich umfangreichen theoretischen Ausbildung, die eng mit der Praxis verknüpft war, Lehrveranstaltungen der Universität. 2006 wurde die USH mit der Gesundheits- und Krankenpflegeschule am Universitätsklinikum Heidelberg und der Krankenpflegeschule des Krankenhauses Salem in der „Akademie für Gesundheitsberufe“ zusammengeführt, deren generalistische Ausbildung auf den Gründungsgedanken der USH basiert.