Das Palais Boisserée
Entlang einer der schönsten Plätze Heidelbergs erstreckt sich die elegante Fassade des zu Beginn des 18. Jahrhunderts erbauten Palais Boisserée — seit 1969 Sitz des Germanistischen Seminars. Schon die einmalige Aussicht aus seinen Räumen auf die nicht nur von Hölderlin besungene Schlossruine lenkt den Blick auf eine große Geschichte. Namen wie Oswald von Wolkenstein, Martin Opitz, Brentano und Arnim, Eichendorff, Gottfried oder Stefan George prägen die literarische Tradition der ältesten deutschen Universitätsstadt, namhafte Heidelberger Fachgelehrte von Gervinus über Braune bis hin zu Gundolf oder Henkel, Karl Bartsch, Wilhelm Braune und Peter von Polenz bestimmten wesentlich die methodische und stoffliche Entwicklung der germanistischen Fachgeschichte.
Der heutige Grundstückskomplex des Palais Boisserée setzt sich aus drei Teilen zusammen, die zu verschiedenen Zeiten erbaut und zusammengefügt wurden. Den Grundstock bildet das zweigeschossige Mittelgebäude, das der Geheime Rat und Hofkammerpräsidenten Franz von Sickingen (1620-1715) zwischen 1703 und 1705 für seine Wohn- und Kanzleiräume errichten ließ. Da der Pfälzische Hof 1720 nach Mannheim übersiedelte, wurde das Gebäude seiner funktionsgerechten Bestimmung enthoben. Der wesentliche Teil des Palais Boisserée, Hauptstr. 207, bestand ehemals aus zwei Wohnhäusern, die schon früh durch eine gemeinsame Fassade verbunden wurden. Im 18. Jahrhundert wohnten hier die Geistlichen der reformierten Gemeinde. Bis zum Jahre 1789 befand sich auch die Kirchenratskanzlei, die später zu Mönchhof übersiedelte, in den beiden Häusern.
1789 kaufte Hofkammerrat Schmuck den Sickinger Hof und vermachte ihn seiner Tochter, der Amtmännin Sartorius. Von ihr mieteten die Brüder Sulpiz und Melchior Boisseree sowie ihr Freund Johann Baptist Bertram das obere Stockwerk, als sie 1810 ihr Studium in Heidelberg aufnahmen. Sulpiz (1783 - 1854) und Melchior (1786 - 1851), die einem katholischen, großbürgerlichen Handelshaus entstammten, hatten nach der Besetzung ihrer Vaterstadt Köln durch die Franzosen und der damit verbundenen Zerstörung der Klöster im Jahre 1804 begonnen, Kirchenbilder zu sammeln. Diese brachten sie — wie liebgewonnenen Hausrat — 1810 mit nach Heidelberg. Wo heute Germanisten lehren und lernen, zeigten die beiden Brüder Sulpiz und Melchior Boisserée in ihrem Bildersaal zwischen 1810 und 1819 ihre berühmt gewordene Sammlung alter deutscher und frühniederländischer Malerei, um damit Schönheit und Gewichtigkeit des eigenen kulturellen Erbes zu dokumentieren und um dessen Anerkennung zu werben. Entscheidend für den Erfolg der Sammlung war der Versuch der Kölner Freunde, eine eigenständige Schule altdeutscher Malerei nachzuweisen. Damit schenkten sie den Patrioten in der Zeit der Befreiungskriege ein nationales Heiligtum. 1827 erwarb König Ludwig von Bayern die altdeutsche Bildersammlung und machte sie zum Grundstock der Alten Pinakothek in München.
Nach der Siegesfeier über Napoleon im Jahre 1815 besuchten Kaiser Franz von Österreich, Zar Alexander von Rußland, König Friedrich Wilhelm von Preußen, die Fürsten Metternich und Schwarzenberg, Freiherr von Stein, Hardenberg und viele andere Persönlichkeiten des öffentlichen und geistigen Lebens die Boisseréesche Galerie im Sickinger Hof. Auch Goethe war zweimal, 1814 und 1815, hier zu Gast. Im Hause Boisserée sah er sich mit einer kulturellen Tradition und ästhetischen Erfahrung konfrontiert, die den großen Klassizisten nach seinen eigenen Worten „aus dem alten Gleise“ seiner Anschauungen zwang und ihn die Schönheit einer Kunst so ganz anderer Art und Tradition sehen und anerkennen ließ. Im Garten des Schlosses hat ihn der darüber berühmt gewordene Ginkgobaum zu einem der großen Gedichte des „Divan“ inspiriert.
Bald nach dem Weggang der Brüder Boisserée aus Heidelberg im Jahre 1819 erwarb die „gnädigste Herrschaft“ das Palais und nutze es seit 1826 als Oberamtsgebäude. Der Heidelberger Heimatdichter Karl Gottfried Nadler (1809-1849), dessen Mundartgedichte („Fröhlich Pfalz, Gott erhalt’s“) heute noch populär sind, starb hier im Jahre 1849. Wegen seiner spöttischen „Guckkastenlieder auf den großen Hecker und Struwwelputsch“ wurde er von den 48er Revolutionären angefeindet. Ein satirisch-zeitkritischer Roman von ihm ist leider verlorengegangen. 1892 baute die Badische Regierung das Palais Boiserée zum Bezirksamt aus. Als Sitz des Landratsamtes wurde das Haus bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts genutzt.
Die Planungen zum Ausbau für Institutszwecke begannen im Jahre 1969. Als die Heidelberger Germanisten 1974 schließlich ihr heutiges Domizil im geschichtsträchtigen Palais bezogen, wurde auch räumlich die Verbindung mit einer großen Tradition dokumentiert, der sie noch heute verpflichtet sind.
Das Gebäude ist nicht barrierefrei Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an den Beauftragten für Behindertenfragen über handicap@zuv.uni-heidelberg.de.