Jan Assmann, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. (1938 – 2024)

Emeritierter Professor für Ägyptologie

 

Nachrufe und Erinnerungen an Jan Assmann

Jan Assmann war ein großer Kulturwissenschaftler und Ägyptologe, einer der größten ganz ohne Frage. Hier würdigen ihn sein Nachfolger im Amt als Leiter des Ägyptologischen Instituts und drei seiner Schülerinnen und „Doktortöchter“ aus ihrer persönlichen Perspektive.

 

Nachruf auf Jan Assmann (7. 7. 1938 – 19. 2. 2024)
Joachim F. Quack

Mit Jan Assmann verliert die Ägyptologie einen ganz außerordentlichen Forscher, der nicht nur im Fach selbst, sondern weit darüber hinaus bahnbrechend gewirkt hat. Der Breite seines Oeuvres kann ein einzelner Blick kaum gerecht werden, hat er doch über 50 Monographien und dazu nicht weniger als 600 Aufsätze verfasst.
Nach einem Studium der Ägyptologie, Klassischen Archäologie und Gräzistik in München, Heidelberg, Paris und Göttingen wurde Jan Assmann 1976 als Professor für Ägyptologie an der Universität Heidelberg berufen. Er ist diesem Ort stets treu geblieben und hat doch durch zahlreiche Auslandsaufenthalte eine internationale Vernetzung herbeigeführt. Gleichzeitig verstand er es, hochkarätige Gastprofessoren nach Heidelberg zu holen und so das Lehrangebot noch vielfältiger und internationaler zu machen.
In seinem Werk lag ein offensichtlicher Schwerpunkt auf der Erforschung der ägyptischen Religion. Hier hat er einerseits im Bereich besonders der Sonnenhymnik und der Kosmographie Bahnbrechendes geleistet und zuvor wenig beachtete Texte dauerhaft ins Zentrum der Diskussion gebracht. Andererseits hat er für die Funerärvorstellungen – insbesondere durch die Analyse der „Totenliturgien“ – einen fundamental neuen Zugang zu Texten und den in ihnen fassbaren Ritualsequenzen ermöglicht. Auch an seinen Ansätzen zur Spätentstehung des Mythos im Alten Ägypten arbeitet sich die Forschung seit mittlerweile fast 50 Jahren ab. Weitere wesentliche Ansätze, an denen die spätere Forschung nicht vorbeigehen konnte, hat er zur altägyptischen Literatur und ihrer Stellung innerhalb der Gesellschaft entwickelt. Ebenso haben seine Forschungen zur Ma’at als Verkörperung der Gerechtigkeit und Weltordnung eine vertiefte Aufmerksamkeit auf Fragen gelegt, die vorher kaum beachtet worden waren.
Für die Heidelberger Ägyptologie von großer Bedeutung sind Assmanns epigraphische Aufnahmen religiöser Texte. Die dadurch angestoßenen Feldforschungen in der thebanischen Nekropole wurden im Rahmen des Projekts „Ramessidische Beamtengräber“ als Langfristvorhaben von der DFG 1978–1992 gefördert und resultierten in zahlreichen Publikationen, die von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern verfasst wurden. Dieses Projekt hat erheblich dazu beigetragen, am Ägyptologischen Institut der Universität Heidelberg eine feldarchäologische Tradition aufzubauen. Gerade Schülerinnen und Schüler von Jan Assmann aus diesem Bereich sind später erfolgreiche und anerkannte Ägyptologinnen und Ägyptologen in Leitungsfunktion geworden.
In Jan Assmanns späteren Werken kommen vermehrt auch Fragen der Rezeption Ägyptens auf, sowohl bei den Griechen als auch im Europa der frühen Neuzeit. Aus der Verbindung dieser Fragestellung mit Assmanns Interesse an ägyptischer Religion erwuchsen schließlich Untersuchungen zum Monotheismus, die fachübergreifend große Aufmerksamkeit hervorgerufen haben. Ebenso haben die Untersuchungen zum kulturellen Gedächtnis, die er gemeinsam mit seiner Frau Aleida Assmann vorgenommen hat, ihn einer großen Öffentlichkeit bekannt gemacht. Gerade diese Arbeiten haben viel Anerkennung gefunden und sind mehrfach mit Preisen ausgezeichnet worden. Hier hat Jan Assmann es wie kein zweiter Ägyptologe verstanden, die Aufmerksamkeit einer größeren gebildeten Öffentlichkeit zu gewinnen; Vorträge von ihm waren bis zuletzt herausragend besucht. Er wusste zu begeistern und auch die Fachfremden so abzuholen, dass sie Gewinn von seinen Vorträgen hatten. Seine Fähigkeit, fundamental wichtige Synthesen in lesenswerter Weise aufzubereiten, führte auch dazu, dass er zu den ganz wenigen deutschen Ägyptologen zählt, deren substantielle Monographien ins Englische übersetzt wurden.

Ganz unzweifelhaft werden sich auch die kommenden Generationen Ägyptologinnen und Ägyptologen noch lange mit Jan Assmanns Werken auseinandersetzen. Mir selbst wurde Ägypten: Theologie und Frömmigkeit zu Beginn meines Studiums als Lektüre empfohlen, und ich habe das Buch mit großem Gewinn gelesen. Erstmals ins Gespräch gekommen bin ich mit Jan Assmann bei einer „Ständigen Ägyptologenkonferenz“ Anfang der 90er Jahre. Damals als junger Doktorand konnte ich mich mit ihm über Fragen der Kanonisierung der mittelägyptischen Literatur unterhalten und war erfreut, wie offen und gesprächsbereit er war. In meiner Zeit als Assistent an der FU Berlin habe ich den Studienanfängerinnen und -anfängern stets die Sinngeschichte empfohlen, natürlich gerade dann, wenn sie nach dem einen Werk über Ägypten insgesamt gefragt haben.
Gerade angesichts Jan Assmanns international herausragender Stellung bei der Erforschung der ägyptischen Religion verdient eine Episode es, besonders erwähnt zu werden. 2001 fand in Heidelberg zum Andenken an den Theologen Gerhard von Rad ein Symposion zum Thema „Theologie in Israel und in den Nachbarkulturen“ statt und es versteht sich fast von selbst, dass Assmann selbst der Hauptredner zum Alten Ägypten war. Für mich aber war es damals eine große Ehre, als Respondent eingeladen zu werden. Und auch wenn Jan Assmann und ich in der Bewertung einzelner Fragen damals unterschiedlicher Meinung waren, wie es in gewinnbringenden fachlichen Diskussionen öfters vorkommt, konnten wir uns sehr offen und freundschaftlich austauschen. Dieses ausgesprochen angenehme Verhältnis hat sich dann fortgesetzt, als ich 2005 nach Heidelberg berufen wurde. Jan Assmanns physischer Lehrstuhl wird bis heute im Ägyptologischen Institut der Universität Heidelberg aufbewahrt. Seinem wissenschaftlichen Erbe fühlen wir uns dauerhaft verpflichtet.

 

Jan Assmann und sein Institut
Heike Heye

Im April 1977 begann für mich ein neuer und entscheidender Abschnitt, mit dem ich nie gerechnet hatte: Ich trat eine Stelle in meinem Studienfach Ägyptologie an! Mein vorausgehendes Studium endete 1974 mit der Magister-Prüfung bei Eberhard Otto in Heidelberg, danach ging ich mit meinem Mann ins Ausland, ohne zu wissen, wie und ob es weitergehen würde. Doch Ende 1976 kam ein Anruf von Jan Assmann, er fragte, ob ich im Heidelberger Ägyptologischen Institut die Assistentenstelle übernehmen wollte – ich wollte! Und konnte bleiben, inzwischen promoviert, bis zu seinem Nachfolger Joachim Quack, eine heute nicht mehr mögliche Dauer.
In dieser langen Zeit der Zusammenarbeit kamen neben der Exzellenz des Ägyptologen, Kultur- und Religionswissenschaftlers andere Facetten Jan Assmanns zum Tragen, die für sein Institut, die Studenten und die Mitarbeiter bestimmend waren und die Atmosphäre im Marstallhof prägten. Er leitete sein Institut mit flacher Hierarchie, ließ den Mitarbeitern große Eigenständigkeit, war zugänglich und gesprächsbereit.
Er förderte den Austausch, die Diskussion. Wie oft trafen wir uns zur Mittagszeit, zumeist im sog. DFG-Zimmer, um große und kleine, aktuelle und wissenschaftliche Fragen zu besprechen, dabei blieben die Türen offen, jedem Interessierten zugänglich.
Seine Einrichtung des dienstäglichen Institutstees sollte informieren und Fragen ermöglichen über Vorhaben des Instituts und der Universität, das geplante Vorlesungsprogramms, Exkursionen, Besuche auswärtiger Kollegen, Vorträge usw. usw.
Er ergänzte die bisherige philologische Seite der Heidelberger Ägyptologie um die archäologische und untermauerte sie durch ein Grabungsprojekt in Ägypten, die ‚Aufnahme thebanischer Beamtengräber der Ramessidenzeit’. Damit öffneten sich für die Studenten und Mitarbeiter neue Horizonte, neue Ausbildungs-, Methoden- und Arbeitsfelder, die sie aus erster Hand und in der Praxis erfahren konnten. Der zeitliche Rahmen Ramessidenzeit fügte sich gut zu einem Parallelunternehmen des DAI Kairo, das sich mit den Gräbern der 18. Dynastie befasste, gemeinsam umspannten sie das gesamte Neue Reich auf dem Gebiet der thebanischen Privatgräber und öffneten übergreifende Perspektiven, führten zu fruchtbarer fachlicher, personeller und praktischer Zusammenarbeit.
Als Lehrer vermittelte Jan Assmann das Potential der Texte auch jenseits ihres verbalen Inhalts, behandelte sie, wie die archäologischen Objekte, in all ihren Facetten, um sie ihrem ursprünglichen Zusammenhang einzufügen oder neue Aspekte zu entdecken. Unübertroffen war seine Fähigkeit, den großen Bogen zu spannen, aus unübersichtlichen Befunden klare Strukturen herauszulösen und Übersicht und Einsicht herzustellen.
Als Doktorvater förderte und forderte er die Freiheit zur Entwicklung eigener Vorstellungen und Vorgehensweisen seiner Promovenden.
Er bewirkte eine enge Verbindung zwischen Semesterbetrieb mit Lehre, Forschung, Veranstaltungen, Administration in Heidelberg und Aufenthalten mit praktischer Feldarbeit in Ägypten, dies schuf einen besonderen Zusammenhalt im Heidelberger Ägyptologischen Institut, der uns alle prägte.
Danke, Jan.

 

Jan Assmann
Jan Assmann bei einer Ansprache auf der SÄK 1979 in Heidelberg
(© Ägyptologisches Institut der Universität Heidelberg)

 

Erinnerungen an Jan Assmann
Andrea Kucharek

Jan Assmanns Projekt zu den Altägyptischen Totenliturgien, das nach jahrzehntelangen Vorarbeiten von 1994 an von der DFG gefördert wurde, hat meinen wissenschaftlichen Werdegang und meinen Umgang mit Quellen ganz entscheidend geprägt. Von meinem 5. Semester an als Wissenschaftliche Hilfskraft in das Projekt eingebunden, hatte ich darüber hinaus das Privileg, Jan Assmann nicht allein als Lehrer und Forscher, sondern auch als Menschen und schließlich als väterlichen und großherzigen Freund kennenlernen zu dürfen. Vorbildlich waren mir sein Stilgefühl und seine Liebe zur Sprache, wie auch seine geniale Fähigkeit, Strukturen zu erkennen und plastisch herauszuarbeiten. Es war immer eine Bereicherung, ihm dabei zuzuhören, wie er beides miteinander verband und wie sich aus zunächst scheinbar disparaten Elementen ganz natürlich ein größeres Ganzes und ein tieferer Sinn ergab. Im Unterricht gelang es ihm immer wieder, die Quintessenz, das eigentliche Thema etwa einer Präsentation in wenige klare Worte zu fassen und damit sowohl beim Referenten wie auch bei den Zuhörern für schlagartige Einsicht zu sorgen. Seine Bildung, sein Wissen und seine Neugier, das braucht nicht erwähnt zu werden, waren schier grenzenlos. Und so spielten bei privaten Treffen weder die Ägyptologie noch die Kulturwissenschaften eine prominente Rolle; Literatur, Musik oder auch Fußball (den er mir einmal vergeblich nahezubringen versuchte) lagen ihm genauso am Herzen. Und nie werde ich seine Freude vergessen, als es mir in relativ frühen Tagen des Internets in tagelanger Kleinarbeit gelungen war, eine komplette Ausgabe der Partituren seines Lieblingskomponisten Georg Friedrich Händel herunterzuladen, die er nun auf seinen zahlreichen Reisen immer bei sich haben konnte.

 

Jan Assmann
Jan Assmann im Jahr 1980 in TT 41
(© Ägyptologisches Institut der Universität Heidelberg)

 

Für Jan
Claudia Maderna-Sieben

Am Abend, an dem wir die traurige Nachricht erhielten, dass Jan gestorben war, traten wir, seine Schüler und Freunde, sofort in Kontakt. In den Gesprächen wurde uns eindrücklich klar, wie sehr Jan eine Generation von Studenten der Ägyptologie und anderer Fachrichtungen geprägt hat. Sein unglaublicher Geist und sein warmherziges, zutiefst menschliches Wesen haben nicht nur in der Ägyptologie, sondern bei allen, die ihn kannten, eine tiefe Spur hinterlassen, die ewig weiterlebt und wissenschaftlich wie menschlich unser Leben auch weiterhin leiten wird.

„M’illumino d’immenso“ „Ich erleuchte mich durch Unermessliches“ (Giuseppe Ungaretti)
Dieser kurze Satz, dem Ungaretti die Überschrift „der Morgen“ gab, wurde zum berühmtesten Gedicht der Lyrik des Hermetismus. Es beschreibt die Sehnsucht des Menschen das Unermessliche zu begreifen, zu erfassen und zu beschreiben. Die Strahlen des Morgenlichtes umfassen dabei jeden Raum, jede Entfernung und alles, was sich darin oder dazwischen befindet. Es versinnbildlicht die stetige Wiedergeburt unseres Geistes in die Unermesslichkeit des Raumes, den wir mit unseren Gedanken und Überlegung jedes Mal aufs Neue erfassen und verstehen müssen.
Wie sehr spiegelt dieses Gedicht doch die Persönlichkeit und das wissenschaftliches Denken von Jan wider.
Als ich mit dem Studium der Ägyptologie in Heidelberg begann – und ich hoffe, auch im Sinne meiner Kommilitonen sprechen zu dürfen – begegnete ich einem Lehrer, der so ganz anders war, als man sich einen Professor vorstellte. In seinen Seminaren, an denen fast immer Studenten aller Semester teilnahmen, vermittelte er uns nicht allein das Verständnis über jedes kleine Detail der ägyptischen Kultur, sondern forderte uns darüber hinaus auf, die erworbenen Kenntnisse in einen größeren, umfassenderen Sinnzusammenhang zu stellen, um die Identität und das Wesen einer kulturellen Gemeinschaft zu begreifen – „Ägypten eine Sinngeschichte“. Hierbei war es ihm immer wichtig, dass wir mit unserem wissenschaftlichen Denken eigene Wege gehen. Während den vielen, unglaublich spannenden und anregenden Diskussionsrunden konnte Jan uns komplexe Sachverhalte, mit einer großen Selbstverständlichkeit bis ins kleinste Detail erklären.
Durch das langjährige Grabungsprojekt „Ramessidische Beamtengräber in der Thebanischen Nekropole“ konnte Jan essentielle Erkenntnisse über die Religionsgeschichte Ägyptens gewinnen und somit eine große wissenschaftliche Lücke füllen. Uns schuf er damit die Möglichkeit, eine umfassende archäologische Ausbildung zu erhalten, eine Chance, die ein universitäres Institut nur selten seinen Studierenden bieten kann. In dieser Zeit führte uns Jan während zahlreicher Exkursionen zu den unterschiedlichen Kulturstätten Ägyptens und ermöglichte uns damit das antike Ägypten umfassend vor Ort kennenlernen zu können. Viele Erinnerungen an die Monate des Zusammenlebens mit Jan im halb verfallenen Davies-House, mit einer fast abgebrannten Küche und einem „Bad mit Toilette“ werden uns immer präsent bleiben.
Die internationalen Forschungs- und Lehraufträge von Jan bereicherten auch das Institut in Heidelberg, da zum einen vermehrt Vorträge internationaler Wissenschaftler angeboten und zum anderen von Jan nationale und internationale Lehrstuhlvertreter vorgeschlagen wurden, die innerhalb der Ägyptologie die unterschiedlichsten Fachrichtungen vertraten.
Sicherlich ist dies nur ein kleiner Ausschnitt von dem, was Jan war und was er für uns gemacht hat. Aber vielleicht kann zwischen diesen Zeilen gelesen werden, was dieser unglaublich warmherzige und einmalige Mensch und Lehrer für uns bedeutet hat und immer bedeuten wird.
Daher möchte ich, in Abwandlung von Ungaretti, zu Jan sagen

„T’illumini d’immenso“ „Du erleuchtest dich durch Unermessliches“
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Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 04.04.2024
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