Von Ost nach West
Bücher aus mitteldeutschen Bibliotheken im Heidelberger Seminar
An anderer Stelle haben wir über das Heidelberger Mittellateinische Seminar geschrieben:
Die ersten Seminarräume lagen in dem barocken «Seminarienhaus» Augustinergasse 15 neben dem Romanischen Seminar; sie füllten sich rasch mit Büchern, die zum Teil auf dem damals ergiebigen Antiquariatsmarkt erworben wurden. Daneben wurden Bibliotheken des In- und Auslands angeschrieben, ob sie Doubletten unserer Fachliteratur abgeben könnten. Schon im Jahr 1957 wurden 568 Bände erworben. 1958: 1205, 1959: 802. (600 Jahre Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 1386-1986, München 1986, p. 149).
Im Lauf der jahrelangen Arbeit mit der schönen Bibliothek, deren Grund Walter Bulst gelegt hat, ist uns immer mehr aufgefallen, daß viele wertvolle Bücher wie z.B. MGH Poetae t.1 und 2 in der Originalausgabe aus Bibliotheken der damaligen Deutschen Demokratischen Republik stammten. Wir haben sie alle legal im Handel erworben. Aber wie kommen Standardwerke aus der Leipziger Stadtbilbiothek, der Bibliothek der Fürsten- und Landesschule zu Grimma, der Bibliothek des Wittenberger Lyzeums, dem Domgymnasium zu Magdeburg, der Schulbibliothek des Gymnasiums zu Salzwedel, der Bibliothek des Rudolstädter Gymnasiums in den Handel? Tino Licht, M.A., ist dieser Frage nachgegangen und hat seine Funde im Schaukasten zusammengestellt.
W. B.
Stempel und Exlibris aus Büchern im Bestand des Seminars
Verkauf und Schriftentausch
Der Etat der wissenschaftlichen Bibliotheken der DDR reichte nicht zur Bereitstellung der nötigen Titel; westliche Literatur war wegen des Devisenmangels fast nicht zu beschaffen. Staatlicherseits verwies man auf die notwendige «Störfreimachung» von Lieferungen aus dem kapitalistischen Ausland, es sollte «bewußt auf die sozialistische und sowjetische Literatur hingelenkt werden.» Die Folgen waren absehbar: an der Qualität der wissenschaftlichen Arbeit und Ausbildung mußten Abstriche gemacht werden. Um zumindest die wichtigsten westlichen Titel beschaffen zu können, lebten die Bibliotheken von ihrer Substanz. Literatur die entbehrlich war, im Regelfall Dubletten, wurden im westlichen Ausland angeboten, verkauft und/oder gegen neue Literatur eingetauscht. Verkauf bzw. Tausch wurde vom «Zentralantiquariat der DDR» organisiert. Dort hat man auch die Kontrolle über die ausgewählten Bücher und den Erlös aus dem Tauschgeschäft, der insbesondere in den späteren Zeiten der «Kommerziellen Koordinierung» (Gründung der Behörde 1967) manch anderem Zweck gedient haben mag.
Auszug aus der Akquisitionsliste des Seminars von 1962
Die meisten Büchern aus ostdeutschen Bibliotheken wurden über das Antiquariat «Helios» in Berlin erworben. Vor allem in den 60er Jahren - das läßt sich anhand der Liste nachweisen - profitierte die Seminarbibliothek von dieser Beschaffungsmöglichkeit.
Seminarexemplar des zweiten Bandes der von Böhmer herausgegebenen Fontes rerum Germanicarum (Signatur: A I 1730)
Der Band stammt aus dem Historischen Seminar der Universität Jena und wurde am 15. Februar 1967 über «Helios» Berlin für das Seminar gekauft. Bemerkenswert ist der (fünfzehn Mal auf Seiten und Buchrand verteilte) rote Stempel «Gestohlen aus den geschichtlichen Seminaren der Universität Jena», dessen «Gestohlen» später mit einem blauen «Ausgeschieden» überstempelt wurde. Entweder sollten dadurch wirklich Diebe abgeschreckt werden, oder der Stempel dokumentiert einen Minimalwiderstand gegen den Ausverkauf der Jenaer Seminarbibliothek.