Bericht zum Workshop: „Privatsphäre und Datenschutz in Europa: Traditionen, Praktiken, Diskurse“
Im Rahmen des Workshops „Privacy and Data Protection in Europe“ wurden elf Beiträge zur Thematik, aufgeteilt in vier Panels, durch ihre AutorInnen in einem kurzen Vortrag präsentiert und anschließend unter der Moderation von Wolf J. Schünemann und Max-Otto Baumann im Plenum der TeilnehmerInnen diskutiert.
Unter dem Paneltitel „Fundamental questions and challenges of privacy and data protection“ führten die Vorträge von Bernhard Gross, Barbara Büttner und Fabian Pittroff in aktuelle Forschungsfelder und Problematiken der Datensicherheit ein.
In der Präsentation seines Papiers „Editorial codes and the ethics of harvesting social media for journalistic purposes” zeigte Bernhard Gross die Nuancen einer der aktuellen Diskussionen an der Schnittstelle von öffentlichem Interesse und Datenschutz auf. Vor dem Hintergrund des Wandels der Informationsgewinnung durch Medienakteure in Zeiten sozialer Netzwerke beleuchtete er die Frage nach einer Unterscheidung von „öffentlichen“ und „publizierten“ Informationen.
Im Anschluss präsentierten Barbara Büttner und Fabian Pittroff ihr Papier „The Strategy of Reterritorialization and its Democratic Alternatives: Traditions and Possibilities of the Privacy Discourse in Germany“. Hierin beschreiben sie, zusammen mit Jörn Lamla und Carsten Ochs, den deutschen Diskurs zu Schengen National Routing (SNR). In diesem lasse sich beobachten, wie der so genannte „democratic protectionism“, der die Begründung der deutschen Industriepolitik für die Durchsetzung einer Renationalisierung des Internets ausgemacht habe, gescheitert sei. Andere Akteure aus Wirtschaft und der Netzgemeinde hätten die Debatte rasch dominiert und Ansätze einer Reterritorialisierung als eine spatiale Art der Regelung von Privatsphäre verdrängt.
Das zweite Panel konzentrierte sich auf „Discourses on privacy, security and surveillance“. Linda Monsees legte zu „ Privacy and Security in the German Public Discourse“ dar, inwiefern der Fokus auf das Individuum in der Debatte zur Technologie der Verschlüsselung eine mögliche gesamtgesellschaftliche Antwort auf globale Überwachungstendenzen verhindert.
Minna Tiainen zeigte in ihrem Beitrag mit dem Titel „Justifying the question of electronic surveillance: The discursive construction of Edward Snowden’s NSA revelations in the Finnish newspaper Helsingin Sanomat“ die breiten Parallelen zwischen dem „Diskurs der Bedrohung“ und dem „Diskurs der Sicherheit“ auf, die in der Verarbeitung der Snowden-Affäre in der finnischen Medienlandschaft dominieren. Diese Parallelen sind insoweit erstaunlich, als die beiden Diskurse sich in ihren Absichten diametral gegenüberstehen: „Für” und respektive „gegen” globale Überwachung.
Verena Weilands Präsentation mit dem Titel “Analysing the French discourse about ‚surveillance and data protection‘: Methodological reflexions and results in terms of content ” spiegelte eben diese Unterscheidung der Diskurse erneut wider und konnte nachweisen, dass eine ähnliche Diskursstruktur ebenfalls für das Fallbeispiel Frankreich besteht.
Abschließend zeigte Stefan Steiger anhand der „[...] unshaken role of British intelligence services: The British cybersecurity discourse after the Snowden revelations“ rollentheoretisch fundiert, dass die Legitimität des britischen Geheimdienstes GCHQ vor allem durch seine, von „significant others“ innerhalb der britischen Regierung konstruierten, Rolle als loyaler Dienstleister zum Schutze des Königreiches aufrecht erhalten werden konnte.
Die Präsentationen zeigten damit nicht nur nochmals die Methodenvielfalt innerhalb des Workshops auf, sondern auch das spatial-vergleichende Element: Die Fruchtbarkeit des Vergleichs der innereuropäischen (De-)Legitimationsmechanismen der globalen Überwachung.
Der Fokus des zweiten Workshop-Tages lag auf dem Thema Datenschutz als Teilkomponente der Privatheit. Das dritte Panel, unter dem Titel „The legal dynamics of privacy and data protection in Europe“, begann mit einem Papier von Ana Azurmendi, die mit „The Spanish Origins of the European ‘Right to be Forgotten: the Mario Costeja and Les Alfacs Cases’“ erläuterte, dass der spanische Diskurs über Privatheit ein genuines, neues nationalrechtliches Konzept geschaffen habe, welches in der Folge auf der europäischen Ebene Verbreitung finde.
Eine weitere rechtswissenschaftliche Perspektive bot Milan Tahraoui mit seinem Beitrag “Technical-legal and conceptual challenges with regard to the role delegated to private search in the ECJ Google Spain case on the so called ‘right to be forgotten’”. Er widmet sich darin vornehmlich der Problematik, die durch mächtige private Akteure (bspw. Suchmaschinen) entsteht, die in ihren Handlungen kaum durch rechtliche Rahmenbedingungen eingeschränkt werden, da diese entweder fehlen oder sich, wie im Fall der EuGH-Regulation, als schwach herausstellen.
An die Betrachtungsweise der europäischen Ebene anschließend, analysierte Ariadna Ripoll Servent unter dem Titel „Protecting or Processing? Recasting EU Data Protection Norm“ das diskursive framing der Verhandlungen über die EU-Datenschutzreform und zeigte auf dieser Grundlage die Dynamiken der Verhandlungen in der supranationalen Arena auf. Dabei traten erneut das Spannungsfeld zwischen Sicherheit als Datenschutz und Sicherheit als Schutz vor kriminellen und terroristischen Gefahren zum Vorschein, das bereits in den vorherigen Beiträgen sichtbar wurde, hier als teilweise konkurrierende Logiken aus den Säulen I bzw. III der mittlerweile überkommenen EU-Vertragsarchitektur. Hier konnte Ripoll Servent zeigen, dass (noch), vor allem durch das Europäische Parlament, dem Datenschutz Vorrang eingeräumt wird, wenn auch nur auf der supranationalen Ebene. Gleichzeitig verdeutlichte sie, wie durch die supranationale Ebene ein weiteres Framing, das des „enchroachment“ der supranationalen in die nationale Ebene, einher ging.
Das letzte Panel des Workshops verlagerte den Blick geographisch Richtung Osteuropa „Privacy and data protection in Eastern European countries”. Valentina Jasmontaite und Lina Pavel Burloiu argumentierten in ihrem vergleichenden Papier „Eastern European Countries Introduce Cybersecurity Laws: Societies’ attitudes to the loss of privacy“, dass das rumänische Cybersicherheitsgesetz weder mit der nationalen Verfassung, noch mit EU-Regularien im Einklang war. Somit stand es im krassen Kontrast zu seinem litauischen Pendant, das, obwohl es tiefe Eingriffe zugunsten der nationalen Sicherheit erlaubt, der NIS-Richtlinie der EU (Network and Information Security) eher entspricht.
Nadjeda Mironov ergänzte die osteurpäischen Fallstudien mit einer detaillierten Darstellung der „Europeanization of data protection in the Republic of Moldova“, mittels derer sie „two Moldovas“ identifizieren konnte, eines, das offen ist für Datenverbreitung und eines, das prädominant auf Privatheit setzt. Hierdurch konnte sie darlegen, inwiefern Moldawien als Mitglied der Östlichen Partnerschaft der EU ebenfalls von der Europäisierungsdynamik im Bereich des Datenschutzes erfasst wurde und nun am dynamischen Entwicklungsprozess der Netzpolitik teilnimmt.
Die TeilnehmerInnen einigten sich, ihre Arbeiten in eine Veröffentlichung überleiten zu wollen, um die fruchtbaren Erkenntnisse aus dem geographischen als auch issue-spezifischen Vergleich in die aktuelle Forschung einfließen zu lassen. Die Arbeiten an dem Kompendium sollen in der ersten Jahreshälfte 2016 vorangetrieben werden.
Dem Workshop schloss sich ein Besuch in der Ausstellung Global Control and Censorship des Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe an. Die Ausstellung enthält zahlreiche Exponate zum Verhältnis von Privatheit und Überwachung. Die Expositionen wurden von internationalen KünstlerInnen sowie AktivistInnen und JournalistInnen, selbst WissenschaftlerInnen (nicht zuletzt der Netzpolitik AG an der Universität Heidelberg) erarbeitet. Die Ausstellung ist noch bis Mai 2016 in Karlsruhe zu besichtigen.
Die Veranstalter möchten der Thyssen-Stiftung und dem Field of Focus 4 für die großzügige Förderung danken, ohne die der Workshop nicht hätte stattfinden können. Dank gilt ebenso dem John-Stuart-Mill-Institut sowie dem ZKM-Medienmuseum in Karlsruhe als Mitveranstaltern.
Kontakt:
Dr. Wolf J. Schünemann
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