Gervinus | Einleitung in das 19. Jh.
Karl August Varnhagen von Ense: Tagebücher. Bd 10. Hamburg 1868:
(S. 3) Freitag, den 7. Januar 1853
"Einleitung in die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Von G. G. Gervinus. Leipzig 1853. 8." Ganz vortreffliche Geschichtsanschauungen, mir sehr vertraute.
Sonnabend, den 8. Januar 1853
In Gervinus gelesen, mit großer Befriedigung [...].
Das Buch von Gervinus ist in Heidelberg schon polizeilich weggenommen und soll als hochverrätherisch angeklagt werden. (S. 4) Blinder Regierungspöbel, dumme Beamtenrotte! Die Wahrheiten glauben sie unterdrücken zu können!
(S. 5 f.) Montag, den 10. Januar 1853
Besuch bei Herrn Dr. Hermann Franck. Ueber Gervinus, und daß er durch seine Schrift die Gothaer verlassen hat. [...]
Es gehört doch auch zu den Zeichen unsrer Zustände, daß ein Mann, wie der Präsident der Seehandlung, Herr Bloch, von der neuesten Schrift des Gervinus entzückt ist und dies laut ausspricht.
Unsre Zeitungen sind tapfer; sie besprechen auch schon das Buch von Gervinus gehörig.
(S. 7) Donnerstag, den 13. Januar 1853
Die Neue Preußische Zeitung ist ganz entsetzt über die sich kundgebende Demokratie, die Anzeige von Berends und Bathow, die Schrift von Gervinus, sie schreit Lärm und Rache!
(S. 14) Freitag, den 21. Januar 1853
Gervinus ist nach Heidelberg abgereist, um sich dem Gericht zu stellen.
Sonntag, den 23. Januar 1853
Die "Spener'sche Zeitung" wählt die Gelegenheit, und giebt einen langen Artikel gegen den verfolgten Gervinus; der Monarchie wird das Wort geredet, im Gegensatze zur Demokratie, die doch nach Gervinus Meinung nicht dem Königthum feindlich ist. -
Die Sache von Gervinus erweckt große Theilnahme; man sieht in ihr alle freie historische Forschung und Aeußerung bedroht, man erklärt es für die schändlichste Gewaltsamkeit dergleichen bestrafen zu wollen. Aber es ist doch möglich, daß er verurtheilt wird! Unsre Regierungen sind zu scheußlich, die Gerichte zu schwach und furchtsam, wenn nicht gar eben so wie die Regierungen.
(24 f.) Sonnabend, den 5. Februar 1853
Nun haben sie auch in Leipzig die Schrift von Gervinus verboten! Nachdem schon die zweite Auflage vergriffen ist. Ob sie hier nicht auch noch die Dummheit machen werden? -
Preßprzesse, hin und sieder auch noch Hausdurchsuchungen, Polizeischeerereien aller Art! - Die Spener'sche Zeitung war weggenommen, weil sie die Anklage gegen Gervinus mit den angeschuldigten Stellen gab; doch was schaden diese Stellen, da die ganze Schrift nicht verboten ist?-
(55) Sonntag, den 6. März 1853
Das Hofgericht zu Mannheim habe den Spruch über die Schrift von Gervinus noch ausgesetzt, "um erst nähere Verhaltungsbefehle einzuholen", so sagte das Frankfurter Journal, und damit die traurige volle Wahrheit. Die badische Behörde hat natürlich das Blatt unterdrückt.
(58) Mittwoch, den 9. März 1853
Gervinus ist vom Hofgericht zu Mannheim nicht des Hochverrathes, aber der Stiftung von Unruhe schuldig befunden und zu zweieinhalbmonatlicher Festungsstrafe verurtheilt worden, auch in die Kosten, und die Schrift soll vernichtet werden! - Auch das Apellationsgericht in Königsberg hat die Beschlagnahme der Schrift betstätigt und ihre Vernichtung ausgesprochen. - Welch schöne deutsche Einheit und Einigkeit vom Neckar bis zum Pregel! - Das Hofgericht hat seine näheren Verhaltungsbefehle bekommen. - Und bei uns?!!
Bunsen spricht sich in seiner Vorrede zu seinem Hippolytus ziemlich freisinnig aus; das soll ihm in Ehren gedacht werden.
(66) Donnerstag, den 17. März 1853
Nun ist die Schrift von Gervinus auch in Köln verboten, und sogar in Berlin selbst. Man hat aufgehört sich zu schämen.
(111) Sonnabend, den 17. April 1853
Das badische Oberhofgericht hat den verurtheilenden Spruch des Hofgerichts gegen Gervinus vernichtet und der Staatsbehörde die Kosten auferlegt; der Fall, sagt dasselbe, hätte vor die Geschworenen gehört.
Verteidigungsschrift für Gervinus, hrsg. von Georg Friedrich Fallenstein, s. Zur Vertheidigung des Professor G. G. Gervinus wider die gegen ihn erhobene Anklage
Die "Einleitung" erregte auch im Ausland Aufsehen. Eine frühe Übersetzung ins Englische von Henry G. Bohn stieß auf heftige Kritik und veranlaßte noch im selben Jahr die Gemeinschaftsarbeit zweier Wissenschaftler: The Course and Tendency of History since the Overthrow of the Empire of Napoleon I. By Professor G. G. Gervinus. Translated from his "Introduction to the History of the Nineteenth Century", by Moritz Sernau, Ph.D., assisted by the Rev. J. M. Stephens: to vindicate Professor Gervinus from his English Translator in Henry G. Bohn's One Shilling Series.London: E. Marlborough and Co., Ave Maria Lane. Cirencester: H. G. Keyworth (1853). - Das im Juli 1853 in Cirencester verfaßte Vorwort Sernaus bietet einen Ausschnitt der damaligen Diskussionen:
(Advertisement.) "The following pages are intended to vindicate Professor Gervinus's 'Introduction to the History of the Nineteenth Century' which has been brought before the English Public by Henry G. Bohn, London, in a translation nothing short of an adulteration.
They are a careful translation of its latter part (p. 149 &c) which is particularly fit to represent in his true light the celebrated Professsor, who ever since 1837 - when he publicly protested against the late Duke of Cumberland's coup d'état in Hanover - has been looked upon as a great political authority by a large portion of the thinking classes in Prussia, Hanover, and the rest of the Germanic Confederation.
The figures printed in the text refer to notes, at the end, giving the respective passages according to Mr. Bohn's translation.
Their comparison will at once show that Professor Gervinus in Mr. Bohn's English is a complete caricature."
Im Oktober 1853 brachte die Zeitschrift "Athenaeum"eine Besprechung: Title : Introduction to the History of the Nineteenth Century; Author: GERVINUS, G. G.; Contributor: DIXON, William Hepworth; Reference : 1353 (October 1,1853), 1159 (The Athenaeum Index of Reviews and Reviewers: 1830-1870)